Wann wollen Sie Frau Brosius-Gersdorf zur Richterin wählen?
Wann wollen Sie Frau Brosius-Gersdorf zur Richterin wählen?

Das Bundesverfassungsgericht ist die höchste Instanz, bei der Bürger ihre Rechte gegenüber dem Staat durchsetzen können. Umso wichtiger ist es, dass Richter dieses Gerichts unzweifelhaft für Unabhängigkeit, Neutralität und eine kompromisslose Achtung der Grundrechte stehen. Wer allerdings anderen Menschen die Menschenwürde abspricht – ein Recht, das laut Artikel 1 des Grundgesetzes jedem Menschen uneingeschränkt zusteht, auch Andersdenkenden –, kann aus meiner Sicht nicht für ein solches Amt berufen werden.
Die Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf ist in der Vergangenheit durch mehrere öffentliche Äußerungen aufgefallen, die Zweifel an ihrer verfassungsrechtlichen Eignung und ihrer politischen Neutralität aufkommen lassen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk äußerte sie sich zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht mit der Aussage: „Geimpfte könnten sich nicht selbst wirksam schützen, weil die Impfung nicht vor Impfdurchbrüchen bewahrt.“ Deshalb „[…] sind Sanktionen bei Verstößen gegen die Impfpflicht vorzusehen. In Betracht kommen insbesondere Verschärfungen von Bußgeldern, insbesondere die Einführung und konsequente Durchsetzung der 1G-Regel sowie der Wegfall der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.“ (Deutschlandfunk, 2022). Diese Haltung lässt auf ein fragwürdiges Verständnis der Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung schließen und bedeutet letztlich, dass Menschen – selbst wenn die Impfung nicht wirksam ist oder nicht wirken kann – zur Impfung gezwungen und bei Verweigerung wirtschaftlich sanktioniert werden sollen. Erschwerend hinzu kommt ihre Haltung zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren. In einem Interview mit dem Tagesspiegel bezeichnete sie ein solches Verfahren als „ein ganz starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie“ und erklärte weiter: „Damit wird natürlich nicht die Anhängerschaft beseitigt – das hieße nicht, Wählende der AfD auszulöschen, sondern vielmehr deren Grundrechte wie das Wahlrecht könnten im Extremfall diskutiert werden.“ (Tagesspiegel, 2024). Die Vorstellung, das Wahlrecht bestimmter Bürger könne in einem solchen Kontext zur Disposition gestellt werden, widerspricht dem Grundsatz der allgemeinen, gleichen und freien Wahlen in einer Demokratie. Hier geht es nicht nur um eine rechtliche Bewertung, sondern um das Verständnis von elementaren Bürgerrechten, das für eine Verfassungsrichterin unerlässlich sein sollte.
Zudem wirft die Grundlage eines solchen Parteiverbotsverfahrens Fragen auf. Der über 1.000 Seiten umfassende Verfassungsschutzbericht zur AfD stützt sich überwiegend auf öffentlich zugängliche Zitate, Meinungsäußerungen und politische Bewertungen. Er enthält zahlreiche Mutmaßungen und Interpretationen, die von Beamten des Innenministeriums unter der politischen Leitung von Nancy Faeser (SPD) vorgenommen wurden. Wenn solche subjektiven Einschätzungen zur Grundlage eines Parteiverbotsverfahrens gemacht werden und eine Juristin wie Frau Brosius-Gersdorf dies unterstützt, liegt der Verdacht politisch motivierter Willkür nahe. Eine Richterin am Bundesverfassungsgericht muss hier ein höheres Maß an Zurückhaltung und rechtsstaatlicher Distanz wahren.
Auch ihre Aussagen zur Menschenwürde und zum Schutz des ungeborenen Lebens werfen verfassungsrechtliche Fragen auf. In einem Beitrag für den Verfassungsblog schrieb sie: „Die Annahme, dass die Menschenwürde überall gelte, wo menschliches Leben existiert, ist ein biologisch-naturalistischer Fehlschluss.“ (Verfassungsblog, 2022). In der Zeit äußerte sie sich zum Thema Spätabtreibung mit den Worten: „Die Tötung eines Menschen ohne herabwürdigende Begleitumstände, die ihm seine Subjektqualität absprechen, verletzt Art. 1 I GG nicht.“ (Zeit Online, 2022). Derartige Aussagen stellen das Verständnis der Menschenwürde, wie es im Grundgesetz verankert ist, in Frage. Eine derartige Definition des Menschenwürdebegriffs ist nicht geeignet, Vertrauen in die Schutzfunktion des Bundesverfassungsgerichts zu stärken.
Hinzu kommen politische und gesellschaftspolitische Positionen, die Frau Brosius-Gersdorf öffentlich vertreten hat. Sie tritt unter anderem für die Abschaffung des Ehegattensplittings, die Streichung der kostenlosen Mitversicherung von Ehepartnern in der gesetzlichen Krankenversicherung und für ein neues Erbrecht ein, das die „gerechte“ Verteilung privaten Vermögens auf die Gesellschaft ermöglichen soll – was faktisch auf eine Enteignung im Erbrecht hinausläuft. Solche Reformforderungen sind gegebenenfalls noch legitim im politischen Raum, doch sie werfen in Verbindung mit ihren weiteren Aussagen die Frage auf, ob Brosius-Gersdorf die notwendige Zurückhaltung und Ausgewogenheit mitbringt, die man von einer Verfassungsrichterin erwarten darf.
Bedenkt man schließlich, dass das Bundesverfassungsgericht der Ort ist, an dem Bürger ihre Rechte gegenüber dem Staat verteidigen, muss die Frage erlaubt sein: Würden Sie als Einzelner Ihre Grundrechte gegenüber dem Staat in die Hände einer Person legen, die sich in dieser Weise öffentlich zu erkennen gegeben hat? Eine Kandidatin, die sich wiederholt so extrem parteipolitisch geäußert hat, bringt nicht die Neutralität mit, die dieses Amt erfordert. Brosius-Gersdorf wurde von der SPD vorgeschlagen – die Nähe zu deren politischen Zielsetzungen ist klar erkennbar, nicht zuletzt in den von ihr befürworteten Maßnahmen zur politischen Disziplinierung Andersdenkender.
Aus all diesen Gründen halte ich Frauke Brosius-Gersdorf nicht für geeignet, das höchste deutsche Gericht zu vertreten. Ihre bisherigen Äußerungen und Positionen lassen erhebliche Zweifel an ihrer Fähigkeit erkennen, die Rechte des Einzelnen mit der gebotenen Neutralität gegenüber dem Staat zu verteidigen. Ich rate daher allen verfassungstreuen Parlamentariern nachdrücklich von der Wahl dieser Kandidatin ab. Offen bleibt zudem, ob Frau Brosius-Gersdorf nach der öffentlichen Kritik überhaupt erneut kandidieren wird oder sich ihre mangelnde Neutralität selbst eingesteht.