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Frage von Jonas S. •

Frage an Lothar Binding von Jonas S. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Binding,
Die Staatsverschuldungskurve zeigt einen exponentiellen Verlauf. Nun reden die Politiker oft von Schuldenabbau. Nur ist dieser doch in einem Schuldgeldsystem, in welchem Geld als verzinster Kredit geschaffen wird doch eher unmöglich, oder können sie mir erklären, was ich da falsch verstanden habe?
Nach allem, was ich von Mathematik verstehe, ist ein weiteres Ansteigen der Schulden langfristig, eher noch mittelfristig, unvermeidbar. Es wird wohl in nicht allzuferner Zukunft einen Schuldenschnitt, oder einen Zusammenbruch des Geldsystems geben müssen. Wie sehen da die langfristigen Perspektiven/Strategien aus?
Oder glauben sie an einen Schuldenabbau?

Noch eine Frage: Mir kommt es so vor, als würde sich die Politik in Detailfragen verlieren. Richtungsweisendes höre ich selten, wenn dann noch von AFD oder LINKS-Partei. Sind sie, wie ich, der Meinung, dass die meiste Politik die derzeit betrieben wird übberraschend kurzsichtig ist und auf langfristige Argumente meist verzichtet? Oder werden langfristige Strategien eher verschleiert? Und sollten die etablierten Parteien nicht mutiger sein, und richtungsweisende Politik anstreben und auch den Bürgern vermitteln?

Freundliche Grüße,
Jonas Sifferath

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Sehr geehrter Herr Sifferath,

vielen Dank für Ihre Frage.

Sie schreiben: „Nun reden die Politiker oft von Schuldenabbau“. Das stimmt. Zunächst wäre zu unterscheiden zwischen dem Abbau der Neuverschuldung und der Reduzierung der Altschulden.

Bevor überhaupt die Reduktion der Altschulden möglich ist, muss die jährliche Neuverschuldung auf Null gebracht werden. Die rot-grüne Regierung, Hans Eichel war Finanzminister, hatte das schon für etwa 2006 geplant - dann kam die dot-com Blase und der Einbruch des Weltwirtschaftswachstums um ca. 7 Prozent. Die nachfolgende große Koalition, Peer Steinbrück war Finanzminister, hatte den Abbau der Neuverschuldung bis 2011 geplant - dann kam die Banken- und Finanzmarktkrise. Die gegenwärtige Große Koalition, Wolfgang Schäuble ist Finanzminister, hat in ihrer Finanzplanung das Ende der Neuverschuldung für 2015 geplant. Das wurde auch in den jeweiligen Finanzberichten des Bundes ausgewiesen. Die gegenwärtige Zinssi-tuation macht optimistisch, dass dieses jüngste Ziel erreichbar ist - wenn es nicht wieder gravieren-de Vorkommnisse gibt.

Außerdem gibt es seit der Amtszeit von Peer Steinbrück die Schuldenbremse. Damit wird die strukturelle (im Unterschied zur konjunkturellen) Verschuldung so begrenzt, dass es ab 2020 (ab 2020 dürfen die Länder keine neuen Schulden mehr machen) keine Neuverschuldung im Staatshaushalt mehr geben soll. Der Staatshaushalt umfasst den Bundeshaushalt, alle Länderhaushalte, alle Kommunalhaushalte und die Sozialkassen.

Wenn dieses Ziel erreicht ist, können wir mit dem Abbau der Altschulden beginnen. Zunächst gibt es dann das Ziel, die Maastricht-Kriterien einzuhalten. Die Staatsschulden dürfen dann insgesamt nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. Heute liegt dieser Wert bei über 80 Prozent. Wie weit dann nachfolgend der Schuldenabbau weiter verfolgt werden sollte, lässt sich heute nicht gut abschätzen. „Warum nicht auf Null?“ werden Sie vielleicht fragen. Meine kurze Antwort: Für z.B. Versicherungen, die unser Geld anlegen sollen… gibt es eigentlich nur eine sichere Anlageform: Staatsanleihen. Denn wo wäre unser Geld besser aufgehoben als bei uns allen. Also sollte es Staatsanleihen geben… der Staat verschuldet sich bei seinen Bürgerinnen und Bürgern (natürlich nicht nur).

Ich habe Vorträge von Wirtschaftswissenschaftlern gehört, in denen eine Schuldenquote des Staates von 20 bis 50 Prozent für vernünftig gehalten wurde. Solche Aussagen hängen natürlich von vielen Parametern ab - ich betrachte sie mit Vorsicht.
Eine Ursache für den Anstieg der Staatsschulden in der Vergangenheit waren häufig zu optimistische Wachstumsannahmen. Damit hat man die möglichen Einnahmen überschätzt, die Ausgaben daran orientiert - schließlich folgte die jährliche Kreditaufnahme. Statt der oft unterstellten, erhofften exponentiellen Wachstumskurve für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat sich diese Kurve, das Wachstum, nur linear entwickelt. Wenn nun die Wachstumskurve linear, leicht ansteigend, verläuft, die Staatsverschuldung aber exponentiell ansteigt… liegt das von Ihnen beschriebene Problem auf der Hand. Genau diesem Effekt soll durch die Schuldenbremse dauerhaft begegnet werden.

Zu diesem Komplex finden Sie einen Aufsatz von Kay Bourcarde mit dem Titel „Lineares Wirtschaftswachstum – exponentielle Staatsverschuldung“ unter
http://www.wachstumsstudien.de/Inhalt/Zeitschrift/Heft3/Wirtschaftswachstum_Staatsverschuldung.pdf

Zu Ihrer allgemeine Frage nach der langfristigen Planung in der Politik und der Verliebtheit in Detail-fragen. Für mich gilt: Manchmal verliere ich mich in Detailfragen - oft allerdings auch deshalb, weil mich Bürgerinnen und Bürger mit sehr speziellen Fragen konfrontieren. In der Politik bemerke ich die Gleichzeitigkeit von kurzfristig wirkenden Maßnahmen und langfristig angelegten Strategien. Leider werden oft jene Politiker in Wahlen belohnt, die kurzfristig etwas „Handfestes“ aufweisen können.

Die Geduld der Bürger für langfristig angelegte Lösungen, für Nachhaltigkeit, wie wir sagen, ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Ich denke, wir sollten „richtungsweisend“ nicht mit radikal, extrem oder auch nur konsequent gleichsetzen oder verwechseln. Und was man „hört“ ist noch kein Gesetz. Unter „Richtung“ verstehe ich die Stabilisierung der Friedensunion Europa, die Überwindung von Armut und Arbeitslosigkeit, die langfristige Sicherung unserer Infrastruktur für Bildung, Verkehr, Ver- und Entsorgung etc. - auch z.B. den Schutz der Privatsphäre, ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem, stabile Altersversorgung und Altersvorsorge und so weiter.

Hoffentlich hilft Ihnen meine Antwort einen Schritt weiter.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Lothar Binding