Sind sie bereit, sich der rechten Hetzkampagne mutig entgegenzustellen und in einem nächsten Wahlgang für Brosius-Gersdorf zu stimmen?

Sehr geehrte Frau B.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Zuschrift zur geplanten Besetzung von offenen Richterstellen am Bundesverfassungsgericht – insbesondere zur Kandidatin Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf.
Wie Sie sicherlich mitbekommen haben, wurde gemeinsam mit der SPD-Bundestagsfraktion am 11. Juli entschieden, die Wahl vorerst zu verschieben und nochmals in gemeinsame Gespräche zu gehen. Ich nehme die mir zugetragenen Einwände und Bedenken gegen die Kandidatin Brosius-Gersdorf sehr ernst. Viele Menschen aus meiner Heimat haben sich mit unterschiedlichen Positionen dazu an mich gewandt. Daher habe ich mir in den vergangenen Wochen viele Gedanken darüber gemacht, wie ich meine persönliche Gewissensentscheidung zu diesem Wahlvorschlag treffe bzw. treffen werde. In diese Überlegungen fließen auch Hinweise zur ethischen und politischen Haltung der Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf ein. Da dieser Entscheidungsprozess sehr umfassend ist und auch Aspekte betrifft, die bislang kaum öffentlich diskutiert wurden, bitte ich um Verständnis, dass meine Antwort etwas ausführlicher ausfällt.
Der Schutz ungeborenen Lebens ist ein bedeutsames und konfliktreiches Thema. Auch mir als junger Frau und Christin ist es wichtig, dass wir als Gesellschaft und auch als Parlament klar für den Schutz ungeborenen Lebens eintreten. Das haben wir als Union immer deutlich gemacht: Der Lebensschutz – auch vorgeburtlich – ist ein zentraler Eckpfeiler unseres letzten CDU-Grundsatzprogramms und wurde ebenfalls klar im Koalitionsvertrag verankert.
Zugleich möchte ich offen einräumen – und dies auch als Versäumnis meiner Fraktion benennen – dass uns die Kommunikation zu dieser Debatte und der Umgang mit den Sorgen vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht gut gelungen ist. Viel zu spät haben wir auf eine Diskussion reagiert, die längst nicht mehr in der Sachlichkeit und Würde geführt wurde, die einem Berufungsverfahren an das Bundesverfassungsgericht angemessen wäre.
Gerade deshalb halte ich es für wichtig, dass die Debatte über die Eignung aller Kandidatinnen und Kandidaten – gegebenenfalls auch neuer Kandidaten – nun in einem deutlich sachlicheren Ton geführt wird. Es gibt meiner Auffassung nach gute Argumente sowohl für als auch gegen einzelne Vorschläge. Nun wird sich zeigen, welche dieser Argumente auch nach nüchterner Prüfung noch Bestand haben. Dafür werde ich mir mit der nötigen Sorgfalt die Originalquellen und Kontexte sehr genau ansehen – das ist für mich eine selbstverständliche Aufgabe als Abgeordnete.
Ich bin zudem überzeugt, dass die Berufung an das Bundesverfassungsgericht kein rein politischer Akt sein darf. Wie problematisch politisch geprägte Ernennungen sein können, sehen wir an den obersten Gerichten anderer Länder. Die Wahl mit der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag bzw. Bundesrat soll und muss sicherstellen, dass eine breite demokratische Legitimation besteht und dass die Kandidatinnen und Kandidaten über die notwendige juristische Qualifikation verfügen.
An eben dieser juristischen Expertise der vorgeschlagenen Person bestehen nach meiner Recherche aktuell keine Zweifel. Auch sehe ich keine Gefahr, dass Frau Prof. Dr. Brosius-Gersdorf oder ein anderer Kandidat „im Alleingang“ Änderungen an der bestehenden verfassungsrechtlichen Rechtsprechung bewirken könnte. Zum einen entscheiden die Senate immer kollektiv – mit mehreren Richterinnen und Richtern, darunter auch durch die Union benannte Mitglieder. Zum anderen werden Richter regelmäßig von Verfahren ausgeschlossen, wenn sie sich zuvor öffentlich zu einer rechtlichen Position geäußert haben (vgl. z. B. den Befangenheitsbeschluss des BVerfG zur Richterin Wallrabenstein vom 12.01.2021).
Dennoch sehe ich die Berufung der SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf auch kritisch. Unser Verfassungsgericht braucht eine Besetzung, die von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit mitgetragen wird. Die derzeit teils sehr polarisierenden Wortbeiträge – sowohl für als auch gegen die Kandidatin – leisten dazu aktuell keinen Beitrag und könnten diesen notwendigen gesellschaftlichen Konsens gefährden.
Ob und in welcher Form eine erneute Wahl stattfinden wird, ist daher derzeit noch offen. Ich werde den weiteren Prozess aufmerksam begleiten und die Kritikpunkte, Bedenken und Unterstützungsbekundungen aus meinem Wahlkreis in unsere Debatte einfließen lassen – ganz unabhängig davon, wie ich mich am Ende persönlich entscheide.
Mit freundlichen Grüßen
Anna Aeikens, MdB