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Martina Stamm-Fibich
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Frage von Bettina L. •

Frage an Martina Stamm-Fibich von Bettina L. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Stamm-Fibich,
bevor Sie demnächst über die Impfpflicht für Masern entscheiden, möchte ich Sie bitten die Stellungnahme von "Ärzte für eine freie Impfentscheidung" zu lesen.
Als Heilpraktikerin hatte ich in den letzten 25 Jahren immer wieder den Verdacht, dass verschiedene nach Impfungen entstandene Krankheiten mit diesen in ursächlichem Zusammenhang stehen. Auch die Eltern bemerkten meist den eindeutig temporären Zusammenhang. Am häufigsten waren das Neurodermitis, gefolgt von Diabetes und Autismus. Wenn sie ihren Verdacht den Ärzten mitteilten wurde dies als unmöglich abgetan. In keinem der mir bekannten Fällen wurde auch nur der Verdacht an irgendwelche staatlichen Stellen weiter geleitet!
Eltern tragen die Folgen, also sollten Sie auch die alleinige Entscheidung treffen.
Wie werden Sie entscheiden?
Mit freundlichen Grüßen
B. L.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau L.,

vielen Dank für Ihre Mail zum Masernschutzgesetz.

Wir haben mit dem Koalitionsvertrag vereinbart, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die notwendigen Impfquoten zum Schutz der Bevölkerung zu erreichen. Die Verbesserung der Impfprävention ist ein wichtiges gesundheitspolitisches Vorhaben, neben zahlreichen weiteren, zu denen wir in dieser Legislaturperiode bereits gesetzgeberische Maßnahmen umgesetzt haben. Alle Vorhaben und Initiativen dienen dem Ziel, die Qualität der medizinischen Versorgung im Interesse der Patientinnen und Patienten weiter zu verbessern und damit letztlich auch Behandlungsfehler zu vermeiden. Wir beschäftigen uns also bei weitem nicht nur, aber eben auch mit dem Thema Impfen.

Es ist zynisch und zutiefst unethisch, Todesfallzahlen gegeneinander aufzuwiegen. Ich meine, dass die individuelle Entscheidungsfreiheit dort ihre Grenze finden muss, wo die Gesundheit und sogar das Leben anderer gefährdet ist und andere geeignetere Mittel nicht zur Verfügung stehen. Von einer Masernerkrankung sind besonders häufig Kinder in den ersten beiden Lebensjahren betroffen. Sie tragen auch ein erhöhtes Risiko dafür, dass eine Maserninfektion zu schwerwiegenden Komplikationen führt und müssen besonders häufig wegen einer Masern-Erkrankung stationär behandelt werden. Durch eine vorübergehende Immunschwäche kommt es nach einer Masernerkrankung zu anderen Erkrankungen wie z.B. Durchfall, Mittelohrentzündung, Hörschäden, Lungenentzündung und Gehirnentzündung. Bei 10 von 10.000 Masern-Erkrankten entwickelt sich in Folge der Erkrankung eine Gehirnentzündung, etwa 2 bis 3 Betroffene behalten schwere Schäden wie geistige Behinderungen und Lähmungen zurück. Als Spätfolge kann die so genannte subakut sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) auftreten, eine schwere und stets tödlich verlaufende Gehirnerkrankung. Eine SSPE entwickelt sich bei 2 bis 6 von 10.000 Kindern, die zum Zeitpunkt der Maserninfektion jünger als 5 Jahre alt sind. Die Wahrscheinlichkeit, an Masern zu sterben, liegt bei 1 Todesfall pro 1.000 Masernerkrankte. Gegen die Masern-Erkrankung selbst gibt es keine Behandlung. Masern sind extrem ansteckend. Ohne Impfschutz infizieren sich etwa 95 von 100 Menschen, wenn sie Kontakt zu einem Erkrankten hatten. Sowohl für den individuellen Schutz jeder und jedes Einzelnen als auch für den Gemeinschaftsschutz zugunsten von Menschen, die nicht geimpft werden können, brauchen wir eine ausreichende Masern-Impfquote.

In der Europa-Region der WHO sind die Masernfälle zuletzt stark angestiegen. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis 30. Juni 2019 berichteten 49 der 53 Länder der Region zusammen über 174 000 Masernfälle und über 100 masernbedingte Todesfälle. Vier Länder in der Europaregion der WHO haben ihren Masern-Eliminierungsstatus verloren: Albanien, Griechenland, Tschechien und das Vereinigte Königreich. Weltweit haben sich die Masernfälle 2019 vervierfacht.

Unser Ziel ist es, Masern in Deutschland zu überwinden und in Europa weiter einzudämmen. Dazu brauchen wir eine Impfquote von mindestens 95 Prozent der Bevölkerung. Bei Kindern vor dem Schuleintritt erreichen wir mit der ersten Masernimpfung deutschlandweit zwar 97 Prozent, aber schon hier gibt es deutliche regionale Unterschiede. Zweimal gegen Masern geimpft sind nur noch 93 Prozent der Schulanfängerinnen und Schulanfänger. Laut BARMER-Arzneimittelreport 2019 könnten die Impfquoten sogar noch darunter liegen. Aber: Ein ausreichender Impfschutz kann unnötiges Leid vermeiden.

Das Paul-Ehrlich-Institut prüft und bewertet fortlaufend anhand aktueller wissenschaftlicher Daten den Nutzen und das Risiko von Impfstoffen und dokumentiert jährlich die Meldungen des Verdachts einer Impfkomplikation oder einer Nebenwirkung nach Impfung. Neben den bestehenden gesetzlichen Meldepflichten können seit 2012 auch betroffene Personen und deren Angehörige den Verdachtsfall einer unerwünschten Impfreaktion oder Nebenwirkung melden. Das Meldeverfahren ist in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert worden. Defizite sehe ich hier nicht.

In der Tat gibt es in Deutschland derzeit keinen zugelassenen Einfach-Impfstoff gegen Masern. Wir werden uns im parlamentarischen Verfahren damit auseinandersetzen müssen, was das für die beabsichtigte Masern-Impfpflicht bedeutet. Impfstoffe werden wie alle anderen Arzneimittel in Deutschland durch den jeweiligen Hersteller und nicht etwa den Bundesgesundheitsminister in den Verkehr gebracht. Es kommt also darauf an, ob und wann ein Hersteller die Zulassung für einen Einfach-Impfstoff gegen Masern bei der zuständigen Arzneimittelbehörde beantragt und erhält.

Die verfügbaren Kombinationsimpfstoffe sind wirksam und gut verträglich. Von 10.000 Geimpften entwickeln etwa 500 bis 1.500 allgemeine Beschwerden wie leichtes bis mäßiges Fieber, Kopfschmerzen, Mattigkeit oder Magen-Darm-Beschwerden. Bei etwa 500 Geimpften entwickelt sich an der Einstichstelle in den ersten drei Tagen nach der Impfung eine Rötung oder Schwellung. Etwa 10 Tage nach einer MMR-Impfung bekommen 200 bis 500 von 10.000 Geimpften für wenige Tage einen masernähnlichen Hautausschlag, der auch „Impfmasern“ genannt wird. Dieser kann mit mäßigem Fieber einhergehen. Impfmasern sind nicht ansteckend. Nach einer MMR-Impfung tritt extrem selten, in weniger als 1 von 10.000 Fällen, eine allergische Reaktion auf.

Niemand bestreitet, dass eine Masernimpfung eine unerwünschte Reaktion oder Nebenwirkung zur Folge haben kann. Das Risiko einer schwerwiegenden Komplikation im Zusammenhang mit einer Masernimpfung ist aber sehr gering, im Gegensatz zum Risiko, ungeimpft schwer an Masern zu erkranken.

Unser Ziel ist es, einen besseren individuellen Schutz insbesondere von Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht geimpft werden können, sowie einen ausreichenden Gemeinschaftsschutz vor Maserninfektionen zu erreichen. Nach Angaben des Robert-Koch-Institutes verhindert die zweifache MMR-Impfung bei 93-99% der Geimpften den Ausbruch einer Erkrankung und führt bei diesen erfolgreich Geimpften in der Regel zu lebenslanger Immunität. Eine Antikörpertiterbestimmung führe dagegen, so das Robert-Koch-Institut, nicht immer zu einem eindeutigen Ergebnis und sei deshalb als Entscheidungskriterium für Immunität schlechter geeignet als der Nachweis einer zweimaligen Masernimpfung.

Der Deutsche Bundestag wird die parlamentarischen Beratungen zum Entwurf eines Masernschutzgesetzes der Bundesregierung im Herbst aufnehmen und sich intensiv mit den Regelungen des Gesetzentwurfes auseinandersetzen. Wir werden dazu voraussichtlich im Oktober eine öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss durchführen und die auch von Ihnen angesprochenen Fragen zum Nutzen-Risiko-Verhältnis mit den Expertinnen und Experten, beispielsweise vom Robert-Koch-Institut oder dem Paul-Ehrlich-Institut, beraten.

Ich stimme Ihnen zu, dass wir weiterhin deutlich mehr Information und Aufklärung über die Masern-Erkrankung und die Impfung brauchen, um Menschen, die einer Impfung kritisch gegenüberstehen, stärker als bisher anzusprechen. Dazu enthält der Gesetzentwurf konkrete Regelungsvorschläge.

Ich bin überzeugt davon, dass Impfen richtig ist. Ich persönlich stehe der Pflicht zur Impfung allerdings skeptisch gegenüber. Seit ich 2013 Mitglied im Gesundheitsausschuss wurde, habe ich immer wieder Schreiben von dezidierten Impfgegnern erhalten. Mein Weg war und ist es, aufzuklären. Ich selbst wurde als Kind gegen Pocken pflicht-geimpft. Ich kann mich nicht erinnern, dass damals in Frage gestellt wurde, ob diese Impfung sinnvoll ist. Sie gehörte dazu – jeder wurde geimpft und alle waren froh, als die WHO im Jahr 1980 die Welt als pockenfrei erklärte. Heute leben wir in einer anderen Zeit. Staatliche Vorgaben und Verpflichtungen werden sehr viel kritischer gesehen. Vorherrschenden Meinungen stehen immer auch Gegenentwürfe gegenüber. In dieser Zeit ist meiner Meinung nach Aufklärung der nachhaltigere Weg.

Skeptisch stehe ich der Pflicht zur Impfung auch deshalb gegenüber, weil die gravierendsten Impflücken bei jungen Erwachsenen auftreten – nicht bei Kleinkindern. Diese Personengruppe hat häufig die ersten Impfungen erhalten. Die Auffrischung, die im Jugendalter fällig wird, versäumen sie aber. Meines Erachtens häufig aus Unwissenheit, nicht aus Überzeugung. Diese Lücken lassen sich meiner Meinung nach anders besser schließen als durch die Impfpflicht. Zum Beispiel durch die Aufklärung beim Arzt oder ein spezielles Erinnerungsmanagement durch den behandelnden Arzt oder die Krankenkasse. Und damit würden wir meiner Einschätzung nach die Herdenimmunität schneller erreichen als mit einer Impfpflicht. Weil von dieser Pflicht vor allem Kleinkinder und das Betreuungspersonal in den jeweiligen Einrichtungen betroffen sind. Die unzureichend geimpften Erwachsenen bleiben unzureichend geimpft.

Ich werde meine Kritikpunkte an der geplanten Pflicht zur Masernimpfung im Herbst anbringen. Aber ich mache auch ganz deutlich, dass ich klar für die Masernimpfung bin. Und ich setze mich dafür ein, dass wir das Ziel einer 95-prozentigen Impfrate erreichen. Denn jeder Mensch, der an Masern erkrankt, ist einer zu viel.

Mit freundlichen Grüßen

Martina Stamm-Fibich

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