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Matthias W. Birkwald
DIE LINKE
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Frage von Nicole K. •

Hallo Matthias W. Birkwald, setzen Sie sich in Ihren Netzwerken auch für eine Prüfung des AfD-Verbots ein, wie es die aktuelle Petition https://innn.it/afdverbot fordert?

Wie steht Ihre Partei dazu? Danke vorab für Ihr Statement.

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DIE LINKE

Sehr geehrte Frau K.,

haben Sie vielen Dank für Ihre Frage.

Ich habe die Petition mit Interesse gelesen und Sie können gewiss sein, dass ich Ihr Anliegen sehr ernst nehme. Beim derzeitigen Stand kann ich allerdings Ihr Anliegen eines Verbotsantrags gegen die AfD nicht unterstützen, wofür ich um Ihr Verständnis bitte.

In der grundsätzlichen Ablehnung der menschenfeindlichen politischen Inhalte der AfD, insbesondere ihrer diskriminierenden und illiberalen Positionen sind wir uns einig. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem die programmatischen Maximen der AfD Gesetz wären. Zu oft habe ich direkt oder indirekt aus der Mitte der AfD rassistische, gleichberechtigungsfeindliche und diskriminierende Haltungen und Aussagen vernommen; nicht nur, aber eben auch. Ein Land und eine Gesellschaft, in der Menschen aufgrund ihrer Religion, ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer sozialen Situation erlaubterweise schlechter behandelt würden, ist eine Schreckensvision für mich.

In diesem Zusammenhang besorgt mich durchaus, dass viele Menschen, vor allem in den neuen Bundesländern, nach meiner Einschätzung zwar keineswegs rassistische, gleich­berechtigungsfeindliche, menschenfeindliche, autoritäre und diskriminierende Haltungen pflegen, dass sie aber solche Positionen nicht so kategorisch ablehnen, dass ihnen die Wahl der AfD als inakzeptabel erschiene. Diese Einstellung ist schlimm genug und sie bereitet mir Sorge. Sie zeigt jedoch eine andere Situation an als eine, in der sich die Gesellschaft auf dem Weg in den Faschismus befindet.

Bis auf einen harten Kern derjenigen, die solche Einstellungen und Positionen tatsächlich überzeugt vertreten und durch nichts von der Wahl der AfD abzubringen wären, erscheint es mir jedoch falsch und im Kern undemokratisch, die Menschen, die die AfD auf dem Wahlzettel angekreuzt haben, für die Demokratie als unwiederbringlich verloren zu erklären. Auch hier stehen meines Erachtens die demokratischen Parteien in der Pflicht, durch eine deutlich bessere Politik und auch bürgernähere und bessere Kommunikation der Politik den Wahlerfolgen der AfD die Grundlage zu entziehen.

Eine Verbotsdiskussion zur AfD wäre nach meiner Einschätzung in der jetzigen Situation in zweifacher Hinsicht kontraproduktiv. Da bereits ein Verbot der programmatisch noch viel offener menschen­feindlichen NPD vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte, hätte ein Verbot der AfD dort umso weniger Chancen. Auch müsste damit gerechnet werden, dass ein AfD-Verbot vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte scheitert, denn aus Sicht des EGMR in Straßburg rechtfertigt grundsätzlich erst die konkrete Gefahr einen notwendigen und verhältnismäßigen staatlichen Eingriff in die Parteifreiheit. Zum anderen entlastete ein Fokus der Debatte auf ein AfD-Verbot die etablierten Parteien davon, sich durch bessere Politik im Interesse der Menschen auf allen politischen Ebenen von der Kommune bis Europa sowie durch bürgernähere Kommunikation dieser Politik die Menschen von der AfD zurückzugewinnen. In diesem Sinne verstehe ich den Beitrag meiner Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali in der Berliner Zeitung, den Sie hier auf meiner Webseite verlinkt finden: https://www.matthias-w-birkwald.de/de/article/2623.amira-mohamed-ali-gegen-die-afd-hilft-nur-politik-die-die-menschen-ernst-nimmt.html

Nach meinem Grundverständnis müssen in einer freiheitlichen Demokratie immer die gewählten Vertreterinnen und Vertreter und die mit politisch relevanten Entscheidungsbefugnissen versehenen Institutionen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern rechtschaffenspflichtig sein. Die umgekehrte Richtung, nach der die Bürgerinnen und Bürger sich für Ansichten gegenüber politischen Amtsträgern und Institutionen rechtfertigen müssen, bedeutete nach meinem Verständnis den Weg in einen Obrigkeitsstaat, der unbedingt abzulehnen ist. Deswegen finde ich die hohen Anforderungen an Parteienverbote, die das Grundgesetz, das Bundesverfassungsgericht und die Europäische Menschenrechtskonvention stellen, folgerichtig. Man darf „den Teufel nicht mit dem Beelzebub austreiben“, sprich die Liberalität der Gesellschaft nicht aus Angst um illiberale Kräfte opfern. Der Jurist Horst Meier schrieb im Licht der damaligen Verbotsanträge gegen die NPD vor über 20 Jahren der Politik ins Stammbusch: „Die Regeln der demokratischen Republik müssen gerade dann verteidigt werden, wenn sie von Außenseitern arg strapaziert werden. Dafür braucht man starke Nerven – und ein bisschen Freiheitsliebe“. Diese Maßgabe ist meines Erachtens auch auf den Umgang mit der AfD anzuwenden.

Ich bitte Sie auch zu bedenken, welche schlimme Wirkung ein erfolgloser Verbotsantrag gegen die AfD zur Folge hätte: Diese Partei könnte dann jegliche Kritik an ihrer Illiberalität, ihren autoritären und menschenfeindlichen Urteilen mit Verweis auf das sie schonende Urteil abweisen, und ihre Funktionäre, wie auch ihre tatsächlich radikal und extrem rechten Wählerinnen und Wähler dürften sich hochoffiziell bestätigt fühlen.

Zielführender und demokratischer, als  die Forderung nach einem AfD-Verbot wäre es, die Parteien verpflichteten sich sichtbar darauf, die Interessen breiter Bevölkerungsmehrheiten zum Maßstab der Politik zu nehmen. Am selben Tag wie dieser erste Wahlsieg der AfD auf kommunaler Ebene wurden die Gewerkschaften in der Mindestlohnkommission überstimmt, die Beschäftigten sollen mit einer Erhöhung auf 12,41 Euro je Stunde zum 1. Januar 2024 und auf 12,82 Euro zum folgenden Jahreswechsel abgespeist werden. Damit ist ein Schutz der Kaufkraft der abhängig Beschäftigten vor der Inflation keineswegs gewährleistet. Die Politik ignoriert damit auch sehenden Auges die EU-Mindestlohnrichtlinie, wonach gesetzliche Mindestlöhne mindestens 60 Prozent des Medianlohns der Vollzeitbeschäftigten betragen sollen. Dies entspräche derzeit 14 Euro je Stunde. Eine Politik, die selbst minimale Grundsätze sozialen Anstands und sozialer Gerechtigkeit missachtet wie denjenigen, wonach Löhne zum Leben reichen müssen, kann kaum glaubwürdig der AfD Wählerinnen und Wähler abspenstig machen.

Über Ihre Unterstützung, die herrschende Politik in diesem Sinne zu ändern, würde ich mich freuen und verbleibe

mit freundlichen Grüßen,

Ihr Matthias W. Birkwald MdB

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