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Rita Hagl-Kehl
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Frage von Ulrich S. •

Frage an Rita Hagl-Kehl von Ulrich S.

Sehr geehrte Frau Hagl-Kehl,

auf der Seite abgeordnetenwatch.de ist zu entnehmen, dass sie Ende Februar der Verlängerung des 2. Hilfspakets zugestimmt haben. Sind Sie jetzt zufrieden mit der griechischen Regierung bzgl. der Einhaltung der Vereinbarungen?

Da jetzt erneut verhandelt wird, -wenn man das Kasperltheater als Verhandlungen nennen möchte- wird voraussichtlich wieder der BT zustimmen müssen. Meiner Meinung nach ist es extrem unverantwortlich, da noch weitere Kredite zu gewähren denn das Land hat schon 320´000´000´000 € Schulden, die es nie zurückzahlen kann. Außerdem haben sich ELA Kredite von ca 80´000´000´000 € und enorme Target 2 Verbindlichkeiten in ähnlicher Größenordnung angesammelt. Griechenland ist somit nicht mehr weit von einer halben Billion € Schulden entfernt. Wäre das noch eine seriöse Politik zu nennen, wenn man nicht endlich aufhören würde, weiterhin Geld in so ein Fass ohne Boden zu werfen ? Im nationalen Recht gibt es die Straftat Insolvenzverschleppung. Hier kein Thema ?

Griechenland will sich nicht reformieren, die wollen ihren eigenen "way of life" behalten, was ich als Griechenland Fan auch sehr gut verstehen kann. Aber sich von anderen Ländern alimentieren zu lassen, das geht absolut nicht.

Mich würde interessieren, ob sie weiterhin Hilfspaketen für GR zustimmen werden und wie sie dies begründen.

Mit freundlichem Gruß
U Sigl

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Sehr geehrter Herr Sigl,

ich habe sowohl im Februar für die Finanzhilfen, als auch anschließend im August für das 86 Mrd.-Euro-Kreditpaket für Griechenland gestimmt.

Nachdem eine Verlängerung des seit 2012 laufenden 2. Hilfspaketes wegen der Bedingungen der europäischen Partner für die griechische Regierung nicht mehr zu akzeptieren war, hat die griechische Regierung, am 8. Juli 2015 einen Antrag auf ein dreijähriges Hilfsprogramm beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (besser bekannt unter der Abkürzung ESM) gestellt. Nach äußerst schwierigen Verhandlungen konnten sich die Staat- und Regierungschefs der Eurozone am 12. und 13. Juli auf einen Kompromiss für ein neues Hilfsprogramm einigen. Dieses wurde am 15. Juli mit großer Mehrheit vom griechischen Parlament gebilligt. Hierbei wurden auch schon vier Gesetzesentwürfe beschlossen, u.a. teile einer Mehrwertsteuerreform und einer Rentenreform.

Die Verhandlungsergebnisse zeichnen sich besonders dadurch aus, dass beide Seiten aufeinander zugegangen sind. Dies signalisiert große Reformbereitschaft und zeigt, dass der griechischen Regierung durchaus daran gelegen ist, seinen bisherigen – wie sie es nennen – „eigenen way of life“ zu verändern.

Das dritte Hilfsprogramm bietet aus meiner Sicht echte Chancen, Griechenland mit der Hilfe der europäischen Partner auf einen Wachstumskurs zu führen, da im Zentrum der Vereinbarung eben nicht nur Sparziele und Haushaltsvorgaben definiert sind, sondern auch strukturelle Verbesserungen der griechischen Wirtschaft und Verwaltung. Diese Reformen sind längst überfällig und sollen Griechenland ermöglichen, effektiv Steuern einzutreiben und ein finanzierbares Sozialsystem auf die Beine zu stellen. Nur dann können Staatseinnahmen und Investitionen dauerhaft ansteigen und die dringend benötigten Arbeitsplätze entstehen.
Dass dies gelingt, ist im Interesse der Menschen in Griechenland, es ist aber auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger der anderen Staaten der Eurozone und der EU. Deutschland ist dabei nicht nur eingeschlossen und sondern steht vielleicht sogar an erster Stelle. Auch wenn es unpopulär ist, es auszusprechen: Zu jedem Schuldner gehört auch ein Gläubiger und meiner Meinung nach hat nicht nur der Schuldner, sondern auch der Gläubiger eine Verantwortung für die Vergabe eines Kredits, egal ob der Kreditgeber ein Staat, eine Bank oder ein Rentenfond ist.

Die Alternative zu einer weiteren Chance für Griechenland wäre ein umgehender Staatsbankrott Griechenlands und ein ungeordnetes Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone gewesen. Diese Alternative birgt aus meiner Sicht die deutlich größeren Gefahren. In Griechenland wären die Folgen verheerend gewesen, das Bankensystem wäre zusammengebrochen, die medizinische Versorgung wäre nicht mehr gewährleistet gewesen, noch mehr Arbeitsplätze wären vernichtet worden, viele Griechinnen und Griechen würden in völlige Armut absinken und müssten dann Hilfe aus ganz anderen, nämlich humanitären EU-Mitteln erhalten.

Aber auch die Folgen für Deutschland wären dramatisch. Selbst wenn ein „Grexit“ für Deutschland und die Eurozone kurzfristig ökonomisch verkraftbar wäre – die langfristigen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen für unseren Kontinent wären es meiner Meinung nach nicht. Deutschland ist das wirtschaftlich stärkste Land in Europa. Gerade deswegen haben wir am meisten zu verlieren. Kein anderes Land profitiert so sehr von der europäischen Einigung, vom Binnenmarkt und vom Euro wie wir. Hinzu kommt: Die Krisen unserer Zeit werden wir nur bewältigen, wenn Europa geschlossen und gemeinsam agiert. Das gilt für die Situation in der Ukraine genauso wie für die Flüchtlingskrise, aber auch für globale Themen wie den Klimawandel. Ein Auseinanderbrechen Europas hätte schwerwiegende Folgen und muss deswegen vermieden werden.

In den Verhandlungen zu den Rettungspaketen wurde auch dem letzten Verfechter radikal-einfacher Lösungen klar, dass (1.) das gemeinsame übergeordnete Ziel darin besteht, das Auseinanderbrechen Europas zu verhindern, und dass es (2.) dafür einen für alle Seiten zwar unglaublich hohen, aber immer noch angemessenen Preis geben kann – den es eben auszuhandeln galt. Das Ergebnis ist meiner Meinung nach alle getroffenen Verpflichtungen und vermutlich auch leider jede der vielen Nullen in den von Ihnen genannten Summen wert.

Mit freundlichen Grüßen
Rita Hagl-Kehl

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