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Mechthild Rawert
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Frage von Jan B. •

Frage an Mechthild Rawert von Jan B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Ich bin Vater eines dreijährigen Sohnes, wohnhaft in Berlin-Tempelhof, und habe seit der Trennung von meiner Frau mittlerweile ein Umgangsrecht mit einer zeitlichen Aufteilung von ca. 30:70 "erarbeitet". Trotz intensiver Bemühungen und dem Interesse meines Sohnes sowie der sehr guten Bindung zwischen Vater und Sohn, ist es im deutschen Familienrecht praktisch unmöglich gegen den Willen der Mutter eine darüberhinausgehenden Umgang zu realisieren. Im August 2019 war beabsichtigt, dass mein Sohn die wohnortnahe Kindertagesstätte in Tempelhof besucht. Da die Mutter allerdings beabsichtigte mit ihrem Lebensgefährten zusammenzuziehen, besuchte er nie die Kindertagesstätte in Tempelhof, sondern wurde ohne meine Zustimmung in der Kindertagesstätte des Deutschen Bundestags angemeldet, in der der Lebensgefährte der Mutter meines Sohnes arbeitet. Dieser Lebensgefährte unterschrieb gesetzwidrig als Sorgeberechtigter einen Betreuungsvertrag für die Kindertagesstätte des Deutschen Bundestags, in der mein Sohn fortan gegen meinen Willen betreut wurde. In der Folge wurde durch das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg entschieden, dass mein Sohn weiterhin die Kindertagesstätte des Deutschen Bundestags besucht, da eine Umgewöhnung in eine andere Kindertagesstätte nicht dem Kindeswohl entsprochen hätte. In der Vergangenheit ist durch einen häufig vereitelten Umgang eine enorme Belastung entstanden. Und an dieser Stelle sei auch erwähnt, dass durch die für die zahlreichen Gerichtsverfahren notwendigen finanziellen Mittel und der geforderten Kindesunterhalt die Lebensbedingungen für einen Vater, der seinem Sohn angemessen betreuen und ein Kinderzimmer in einer Wohnung in Tempelhof zur Verfügung stellen möchte, erschwert sind. Ihr Slogan "Gleiche Rechte, gleiche Chancen, gleicher Respekt" klingt für mich in diesem Zusammenhang sehr realitätsfern. Ich würde gerne wissen, welche Ziele Sie hinsichtlich einer gerechten Gesellschaft mit Blick auf Trennungsfamilien verfolgen?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Herr Bartels,

ich danke Ihnen recht herzlich für Ihr Schreiben vom 28.09.2020, in dem Sie Ihre sehr persönliche Situation schildern. Auf abgeordnetenwatch.de schildern Sie Ihre Situation und die Beziehung zur Mutter Ihres Kindes als schwierig. Mir tut es immer leid, wenn ehemals Liebende Schwierigkeiten haben, die partnerschaftliche Ebene für sich nicht zufriedenstellend von der elterlichen Sorge zu trennen. Derzeit finden politische Debatten zum Familienrecht statt. Als SPD-Bundestagsfraktion diskutieren wir diese auch unter dem Gesichtspunkt traditioneller und moderner Rollenzuschreibungen. Wir wollen für die unterschiedlichen Lebensstile und Lebensformen "Gleiche Rechte. Gleiche Chancen. Gleicher Respekt". Wie Sie schildern, entspricht die heutige Rechtslage nicht mehr immer der Lebensrealität vieler Familien im 21. Jahrhundert. Das traditionelle Modell, in dem ein Elternteil betreut und ein Elternteil unterhaltspflichtiger Alleinverdiener ist, ist eigentlich überholt. Dennoch wird es auch in jungen Ehen sehr häufig gelebt. Sie werden verstehen, dass ich mich zu Ihrer individuellen Lebenssituation nicht äußern kann. Der Bundesgerichtshof hat jedoch 2017 klargestellt, dass das Wechselmodell – nach dem Kinder abwechselnd bei einem Elternteil leben können – auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden kann, wenn es denn dem Kindeswohl entspricht und zuvor keinerlei Gewalt in der Beziehung geherrscht hat. Diese – nun auch von einigen unteren Gerichten angewandte – Rechtsprechung haben wir Sozialdemokrat*innen durchaus begrüßt. Anders als in Ländern wie Frankreich, Belgien, Italien oder Spanien ist die Abkehr vom sogenannten Residenzmodell – nach dem das Kind nach einer Trennung nur von einem Elternteil betreut wird – in Deutschland jedoch nicht explizit gesetzlich verankert sondern Richterrecht. Wir Sozialdemokrat*innen wollen eine Rechtsgrundlage im BGB schaffen, auf deren Basis das Wechselmodell nach eingehender Einzelfallprüfung und im Sinne des Kindeswohls angeordnet werden kann. Mit der Regelung über die Betreuung eines Kindes und die Umgangsrechte einher geht für uns auch die Regelung über die gerechte Verteilung der Unterhaltslasten zwischen den Eltern. Das Justizministerium hat eine strukturelle Reform des Kindschaftsrechts angekündigt. Die Arbeiten an diesem umfassenden Reformprojekt dauern allerdings noch an: Reformen im sensiblen Bereich des Familienrechts bedürfen eines intensiven begleitenden Austauschs mit Betroffenen, der Wissenschaft, Interessensverbänden und der Politik. Unser Ziel ist eine Familienrechtsreform, die von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wird, damit darauf basierende Entscheidungen auch breit anerkannt werden. Bisherige Vorarbeiten haben deutlich gemacht, dass in einigen Bereichen des Familienrechts akuter Handlungsbedarf besteht. Deshalb wollen wir noch in dieser Legislaturperiode mit einer Teilreform beginnen, die u.a. die Vereinfachung der Begründung gemeinsamer elterlicher Sorge aufgrund Anerkennung der Elternschaft, einen verbesserten Gewaltschutz im Umgangsrecht, die Stärkung der Konfliktlösung zur Vermeidung der Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die gleichrangige Mutterstellung zweier Frauen kraft Ehe und Anerkennung enthält. Auch für die Anwendung des vereinbarten oder angeordneten Wechselmodells sieht die Teilreform pragmatische Lösungen vor. So soll u.a. geregelt werden, dass künftig gemeinsam sorgeberechtigte und nicht nur vorübergehend getrenntlebende Elternteile gegenüber den jeweils anderen Elternteilen Kindesunterhaltsansprüche geltend machen können. Zusätzliche Ergänzungspflegschaften und Übertragungen der Entscheidungsbefugnisse werden dadurch überflüssig. Auch soll eindeutig geklärt werden, welche Angelegenheiten des täglichen Lebens jedes Elternteil künftig allein und welche gemeinsam zu entscheiden sind. Darüber hinaus soll auch die durch höchstrichterliche Rechtsprechung bereits praktizierte Kindergeldanrechnung in den Fällen des Wechselmodells klargestellt werden. Wir wollen mit den geplanten Änderungen grundsätzlich mehr Rechtssicherheit erzielen – und auch ein im Alltag gelebtes Wechselmodell vereinfachen. Wir hoffen, darum, den Gesetzentwurf zeitnah im parlamentarischen Verfahren beraten zu können. Noch nicht bekannt sind mir derzeit die Vorstellungen unseres Koalitionspartners zur Reform.

Mit freundlichen Grüßen

Mechthild Rawert