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Agnieszka Brugger
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Matthias H. •

Frage an Agnieszka Brugger von Matthias H. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben

Hallo Frau Brugger,

ich habe eine Frage an Sie zu dem Antrag der Grünen Bundestagsfraktion aus dem Jahr 2015 "Abgeltungssteuer abschaffen". Darin fordert ihr Partei, die Abgeltungssteuer abzuschaffen und Kapitalerträge wieder mit dem individuellen Einkommensteuersatz zu besteuern. Bei Dividenden und Veräußerungsgewinnen soll demnach wieder das Teil- bzw. Halbeinkünfteverfahren zum Zug kommen. Dazu hab ich folgende Frage: Gerade durch das Halbeinkünfteverfahren werden doch im Vergleich zu dem jetzigen System der Abgeltungssteuer, Kapitalerträge geringer besteuert, wovon vor allem Großanleger profitieren würden. Denn wenn ich auf 100% des Kapitalertrages 25% Steuern zahle (Abgeltungssteuer), ist das immer noch mehr, als wenn ich auf 50% der Kapitalerträge den Spitzensteuersatz von derzeit 45% zahle (Halbeinkünfteverfahren). Verstehe ich da etwas falsch, oder fordert ihre Partei das wirklich so? Das würde dann aber nicht dem Gedanken Rechnung tragen, dass Kapitaleinkommen höher und damit gerechter besteuert wird, als das aktuell der Fall ist. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir diese Frage beantworten könnten. Mit freundlichen Grüßen, Matthias Hartwig.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Hartwig,

vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihr Interesse an der Grünen Position zur Abgeltungsteuer. In der Tat sehen auch wir keine relevanten Aufkommenswirkungen im Falle einer Abschaffung der Abgeltungsteuer. Die Einführung des Teileinkünfteverfahrens (die Aussage zum Halbeinkünfteverfahren bezieht sich auf eine veraltete Position) wird voraussichtlich zu einer ähnlich hohen Besteuerung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen von Anteilen an Körperschaften führen.

Durch die Anwendung des Teileinkünfteverfahrens (60 % der Dividende ist bei den Anteilseigner*innen zu besteuern) hätte das jedoch zu Folge, dass Dividenden in hohen Einkommensbereichen tariflich höher besteuert würden als heute. Anleger*innen mit Einkünften unterhalb des Spitzensteuersatzes würden im Vergleich zur Abgeltungsteuer entlastet werden.

Einen entscheidenden Unterschied wird es jedoch bei der Besteuerung von Zinserträgen und ähnlichen Einkünften geben, wo das Teileinkünfteverfahren keine Anwendung finden wird. Hier wird es einen tatsächlichen Steuersatzunterschied von bis zu 20 Prozentpunkten geben. Auch wenn das Zinsniveau aktuell sehr niedrig oder sogar negativ ist, ändert dies nichts an der Tatsache, dass Zinserträge aus Gerechtigkeitsgründen wie Arbeitseinkünfte besteuert werden sollten.

Ein Vorteil der Abschaffung der Abgeltungsteuer ist zudem die Beseitigung der Anonymität bei Kapitaleinkünften, denn die Abgeltungsteuer wird heute anonym abgeführt. Arbeitnehmer*innen müssen sich bei den Steuerbehörden eine Reihe von persönlichen Angaben machen. Alle steuerrelevanten Informationen, wie Lohnsteuerbescheinigung oder Versicherungsbeiträge, werden automatisch an das Finanzamt gemeldet. Durch die Nichtanwendung des Vermögensteuergesetzes sowie durch die Einführung der Abgeltungsteuer sind Kapitalvermögen (und Erträge daraus) für Finanzbehörden nahezu unsichtbar geworden. Den Finanzbeamt*innen fehlen dadurch wichtige Anhaltspunkte für Steuerhinterziehung und fehlerhafte Steuererklärungen.

Des Weiteren kann eine Abgeltungsteuer von 25 % einen Anreiz darstellen, Einkünfte künstlich als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu deklarieren. Zudem ist sie trotz Vereinfachung beim Steuervollzug komplex. Dies zeigen die nötigen Anti-Missbrauch-Regelungen (§32d Abs. 2 EStG) sowie das umfangreiche BMF-Schreiben zur Abgeltungsteuer. Ein weiterer Grund für die Abschaffung ist die aktuelle Bevorteilung der Fremd- gegenüber der Eigenfinanzierung durch den niedrigeren Steuersatz, was eine ökonomische Verzerrung hervorruft.

Um sehr hohe Einkommen zukünftig stärker zu besteuern, fordern die Grünen eine Anhebung des Spitzensteuersatzes für Single-Einkommen ab 100.000 Euro. Bei Abschaffung der Abgeltungsteuer würde somit auch der Steuersatz auf Kapitalerträge steigen. Um den Finanzmarkt zu entschleunigen und diejenigen stärker am Gemeinwohl zu beteiligen, die mit kurzen Börsengeschäften hohe Gewinne einfahren, brauchen wir zudem eine Finanztransaktionsteuer, wie sie einst von der Europäischen Kommission vorgeschlagen wurde: Eine Besteuerung von Aktien, Derivaten, Anleihen und Devisen, von Verkäufen, die während eines Tages getätigt werden, sowie von Transaktionen im Hochfrequenzhandel. Der aktuelle Vorschlag von Finanzminister Olaf Scholz geht leider in die komplett falsche Richtung. Er sieht vor, dass nur 2 Prozent der Umsätze am Finanzmarkt besteuert werden und ist damit ein Bluff.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen einen Überblick verschaffen, warum wir Grünen uns trotz geringer Aufkommenswirkung für eine Abschaffung der Abgeltungsteuer aussprechen.

Mit freundlichem Gruß

Agnieszka Brugger

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