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Frage von Klaus G. •

Frage an Otto Fricke von Klaus G. bezüglich Jugend

Sehr geehrter Herr Fricke

die Bundesregierung will kurzfristig im November einen Gesetzentwurf einbringen, der die Beschneidung von nichteinwilligungsfähigen Jungen ohne medizinische Indikation legalisiert. Hintergrund ist ein Urteil des LG Köln von Mai und eine Bundestagsresolution vom 19. Juli 2012.

Über 60 Ihrer Kolleginnen und Kollegen haben jetzt einen Alternativentwurf vorgelegt, der die Legalisierung dieses mit Risiken behafteten, schmerzhaften und irreversiblen Eingriffs von der Einwilligung ab dem Alter von 14 Jahren und nur durch zugelassene Fachärzte nach ausführlicher Aufklärung vorsieht.

Können Sie diesem Alternativentwurf zustimmen?

Sind Sie mit mir der Meinung, dass der Gesetzesentwurf der Bundesregierung nicht vereinbar ist mit dem Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2,2 GG), dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3, Satz 1 und 2 und dem Artikel 24,3 der UN-Kinderechtskonvention, der die Vertragsstaaten verpflichtet „alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen zu treffen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen"?

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Gengnagel

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Sehr geehrter Herr Gengnagel,

vielen Dank für Ihre Frage zur Beschneidung von Jungen, die in dieser Woche im Bundestag in 1. Lesung beraten wird. Gerne gehe ich ein wenig ausführlicher auf Ihre Frage ein, so wie es viele Kollegen bereits getan haben.
Das Landgericht Köln hat mit seinem Urteil vom 7. Mai 2012 die Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen Gründen als rechtswidrige Körperverletzung gewertet. Dies hat zu einer breiten öffentlichen Diskussion zur Zulässigkeit von Beschneidungen geführt. Zwar entfaltet die Entscheidung über den konkreten Fall hinaus keine rechtliche Bindungswirkung. Sie hat aber für große Verunsicherung vor allem bei jüdischen und muslimischen Gläubigen gesorgt, weil sie befürchten, dass Beschneidungen von Jungen in Deutschland generell nicht mehr erlaubt seien. Auch Ärzte sind verunsichert, ob sie strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie künftig Beschneidungen vornehmen.
Die derzeitige Rechtslage stellt sich dabei nach meiner Meinung wie folgt dar: Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit sind nach dem Gesetz u.a. dann nicht rechtswidrig, wenn sie mit wirksamer Einwilligung des Betroffenen vorgenommen werden. Ist ein betroffenes Kind aufgrund seines Alters noch nicht einwilligungsfähig, kommt es auf die wirksame Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern als gesetzliche Vertreter an. Die Frage der Wirksamkeit der Einwilligung der Eltern ist grundsätzlich, d.h. auch bei einer strafrechtlichen Bewertung, zivilrechtlich zu beurteilen. Im Rahmen dieser zivilrechtlichen Beurteilung hat bei der Anwendung und Auslegung der entsprechenden Vorschriften im Kindschaftsrecht eine Abwägung zwischen den sich gegenüberstehenden Grundrechtspositionen zu erfolgen. Dies ist zunächst die verfassungsrechtlich geschützte Gesundheit und körperliche Unversehrtheit des Kindes sowie die durch Artikel 4 GG geschützte negative Religionsfreiheit des Kindes. Auf der anderen Seite sind zu nennen das durch Artikel 6 GG geschützte Erziehungsrecht der Eltern und die nach Artikel 4 GG geschützte positive Religionsfreiheit des Kindes, die bis zur Vollendung des 12. bzw. 14. Lebensjahres für das Kind durch die Eltern wahrgenommen wird.
Die Beschneidung stellt einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindes dar. Dies ist nach bisher herrschender Auffassung regelmäßig ein routinemäßiger medizinischer Eingriff. Der Eingriff ist in seiner Tragweite mit der Beschneidung von Frauen überhaupt nicht zu vergleichen, bei welcher es zum Abschneiden weiblicher Genitalien kommt, um das Sexualempfinden der Frauen einzuschränken; diese Praxis ist mit Nachdruck zu verurteilen und schlicht strafbar.
Allerdings wird durch die Strafbarkeit von Beschneidungen in das Erziehungsrecht und die Religionsfreiheit eingegriffen. Die Entscheidung über die Erziehung des Kindes obliegt grundsätzlich den Eltern des Kindes. Das gilt auch für die Religion des Kindes. Nur bei einem Missbrauch des Erziehungsrechts ist der Staat verpflichtet, dieses für die Eltern auszuüben. Ein Verbot der Beschneidung verhindert aber den Eintritt des Kindes in die Religionsgemeinschaft als solches und betrifft nicht nur die Art und Weise der Religionsausübung. Die jüdischen und muslimischen Eltern lassen ihr Kind beschneiden, um ihr Kind in ihre Religionsgemeinschaft "aufzunehmen".
Der Akt der Beschneidung gilt im jüdischen Glauben als Eintritt in den Bund mit Gott. Sie ist daher eine entscheidende Voraussetzung für die Teilnahme am religiösen Leben und damit für die Möglichkeit das Judentum zu praktizieren. Im muslimischen Glauben hat die Beschneidung einen vergleichbaren Stellenwert:
Eine Strafbarkeit der Beschneidung in Deutschland könnte zu einer Ausgrenzung des Kindes führen, da es bis zu einem gewissen Alter außerhalb der elterlichen Religionsgemeinschaft "aufwachsen" würde. Aufgrund der fehlenden religiösen Mitwirkungsmöglichkeiten besteht die Gefahr, dass das Kind seelische Schäden davon trägt. Zudem setzt man das Kind einer viel größeren gesundheitlichen Gefahr aus, wenn Eltern und Ärzte hier eine strafrechtliche Verfolgung befürchten. Denn dadurch wird die Beschneidung nicht unterlassen. Viele Eltern sähen sich gezwungen, ihre Kinder von nicht medizinisch ausgebildeten Personen im Ausland beschneiden zu lassen. Die damit für das Kind verbundenen gesundheitlichen Risiken können nicht im Sinne des Kindes sein.
Auch erscheint es vor dem Hintergrund unserer Geschichte sehr problematisch, dass Deutschland das einzige Land weltweit wäre, das Juden und Muslime durch ein Verbot der Beschneidung in ihrem Recht auf Religionsausübung derart einschränkt.
Vor diesem Hintergrund hat auch die FDP-Bundestagsfraktion zusammen mit der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion am 19. Juli 2012 die Bundesregierung aufgefordert im Herbst 2012 unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist (BT-Drs.: 17/10331).

Die Bundesregierung ist dieser Aufforderung nachgekommen und hat am 10. Oktober 2012 einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Vorgesehen ist, im Recht der elterlichen Sorge (§§ 1626 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB) klarzustellen, dass die Personensorge der Eltern grundsätzlich auch das Recht umfasst, bei Einhaltung bestimmter Anforderungen in eine nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres nicht einsichts- und urteilsfähigen Sohnes einzuwilligen. Dies soll nur dann nicht gelten, wenn im Einzelfall durch die Beschneidung, auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks, das Kindeswohl gefährdet wird. In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Sohnes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen die Beschneidung vornehmen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und für die Durchführung der Beschneidung einer Ärztin oder einem Arzt vergleichbar befähigt sind.
Um sich detailliert über das Thema zu informieren hat die FDP-Bundestagsfraktion am 16. Oktober 2012 ein Expertengespräch zu diesem Thema durchgeführt. Der Gesetzentwurf wurde dabei von der weit überwiegenden Anzahl der Sachverständigen unterstützt.
Nach der 1. Lesung, die diese Woche im Bundestag stattfindet wird, ist eine umfassende Sachverständigenanhörung im Rechtsauschuss zu diesem Thema vorgesehen. Dabei bin ich hinsichtlich weiterer Erkenntnisse, die zur Klärung beitragen können, nach wie vor offen.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen weitergeholfen zu habe.

Mit freundlichen Grüßen

Otto Fricke

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