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Anette Kramme
SPD
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Frage von Hannes M. •

Frage an Anette Kramme von Hannes M. bezüglich Kultur

Sie haben am 12.12.2012 für den § 1631 d BGB gestimmt, der die Entfernung der männlichen Vorhaut an nicht einsichts- und entscheidungsfähigen Kindern aus jeglichem Grunde erlaubt.
Viele MdBs trafen diese Entscheidung unter anderem auf Basis der ihnen vorgelegten Informationen. Unter anderem wurde ihnen erklärt, die Zirkumzision finde lege artis statt, habe gesundheitliche Vorteile und der Gesetzentwurf der Bundesregierung sei verfassungskonform.
Im März dieses Jahres wurde eine Stellungnahme von 38 Pädiatern aus 17 Nationen veröffentlich. Darin wird zusammen mit den Vorsitzenden von 19 europäischen Kinderärzteverbänden die Empfehlung der AAP zur Beschneidung von Jungen scharf kritisiert, weil die Risiken des medizinisch unnötigen Eingriffs die nicht belegten Vorteile bei Weitem überwiegen. Eine adäquate Schmerzausschaltung ist bei Säuglingen nicht möglich, dem noch im Rechtsausschuss hochgelobte Präparat EMLA wurde mittlerweile die Zulassung zur Anwendung auf der Genitalschleimhaut von Säuglingen entzogen.
Dr. Eschelbach, Richter im 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in einem der wichtigsten Kommentare zum StGB, dem sogenannten „Beck-Online-Kommentar“ das „Beschneidungsgesetz“ unter anderem so kommentiert:
„Das Gesetz ist offensichtlich verfassungswidrig (Art 1 Abs 1 GG, Art 3 Abs 2 GG, Art 79 Abs 3 GG). Der Verfassungsbruch aus Gründen der Staatsraison macht sich auch nicht bezahlt, weil er die Debatte nicht beenden kann. Bei näherer Betrachtung (Rn 9.1 ff; Rn 35.1 ff) wird evident, dass alle zugrundeliegenden Tatsachenannahmen falsch sind. „ Näheres hierzu lesen Sie bitte auf http://www.beschneidungsforum.de/index.php?page=Thread&threadID=2380
Meine Frage: Würde Sie auch heute noch, nach Kenntnis all dieser neuen Informationen heute ebenfalls noch für die Legalisierung der nicht therapeutischen Vorhautamputation an nicht einsichtsfähigen Kindern stimmen?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Moser,

aus gesundheitlichen Gründen konnte ich an der 2./3. Lesung des Gesetzentwurfs zur Beschneidung nicht teilnehmen, hätte mich bei der Abstimmung aber enthalten. Gerne möchte ich Ihnen meine Position kurz näher erläutern.

Die Beschneidung männlicher Kinder hat in der jüdischen und muslimischen Religion eine lange Tradition. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung und Konstituierung für den Glauben muss sie erlaubt sein. Dabei steht für mich aber das Wohl des Kindes im Mittelpunkt, ohne die Religionsfreiheit und die zentrale Bedeutung für viele Menschen infrage stellen oder abwerten zu wollen.

Leider sehe ich in keinem der vorgelegten Gesetzentwürfe eine angemessene Lösung. Ich habe erhebliche Bedenken, dass die Beschneidung durch eine Person ohne ausreichende ärztliche Ausbildung toleriert werden soll. Zweifelsfrei handelt es sich um einen chirurgischen Eingriff. Zweifelsfrei verursacht er erhebliche Schmerzen, auch im frühesten Babyalter. In Respekt vor dem Grundrecht der Ausübung der Religionsfreiheit ist es nach meiner Auffassung geboten, dieses Ritual mit den ansonsten in Deutschland üblichen medizinischen Standards bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit zu verbinden.

Den Gesetzentwurf, der eine Beschneidung aus religiösen Gründen erst ab einem Lebensalter ab 14 Jahren erlaubt, lehne ich ab. Auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist für mich in seiner Ursprungsversion nicht zustimmungsfähig. Die Änderungsanträge der SPD-Fraktion zum Entwurf der Bundesregierung wären notwendige und sinnvolle Verbesserungen gewesen. Dies gilt insbesondere für den Antrag, der eine Fristverkürzung auf zwei Monate für einen derartigen Eingriff durch eine nicht approbierte Person vorsieht. Ich bedauere sehr, dass es vonseiten der die Regierung tragenden Fraktionen kein Interesse an einem interfraktionellen Dialog gegeben hat, der eine von einer äußerst breiten Mehrheit getragene Entscheidung ermöglicht hätte.

Da keine Lösung zur Abstimmung gestanden hat, der ich umfänglich hätte zustimmen könne, hätte ich mich im Hinblick auf die Regierungsvorlage der Stimme enthalten.

Als Fazit bleibt: Eine Debatte über die Notwendigkeit der Beschneidung von Jungen schon in einem Alter, wo der eigene Wille nicht ausreichend zum Ausdruck gebracht werden kann, muss innerhalb der muslimischen und jüdischen Religionsgemeinschaft selbst geführt werden und kann nicht von außen durch eine gesetzliche Regelung erzwungen bzw. ersetzt werden. Zugleich fühle ich mich verpflichtet, mich in der gesellschaftlichen Debatte weiter für die Ermöglichung der Beschneidung aus religiösen Gründen durch medizinisch geeignete Personen einzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen

Anette Kramme

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