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Manuel Sarrazin
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Frage von klaus s. •

Frage an Manuel Sarrazin von klaus s. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

guten tag , herr sarrazin .

ich entnehme ihrem aktuellen interview mit einer deutschen onlinezeitung folgenden satz und zitiere ihn wörtlich : sarrazin : "Kiew ist seit dem offenen Einmarsch russischer Truppen geschwächt und musste nachgeben"

meine fragen :
1. aus welcher quelle haben sie die information , dass sich russische truppen auf dem staatsgebiet der ukraine aufhalten ?
2. wo genau halten sich jene truppen , von denen ihrerseits die rede ist , in der ukraine auf ?
3. wie gross ist die anzahl der russischen truppen ? bitte in zahlen , gern auch in kommandoeinheiten oder militärischen definitionen ( battallion , einheit , usw )
4. über welche bewaffnung / technische ausrüstung verfügen die russischen truppen in der ukraine ?

ihnen ist sicherlich bewusst , dass eine aussage wie die ihre in einem grossen nachrichtenportal in deutschland gewisse qualitative kriterien zu erfüllen hat , da sie eine nicht unerhebliche breitenwirkung in der meinungsbildung hat , sollte sie von bestand sein .

ich würde sie daher bitten , meine fragen detailliert und mit entsprechenden hieb- und stichfesten beweisen zu beantworten . eine gwisse zeitnähe wäre sicher auch in ihrem sinne , da sich , wie ihnen sicher bekannt , bereits mehrere aussagen ukrainischer politiker und militärs als erlogen herausgestellt haben .

in erwartung einer baldigen und der schwere ihrer vorwürfe entsprechend fundierten , mit tatsachen hinterlegten antwort ,

beste grüsse , klaus scharff

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Scharff,

vielen Dank für Ihre Frage zu meinem jüngsten Interview auf Zeit online.
Sie fragen nach Beweisen für eine Präsenz russischer Truppen auf ukrainischem Staatsgebiet. Ich möchte Sie im Folgenden gern auf mehrere Punkte aufmerksam machen, die als stichhaltige Beweise gelten können, doch zunächst lohnt ein kurzer Blick auf die aktuelle Situation im Land.

Der Nationale Sicherheitsrat der Ukraine gibt in stets aktuellen Landkarten Auskunft über all jene Gebiete des Landes, die von separatistischen Kräften kontrolliert werden. (Die neueste ist hier abrufbar: http://www.rnbo.gov.ua/files/2014/07-09_eng.jpg ) Momentan sind dies Teile der Regionen Donetsk und Luhansk im Donezbecken. Die Stadt Nowoasowsk am Binnenmeer von Asow wurde darüber hinaus Ende August Ziel von Angriffen der Separatisten und befindet sich seitdem ebenfalls unter deren Kontrolle.

Anhaltspunkte für ein mehr oder weniger verdecktes russisches Engagement im Konflikt mit den Separatisten, sowohl auf russischem wie auf ukrainischem Staatsgebiet, gibt es viele. Anfangs besetzten die sogenannten "Männer in grün", ab Mitte April dieses Jahres systematisch Verwaltungsgebäude verschiedener Städte im Osten der Ukraine und brachten diese unter ihre Kontrolle. Im Konflikt um die Krim-Halbinsel halfen russische Militärangehörige den sogenannten „Selbstverteidigungskräften“ bei der Überwachung der mindestens zweifelhaften Volksabstimmung, die die russische Annektierung ermöglichte. Den Einsatz des russischen Militärs auf der Halbinsel gab Wladimir Putin übrigens selbst zu: http://uk.reuters.com/article/2014/04/17/russia-putin-crimea-idUKL6N0N921H20140417

Aktuell intervenieren russische Kräfte in der Südostukraine, zunächst verdeckt mit Kämpfern und Unterstützern, seit Anfang September relativ offensichtlich mit militärischen Verbänden. Außerdem erfolgt nach Informationen der USA seit längerem Artilleriebeschuss auf Stellungen der ukrainischen Armee von russischem Territorium aus: http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-07/usa-satellitenbilder-ukraine

Eine gute Zusammenfassung sowie Hinweise auf gefallene russische Soldaten gibt dieser Artikel: http://www.newsweek.com/2014/09/19/russian-soldiers-reveal-truth-behind-putins-secret-war-269227.html

Nicht nur westliche, auch mehrere russische Zeitungen berichten seit einiger Zeit offen über die "russische Invasion" der Ukraine, wie dieser BBC-Artikel zusammenfasst: http://www.bbc.com/news/world-europe-28965597 .

Einen weiteren, sehr offensichtlichen Beweis für die Aktivitäten des russischen Militärs in der Ukraine lieferte eine Gruppe von Fallschirmspringern, die auf ukrainischem Territorium festgenommen wurde. Sie gaben an, auf offizieller Mission gewesen zu sein: http://www.huffingtonpost.com/2014/08/26/ukraine-russian-soldiers_n_5714555.html

Die Reaktion Wladimir Putins, die Soldaten hätten versehentlich die Grenze überquert, ist gelinde gesagt unglaubwürdig. Auch Separatistenführer äußern sich offen darüber, dass sie tatkräftige Unterstützung von professionellen russischen Kämpfern erhielten: http://www.handelsblatt.com/politik/international/-liveblog-zur-ukraine-krise-urlaub-an-der-front/10620224-3.html

Die russische Führung hingegen behauptet, eventuelles russisches Engagement in der Ukraine käme von dort urlaubenden Soldaten und Freiwilligen, nicht jedoch von der russischen Armee. Dass sich professionelle Einheiten wie die festgenommenen Fallschirmspringer ohne Duldung beziehungsweise Anordnung des Kremls in der Ukraine aufhielten ist eine offensichtlich absurde Annahme.

Anfang September wurde weiterhin der bis dato zügige Vormarsch der ukrainischen Armee gegen die Separatisten von russischen Einheiten mit schwerem Gerät gestoppt, unter schweren Verlusten für die ukrainische Armee. Präsident Poroshenko sprach bei dieser Gelegenheit erstmals von einem offenen Angriff Russlands auf die Ukraine. Mittlerweile geht der Vormarsch russischer Truppen besonders an der südlichsten Grenze zwischen den beiden Ländern weiter.

Auch aus der russischen Zivilgesellschaft kommen Hinweise auf den Einsatz russischen Militärs im Nachbarland. So vermuten die traditionell wichtigen Verbände der russischen Soldatenmütter mehrere Tausend ihrer Söhne auf Mission in der Ukraine. Das Schicksal vieler russischen Soldaten und Wehrdienstleister sei trotz Nachfragen ihrer Angehörigen ungeklärt, geheime Beisetzungen in Russland von mehr als hundert gefallenen russische Soldaten lassen auf verlustreiche Kämpfe in der Ukraine schließen. Die beiden folgenden Artikel berichten ausführlich über diese Problematik: http://www.theguardian.com/world/2014/sep/01/russian-soldiers-ukraine-rights-groups
http://www.washingtonpost.com/news/morning-mix/wp/2014/08/29/what-does-russia-tell-the-mothers-of-soldiers-killed-in-ukraine-not-much/

Schließlich vermutet die NATO mehr als 1000 russische Soldaten mitsamt Artilleriegeschossen und gepanzerten Fahrzeugen auf ukrainischem Staatsgebiet; das Militärbündnis stützt sich hierbei auch auf Satellitenbilder:
http://www.reuters.com/article/2014/08/28/us-ukraine-crisis-nato-idUSKBN0GS1D220140828

Trotz all dieser (und noch weiterer, nicht genannter) Hinweise bestreitet die russische Führung weiterhin vehement ihre Intervention in den Konflikt. Sie sei ausschließlich an einer friedlichen Lösung interessiert. Dies und die an den scheidenden Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso gerichtete Aussage Wladimir Putins, wenn er wolle könne er Kiew in zwei Wochen einnehmen, machen es mir jedoch mehr als schwierig, dem Kreml Glauben zu schenken.

Ich hoffe ich habe Ihre Anfrage damit hinlänglich beantwortet und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen
Manuel Sarrazin