Sehr geehrter Herr Özdemir, werden Sie sich für eine unverzügliche Neuauszählung der Wahl zum jetzigen Bundestag einsetzen, um legitimen Zweifeln an der rechtmäßigen Zusammensetzung entgegenzutreten?
Bei vermuteten Zählfehlern bei der Kommunalwahl in Mülheim a.d.Ruhr wurde soeben eine Neuauszählung durchgeführt, um ein demokratisch korrektes Wahlergebnis zu erhalten. Das Stimmenverhältnis hat sich danach erheblich geändert, der zunächst Zweitplatzierte wird nach der erneuten Auszählung nun OB mit 0,1% Vorsprung.
Bei der letzten Bundestagswahl soll das BSW mit nur 4,981% den Sprung ins Parlament verpasst haben. Wenn schon angesichts möglicher Zählfehler nicht im Hundertstelbereich aufgerundet wird, ist eine Neuauszählung bei den schon offenbar gewordenen Zählfehlern zu Ungunsten des BSW demokratisch unverzüglich und zwingend geboten. Legitime Zweifel an der rechtmäßigen Zusammensetzung unseres Parlaments befeuern antidemokratischen Populismus, dem Sie mit Ihrer Stimme im Bundestag entgegenwirken müssen! Werden Sie also mit Ihrem Abgeordnetenmandat Ihrem demokratischen Gewissen folgen und für eine sofortige Neuzählung der Stimmen zum Bundestag eintreten?
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Frage. Ich kann Ihre Besorgnis nachvollziehen, möchte jedoch betonen, dass die Wahlprozesse in Deutschland, und insbesondere bei der Bundestagswahl, äußerst sorgfältig geprüft und kontrolliert werden.
Der Bundeswahlleiter und die zuständigen Behörden überwachen die ordnungsgemäße Durchführung und Auszählung der Wahlen. Bei der Bundestagswahl werden Unregelmäßigkeiten genau dokumentiert und gründlich überprüft. Zwar können bei jeder Wahl technische oder menschliche Fehler auftreten, aber es ist wichtig zu betonen, dass eine Neuauszählung nur dann erforderlich ist, wenn schwerwiegende Fehler nachgewiesen werden, die das Wahlergebnis signifikant beeinflussen könnten.
Nach Art. 41 Grundgesetz in Verbindung mit § 48 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ist eine Wahl anfechtbar, wenn nachgewiesen wird, dass die Fehler das Ergebnis erheblich verzerrt haben. In Bezug auf die von Ihnen angesprochene Bundestagswahl, bei der das BSW mit 4,981 % den Einzug ins Parlament knapp verpasste, gab es keine Anhaltspunkte, die darauf hindeuteten, dass die Zählung fehlerhaft war und das Ergebnis damit grundlegend verändert werden müsste.
Mit Urteil vom 19. Dezember 2023 hat das Bundesverfassungsgericht jedoch erstmals eine Wahl zum Deutschen Bundestag teilweise – konkret in einzelnen Wahlbezirken des Landes Berlin – für ungültig erklärt und insoweit eine Wiederholungswahl angeordnet. Entsprechende Mechanismen zur Wahlprüfung sind also funktionsfähig und werden genutzt.
Ich verstehe die Bedenken hinsichtlich möglicher Zählfehler und die Wichtigkeit, das Vertrauen in unser Wahlsystem zu sichern. Allerdings können nur nachgewiesene Fehler, die das Ergebnis wesentlich beeinflussen, eine Neuauszählung rechtfertigen. In diesem Fall wurde die korrekte Durchführung der Wahl durch die zuständigen Stellen bestätigt, weshalb keine Grundlage für eine sofortige Neuauszählung besteht.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Mahmut Özdemir

