Frage von Hans M. •

Geht es nicht auch heute vorrängig nur um die Interessen von Staaten und Bündnissen und ggf. Märkten ? Wie anders ist Trumps Credo "America first" zu werten?

Herr Mützenich,

Egon Bahr hat aktiv an internationaler Politik mitgearbeitet und war, meiner festen Überzeugung nach, ein Politiker mit sehr hoher nationaler und internationaler Reputation. Sein Wort hatte Gewicht !

Schau ich mir die heutige Realität an, z.B die unterschiedliche Wertung von Völkerrechtsbrüchen, abhängig davon, wer sie begeht, u.v.m., beeindruckt mich folgendes Bahr Zitat sehr:

"In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt. (Rede vor Schülern in Heidelberg, 2013) "

https://www.zitate7.de/autor/Egon+Bahr/

Herr Mützenich, mich interessiert Ihre Einschätzung als SPD Urgestein.

Hat sich an Egon Bahrs, noch 2013 gültiger Aussage, bis heute wesentlcih etwas geändert?

Geht es nicht auch heute vorrängig nur um die Interessen von Staaten und Bündnissen und ggf. Märkten ?

Wie ggf. anders bewerten Sie Trumps Credo "America first" ?

Portrait von Rolf Mützenich
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr M., 

Europa und die Welt sind im Umbruch. Wir leben in einer Zeit fundamentaler geopolitischer und geoökonomischer Veränderungen. Die Welt bewegt sich in einem rasanten Tempo fort: politisch, wirtschaftlich, technologisch und auch gesellschaftlich. Die globalen Machtverhältnisse verschieben sich, die Konflikte nehmen Überhand und die internationale, an Verträge und Werten gebundene Ordnung, die über 75 Jahre zumindest in unserer Region Sicherheit und Stabilität gewährte, gerät zunehmend ins Wanken. 

Gerade vor diesem Hintergrund müssen wir Europäer auch die Frage beantworten, wie wir mit diesen Herausforderungen umgehen.  Wollen wir es zulassen, dass über unsere Geschicke künftig in Moskau, Peking oder Washington bestimmt wird, oder es schaffen wir es, eigenständiger zu handeln und strategische Souveränität zu erlangen?

Strategische Souveränität darf dabei nicht mit Autarkie oder gar Abschottung verwechselt werden. Im Gegenteil: Europa und insbesondere die Bundesrepublik Deutschland als eine international vernetzte Handels- und Exportmacht haben in den vergangenen Jahrzehnten massiv von der Globalisierung und einem auf Regeln basierenden internationalen System profitiert. Die EU sollte daher alles dafür tun, um den freien Welthandel zu erhalten und sicherzustellen, dass eine multipolare Ordnung keine regellose Ordnung wird.

Dafür ist es notwendig, dass vor allem die Demokratien der Welt sich zusammentun, um die internationale und regelbasierte Ordnung gegen ihre autoritären Herausforderer von außen und von innen zu verteidigen. 

Gleichzeitig müssen wir auch neue Partnerschaften jenseits der westlichen und demokratischen Welt knüpfen, um die internationale und regelbasierte Ordnung zu stärken und zu bewahren. 

Die künftige Weltordnung wird nicht nur von den traditionellen Großmächten bestimmt werden. Besonders der sogenannte Globale Süden hat in den vergangenen Jahren ein neues Selbstbewusstsein entwickelt. Er ist zwar kein monolithischer Block, da die Länder des Globalen Südens unterschiedliche Interessen verfolgen. Doch was sie eint, ist ihr Wunsch nach mehr Mitspracherecht und einer gerechteren und inklusiveren Weltordnung. Er teilt mit Europa das Interesse an einer multilateralen und regelbasierten Ordnung, die auf der Stärke des Rechts und nicht auf dem Recht des Stärkeren basiert.

Wir dürfen deshalb nicht nur in Schwarz-Weiß-Kategorien denken. Wir sollten die Bestrebungen des Globalen Südens nach einer gerechteren und inklusiveren Weltordnung unterstützen und neue Partnerschaften und Bündnisse mit diesen Ländern gründen – auf Augenhöhe und zum beiderseitigen Vorteil. Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Wiederbelebung der Beziehungen zu den Schwellen- und Entwicklungsländern zu einem zentralen Punkt seiner außenpolitischen Agenda gemacht.

Die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, zwingen uns, über die internationale Ordnung und über Europas Rolle in der Welt neu nachzudenken. 

Gerade deshalb ist es umso wichtiger, dass wir an den über Jahrzehnten geschaffenen Regeln und Normen der internationalen Politik festhalten, sie stärken und weiterentwickeln. Wir brauchen eine internationale Ordnung, die auf gemeinsamen Interessen, auf Kooperation, Mitgestaltung, friedlichen Wandel und Koexistenz gründet. Der Kampf gegen Hunger und Ausbeutung muss diese Interessen ergänzen. Denn die globalen Zukunftsaufgaben – Krieg und Frieden, Klimawandel, Migration, globale Gerechtigkeit und soziale Ungleichheit – sind nicht durch nationalistische Alleingänge, sondern nur gemeinsam durch die internationale Gemeinschaft zu bewältigen.

Mit freundlichen Grüßen

Rolf Mützenich

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