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Marcus Weinberg
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Frage von Thomas S. •

Frage an Marcus Weinberg von Thomas S. bezüglich Staat und Verwaltung

Sehr geehrter Herr Weinberg,

wir bewegen uns auf die Mitte der Legislaturperiode zu.
Aktuell verfügen wir nach Köpfen nach der VR China über das zweitgrößte Parlament der Welt. Halten Sie diesen Umfang (und die damit einhergehenden Kosten) für angemessen bzw. notwendig? Falls auch ein geringerer Umfang ausreichend wäre, in welchem Bereich sehen Sie eine sinnvolle Bundestagesgröße und welche Schritte werden unternommen, um dies bei der nächsten Bundestagswahl umzusetzen?

Vielen Dank für Ihre Antwort
Mit freundlichen Grüßen
T. S.

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr S.,

herzlichen Dank für Ihre Nachricht über Abgeordnetenwatch. Sie haben Recht: Das deutsche Parlament ist so groß wie nie zuvor. Obwohl das geltende Wahlrecht grundsätzlich von einer Mandatszahl von 598 Abgeordneten bei 299 Wahlkreisen ausgeht, besteht der Deutsche Bundestag auf der Grundlage des Wahlergebnisses vom September 2017 aus 709 Abgeordneten (299 direkt, 410 über Listen gewählte Abgeordnete). Dies ergibt sich daraus, dass nach diversen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts unser derzeit geltendes Wahlrecht einen vollumfänglichen Ausgleich von Mandaten nach dem Proportionalitätsprinzip vorsieht, um Verzerrungen der Erfolgswertgleichheit zu begegnen. Trotzdem sollte das nicht zum Dauerzustand werden. Klar ist, dass eine besonders große Anzahl der Abgeordneten nicht automatisch die Bevölkerung besser vertritt. Anbei möchte ich Ihnen die Einschätzung meiner beiden zuständigen Bundestagskollegen, Ansgar Heveling und Michael Frieser, zuleiten.
In den Diskussionen haben sich die Kolleginnen und Kollegen der FDP, von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und DIE LINKE vor allem auf die Frage der Streichung von Wahlkreisen konzentriert. Dabei haben die vom Bundeswahlleiter erstellten Berechnungen aber gezeigt, dass sich durch eine Verringerung der Wahlkreise allein keine nennenswerte Reduzierung der Gesamtsitzzahl des Deutschen Bundestages erreichen lässt. Uns ist dagegen die Repräsentanz durch in Wahlkreisen gewählte Abgeordnete außerordentlich wichtig. Damit wird ein unmittelbarer Bezug zur örtlichen Wahlbevölkerung sichergestellt. Wahlkreisabgeordnete vertreten das ganze Volk, aber haben gleichzeitig eine sichtbare Rückkopplung an eine konkrete Wahlbevölkerung. Das ist ein wichtiges Zeichen demokratischer Repräsentanz. Bei einer substantiellen Reduzierung wäre eine angemessene Repräsentanz durch einen Wahlkreisabgeordneten nicht mehr gewährleistet. Die Wahlkreise müssten flächendeckend so groß geschnitten werden, dass die Bindung zwischen Wählern und Wahlkreisabgeordneten auch auf der Ebene der Wahlkreise verloren ginge. Eine moderate Wahlkreisreduzierung hat demgegenüber nur einen minimalen Dämpfungseffekt. Angesichts der Relation zwischen Eingriff (in die Wahlkreise) und Effekt (Reduzierung des weiteren Wachstums) sehen wir auch in diesem Ansatz keine tragfähige Lösung. Auch sehen wir es als wichtig an, deutlich zu machen, dass in einer Bundestagswahl auch unsere föderale Struktur zum Ausdruck kommt. Deswegen halten wir auch am so genannten ersten Zuteilungsschritt fest. Dadurch wird sichergestellt, dass Abgeordnete aus allen Bundesländern der Bevölkerungsgröße entsprechend angemessen vertreten sind und es bei den gewählten Parteien nicht zu regionalen „Kannibalisierungseffekten“ durch entsprechende Verrechnungen kommt.

Die CDU/CSU hat dagegen mehrere Vorschläge unterbreitet, die allesamt von den Vertretern der anderen Fraktionen nicht ergebnissoffen diskutiert, sondern von vornherein abgelehnt wurden. Eine Möglichkeit wäre für uns gewesen, von der vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 25. Juli 2012 - 2 BvF 3/11, 2 BvR 2670/11, 2 BvE 9/11 – (BVerfGE 131, 316) aufgezeigten Möglichkeit Gebrauch zu machen und bei bis zu 15 Überhangmandaten auf einen Ausgleich zu verzichten. Ein Ausgleich würde danach erst ab dem 16. Überhangmandat für die Anzahl von 15 übersteigenden Überhangmandate erfolgen („Harbarth“-Modell). Ein anderer Vorschlag würde einen Ausgleich nur bis zu insgesamt 630 Sitzen zulassen und die weiteren Überhangmandate nicht mehr ausgleichen („Lammert“-Modell). Von Seiten der CSU wurde mit Unterstützung der CDU die Überlegung in die Diskussion eingeführt, über Änderungen im mathematischen Verfahren zur Mandatszuteilung zu einer Dämpfung des weiteren Aufwuchses des Bundestages zu kommen. Dieser Vorschlag beinhaltet, für die Bildung des so genannten Divisors, der für die Umrechnung der Stimmen auf Mandate maßgeblich ist, nicht nur das Ergebnis der Zweitstimmen – so derzeit –, sondern auch das Erststimmenergebnis zu berücksichtigen. Durch eine solche Änderung der (mathematischen) Ausgleichssystematik ließen sich eine Begrenzung der Bundestagsgröße erreichen. Alle vorgetragenen Modelle wurde von den Vertretern der FDP, DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und auch der SPD vehement kritisiert oder ohne ernsthafte weitere Beratung verworfen.

In dieser Situation hat der Bundestagspräsident den Versuch unternommen, durch einen vermittelnden Vorschlag, der von beiden Seiten vorgeschlagene Elemente enthält, die Grundlage für einen möglichen Konsens zu schaffen. Sein Vorschlag sieht die Kombination einer moderaten Reduzierung der Zahl der Wahlkreise mit einer moderaten Begrenzung der zur Herstellung proportionaler Mehrheitsverhältnisse eingeführten Ausgleichsmechanismen vor: Die Ausschöpfung des in einem obiter dictum vom Bundesverfassungsgericht für möglich gehaltenen Nichtausgleichs von bis zu 15 Überhangmandaten und Verringerung der Zahl der Wahlkreise auf 270 bei Festhalten an der Ausgangssitzzahl 598. Unter Zugrundelegung des Ergebnisses der Bundestagswahl von 2017 würde dies zu insgesamt 641 Sitzen führen. Diese Verringerung wäre aber mit der Streichung von 29 Direktmandaten verbunden gewesen. Ohne die Streichung eines einzigen Direktmandates wäre die Begrenzung des Ausgleichsmechanismus bei 630 Sitzen („Lammert“-Modell) zu einem nahezu identischen Ergebnis von 642 Sitzen gekommen. Der Nachteil einer Wahlkreisreduzierung und der Größeneffekt stünden auch bei diesem Modell in keinem sinnvollen Verhältnis zueinander.

Wir werden nun über einen weiteren Vorschlag nachdenken, der etwa die Einführung einer „Obergrenze“ für einen Ausgleichsmechanismus vorsieht. Denkbar wäre es aber auch, den Korridor, den das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des Ausgleichs von Überhangmandaten gelassen hat, auszuschöpfen und den Ausgleich von Überhangmandaten etwa erst ab dem 16. Überhangmandat zu beginnen. Damit ließe sich ebenfalls eine Dämpfung des Aufwuchses erzielen, ohne dass in die Wahlkreisstruktur eingegriffen werden müsste.

Eine dauerhafte Lösung ließe sich aber durch einen vollständigen Systemwechsel erreichen: Der eine Teil der Abgeordneten wird mit der Erststimme direkt gewählt, der andere Teil der Abgeordneten mit der Zeitstimme über Landeslisten. Die direkt gewählten Abgeordneten werden nicht auf die Landeslisten angerechnet. Dadurch würde sowohl die Repräsentanz von Wahlkreisabgeordneten gesichert als auch dem Proportionalitätsprinzip Rechnung getragen. Es wäre ein echtes Zwei-Stimmen-Wahlrecht, bei dem beiden Stimmen entsprechendes Gewicht zukommt – einmal für den Wahlkreis und einmal für die Liste. Gleichzeitig ließe sich eine klar definierte Bundestagsgröße etwa bei 598 Abgeordneten festlegen. Sämtliche im derzeitigen personalisierten Verhältniswahlrecht erörterten verfassungsrechtlichen Probleme wie etwa das von Überhangmandaten oder negativem Stimmgewicht und anderen inversen Effekten würden dadurch ausgeschlossen. Das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag würde wieder einfach und allgemein verständlich.

Freundliche Grüße
Marcus Weinberg