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Beate Müller-Gemmeke
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Frage von Boris C. •

Frage an Beate Müller-Gemmeke von Boris C. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Seit 16 Jahren arbeite ich als Feiberufler in der IT-Branche, leiste Abgaben, zahle Steuern, sorge für meine Altersversorgung.

Am 16.02.2016 will das BMAS den Gesetzesentwurf gegen den Missbrauch von Werkverträgen dem Kabinett
vorstellen. Dieser wirkt sich auch auf mich aus, obwohl ich selbst nach Abzug der Betriebskosten ein weitaus
höheres Nettoeinkommen habe, als ein vergleichbarer Angestellter. Die Kriterien zur Definition von
Scheinselbständigkeit des §611a, BGB erklären mich zum Scheinselbständigen.

Mehr als 100.000 Selbständige in der IT, aber auch anderer Berufe, insgesamt ca. 2,7 Mio. Einzelselbständige
befinden sich in vergleichbarer Lage.

Ist es gewollt, dass ein Steuervolumen von mehreren Mrd. Euro entfällt?

Kann es im Sinne des Wirtschaftsstandortes Deutschland sein, wenn das einzige Mittel dem Fachkräftemangel auf
dem Sektor der Wissensarbeit auf flexible Weise zu begegnen, per Gesetz abgeschafft wird?

Ist es gewollt, dass in der Folge Innovationsprojekte ins Ausland verlagert oder gar nicht durchgeführt werden?

Falls das Gesetz so kommt, kann ich meinen Beruf in der gewohnten Form nicht mehr ausüben. Ich überlege mir ernsthaft deswegen auszuwandern, da die Kriminalisierung der IT-Freiberufler immer schlimmere Züge annimmt.

Ich bitte Sie, für die Nachbesserung des Gesetzesentwurfes einzutreten. Der Grundgedanke des Gesetzes ist
zweifellos gut. Der Gesetzgeber muss seiner Fürsorgepflicht gegenüber Schutzbedürftigen nachkommen. Nur darf
es nicht sein, dass dies zu Lasten der nicht Schutzbedürftigen geschieht.

Ich bin dafür einen Mindeststundensatz zu definieren (z.B. 60 €/Stunde). Verdient ein Freiberufler mehr, sind die Kriterien zur Definition von
Scheinselbständigkeit des §611a, BGB nicht wirksam. Das wäre die einfachste Möglichkeit für Gerechtigkeit zu sorgen.

Hintergrundinformationen finden Sie hier http://dbits.it/themen/scheinselbststaendigkeit-index.html.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Cassar,

haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage zum anstehenden Gesetz gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträge. Die Große Koalition hat sich schon im Koalitionsvertrag auf Maßnahmen verständigt. Zurzeit wird jetzt ein entsprechender Gesetzesentwurf in den Ministerien abgestimmt.

Ich unterstütze die Bundesregierung bei dem Vorhaben, illegale Leiharbeit mittels Werkverträge zu unterbinden. Auch die Schein-Selbstständigkeit von Personen, die durch eine wirtschaftliche Abhängigkeit in prekäre Situationen gedrängt werden, muss verhindert werden. Im Ziel bin ich also mit der Bundesregierung einig. Die gewählten Maßnahmen kritisiere ich aber.

Die Bundesregierung hat Abgrenzungskriterien im BGB formuliert und will damit den Missbrauch von Werkverträgen an Drittfirmen und Schein-Selbstständigkeit gleichermaßen mit denselben Kriterien verhindern. Ich meine aber, dass wird den unterschiedlichen Problemen nicht gerecht. Bei dem Missbrauch von Werkverträgen geht es nicht um Selbstständigkeit, sondern hier handelt es sich um eine Auftragsvergabe an andere Unternehmen mit Beschäftigten, die regulär sozialversicherungspflichtig angestellt sind. Notwendig sind dafür klare rechtssichere Kriterien zur Abgrenzung von Leiharbeit und Werkverträgen. Und diese Kriterien gehören nicht in das BGB, sondern vielmehr in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz.

Die Frage, wann besteht eine Schein-Selbstständigkeit und wann eine echte Selbstständigkeit, ist hingegen viel schwieriger zu beantworten. Manche werden in prekäre Situationen, in eine Schein-Selbstständigkeit, gedrängt. Andere aber haben sich bewusst für die Selbstständigkeit entschieden und viele brauchen – sofern sie tatsächlich für das Alter abgesichert sind – in keiner Weise die Fürsorge des Staates, weil sie gut oder sogar sehr gut von ihrer Selbstständigkeit leben können. Da bin ich ganz bei Ihnen. Es ist auch bekannt, dass viele Selbstständigen und deren Verbände die Statusfeststellungsverfahren zunehmend als Problem wahrnehmen. Sie klagen über unzeitgemäße Abgrenzungskriterien, langwierige Statusfeststellungsverfahren, hohe Bürokratie und über widersprüchliche Gerichtsurteile. Das führt zu Verunsicherung bei den Selbstständigen und Auftraggebenden gleichermaßen. Notwendig sind deshalb klare, aber an eine moderne Arbeitswelt angepasste Kriterien, die zwar gezielt Missbrauch verhindern, aber die echten Selbstständigen in ihrer Tätigkeit nicht beeinträchtigen, sondern vielmehr unterstützen. Die von der Bundesregierung entwickelten Kriterien passen da meiner Meinung nach nicht mehr. Sie entsprechen eben nicht einer sich verändernden, modernen Arbeitswelt.

Vor diesem Hintergrund sind die Maßnahmen der Bundesregierung nicht akzeptabel. Wenn der Gesetzentwurf dennoch in dieser Form eingebracht wird, werden wir dies im parlamentarischen Verfahren auch heftig kritisieren. Wir selbst arbeiten gerade an einer Lösung und in diesem Zusammenhang ist Ihr Vorschlag eines Mindeststundensatzes sehr interessant, denn wir denken – nicht nur, aber auch - in eine ähnliche Richtung.

Mit freundlichen Grüßen

Beate Müller-Gemmeke

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