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Frage von Susanne F. •

Frage an Lothar Binding von Susanne F. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Binding,

ich habe eine Frage zu Ihrer Zustimmung zur Schuldenbremse:

Die Staatsverschuldung ist in den letzten zwei Jahrzehnten nicht wegen finanzverfassungsrechtlicher Schranken für die Kreditaufnahme gestiegen, sondern weil Steuergeschenke für Vermögende und Kapitalbesitzer in großem Maßstab auf Pump finanziert wurden. Diese Steuersenkungspolitik ist maßgeblich für das Anwachsen der Verschuldung von Bund, Ländern und Kommunen verantwortlich. Mit der Neufassung der Artikel109 und 115 GG im Zuge der Förderalismusreform II wird so zwar ein neues Staatsverschuldungsrecht geschaffen, die Ursachen des Problems werden aber nicht angepackt. Vielmehr ist zu befürchten, dass die Länder, die ihre Investitionsprojekte nicht mehr in dem bisherigen Umfang über Kredite finanzieren können, gezwungen sein werden, auf Public Private Partnership und andere private Finanzierungsformen zurückzugreifen. Die Einführung der Schuldenbremse bedeutet damit auch die Fortsetzung der Privatisierungs- und Entstaatlichungspolitik neoliberalen Zuschnitts.

(Quelle: Entschließungsantrag ..... der Fraktion die Linke, Drucksache: 16/13231)

Wie ist Ihre Haltung dazu?

Susanne Fiek

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Antwort von
SPD

Sehr verehrte Frau Fiek,

herzlichen Dank für Ihre Frage. Einen ersten Hinweis auf meine ablehnende Haltung zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke können Sie schon an meinem Abstimmungsverhalten bei der Abstimmung im Bundestag über die Einführung einer Schuldenbremse ablesen. Sie finden auf dieser Website http://www.abgeordnetenwatch.de auch einen ausführlichen Dialog mit Herrn Mayer, in dem ich meine Unterstützung einer Schuldenbremse begründet habe. Dort können Sie einige meiner Argumente nachlesen. Ich hoffe, Sie haben Verständnis, wenn ich Sie auf diesen Meinungsaustausch verweise; dadurch bleibt mehr Raum, um auf einige Argumente der Linken zu antworten, die Sie aus dem Entschließungsantrag zitieren.

In diesem Antrag ist zu lesen, dass die Staatsverschuldung in den letzten beiden Jahrzehnten nicht wegen finanzverfassungsrechtlicher Schranken für die Kreditaufnahme gestiegen sei, sondern weil Steuergeschenke für Vermögende und Kapitalbesitzer in großem Maßstab auf Pump finanziert worden seien. Darin klingt der Vorwurf verfehlter politischer Entscheidungen an. Diese vage, nicht weiter erläuterte Behauptung ist allerdings falsch und trotzdem aufschlussreich, denn sie zeigt den unzulässigen, irreführenden Argumentationsstil der Linken und die Art ihres einseitigen und verkürzten Umgangs mit der politischen Realität.

Zur Erläuterung ein scheinbares Paradoxon: Wir haben den Spitzensteuersatz gesenkt aber ein Einkommensmillionär bezahlt seither mehr Steuern. Wer also nur die Senkung des Spitzensteuersatzes erwähnt, täuscht seine Zuhörer. Gleichzeitig mit der Senkung des Spitzensteuersatzes würden nämlich sehr viele Ausnahmen abgeschafft, erinnern möchte ich an den Schiffsfonds oder den Filmfonds. Auch in der Unternehmensteuerreform haben wir wichtige Schlupflöcher abgeschafft. Z.B. durch die Zinsschranke, oder die Besteuerung bei Funktionsverlagerung etc. Für die Kommunen sind die Hinzurechnungen in der Gewerbesteuer von großer Bedeutung deshalb haben die Kommunen in 2008 auch eine sehr hohe Gewerbesteuer eingenommen. Eine Senkung der Steuersätze bei gleichzeitiger Verbreiterung der Bemessungsgrundlage hilft also den fairen Steuerzahlern und belastet jene, die bisher in Deutschland kaum oder keine Steuern bezahlt haben.

Außerdem wird formuliert Vielmehr ist zu befürchten, dass die Länder gezwungen sein werden, auf Public Private Partnership und andere private Finanzierungsformen zurückzugreifen. Auf die einfache Idee, zur Vermeidung von neuen Schulden, die Steuern anzuheben, kommen die Kollegen offenbar nicht.

Die Linke greift lediglich einen kleinen Ausschnitt der finanziell wirksamen Staatstätigkeit heraus, um damit einen angeblich allgemein wirksamen Trend der steigenden Staatsverschuldung zu erklären. Wer allerdings die Bilanz der sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung der letzten Jahre unvoreingenommen zur Kenntnis nimmt, kommt schnell zu dem Ergebnis, dass wir gerade nicht Politik für Vermögende und Kapitalbesitzer machen im Gegenteil: es geht uns um Verbesserungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für Leute mit geringem und mittlerem Einkommen, um nur zwei Schwerpunkte unserer politischen Arbeit für eine sozial gerechtere Gesellschaft zu nennen.

Einige kurze Hinweise auf Maßnahmen, die wir mit den Konjunkturpaketen I und II getroffen haben, mögen Ihnen an dieser Stelle einen Eindruck davon vermitteln:

- Der Eingangssteuersatz bei der Einkommensteuer sinkt auf 14 %, den Grundfreibetrag erhöhen wir auf 8.004 Euro. Die Menschen werden durch diese Maßnahmen in diesem Jahr um rund 3 Mrd. Euro und 2010 um rund 6 Mrd. Euro entlastet. Zum 1. Januar 2010 werden wir den Steuerabzug von Vorsorgeaufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung deutlich verbessern. Die Bürgerinnen und Bürger werden dadurch um mehrere Milliarden Euro entlastet.
- Über die Familienkassen wird an alle Kindergeldbezieher ein Kinderbonus von einmalig 100 Euro je Kind ausgezahlt werden. Damit stehen Familien mit Kindern 1,8 Mrd. Euro zusätzlich zur Verfügung. Für Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren wird der Kinderregelsatz bei Hartz IV und Sozialhilfeempfängern erhöht. Er beträgt dann zum 1. Juli 2009 nicht mehr 60 %, sondern 70 % des Eckregelsatzes. Von dieser Erhöhung um 35 Euro monatlich profitieren rund 820.000 Kinder. Die Kosten für diese Maßnahme betragen in den kommenden beiden Jahren rund 520 Mio. Euro.
- Zum 1. Juli senken wir den paritätisch finanzierten Krankenkassenbeitrag um 0,6 Prozentpunkte. Damit werden die Beitragszahler, also auch die Rentner und die Arbeitgeber um 6 Mrd. Euro ab kommendem Jahr entlastet, davon rund 3 Mrd. Euro in 2009. Bereits seit dem 1. Januar 2009 gilt ein geringerer Beitragssatz für die Arbeitslosenversicherung von 2,8 Prozent. Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden so um rund 4 Mrd. Euro entlastet.
- Ebenfalls seit dem 1. Januar erhalten Familien monatlich 10 Euro mehr Kindergeld. Auch der Kinderfreibetrag ist deutlich um 200 Euro auf nun 6.024 Euro angehoben worden. Rund 2 Mrd. Euro stehen nun mehr für Familien zur Verfügung. Durchgesetzt haben wir in der Koalition, dass auch Kinder von Arbeitslosen mehr Geld zur Verfügung haben sollen. Jeweils zum Schuljahresbeginn erhalten hilfsbedürftige Kinder einen Betrag von 100 Euro bis zum Abschluss der 10. Klasse. Die Kosten betragen in den kommenden beiden Jahren 240 Mio. Euro. Zum 1. Januar 2009 haben wir das Wohngeld von durchschnittlich 92 Euro monatlich auf 142 Euro und außerdem rückwirkend zum 1. Oktober 2008 eine Heizkostenpauschale eingeführt. Diese Maßnahmen kosten rund 520 Mio. Euro.

Mit diesen Maßnahmen der beiden Konjunkturpakete entlasten wir die Bürgerinnen und Bürger um insgesamt rund 30 Mrd. Euro. Eine durchschnittlich verdienende Familie (Alleinverdiener, 2 Kinder, 30.000 Euro Jahresbruttoeinkommen) hat in diesem Jahr netto 679 Euro mehr in der Tasche, im Jahr 2010 614 Euro.

Zugleich haben wir gemeinsam mit der erfolgreichen Arbeit Peer Steinbrücks bei der Konsolidierung des Bundeshaushalts, die erst durch die weltweite Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise in den Hintergrund gedrängt wurden, deutlich gemacht, dass kluge politische Entscheidungen und günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen einen Weg aus der steigenden Neuverschuldung weisen können. Dies lässt sich auch konkret zeigen, denn das wichtige Ziel die Neuverschuldung auf Null zu bringen war schon im Haushalt bzw. in der Mittelfristigen Finanzplanung des Bundes enthalten. Diese Feststellung ist mir wichtig, da ich in meiner parlamentarischen Arbeit im Finanz- und im Haushaltsausschuss zugleich die Einnahmen- und die Ausgabenseite des Bundeshaushalts im Blick habe und damit einen präzisen Eindruck von den Schwerpunkten unseres politischen Handelns gewinne. Ich weiß um die Schwierigkeiten in unserem Bemühen um sinnvolle Einsparungen, vertretbare Ausgabenkürzungen, stabile Staatseinnahmen kurz gesagt: eine sozial gerechtere Verteilung der Finanzierungsaufgaben in unserer Gesellschaft. Die meisten Bürgerinnen und Bürger werden diese Zielsetzungen wohl sicherlich ernsthaft und nachdrücklich unterstützen, solange sie nur ausreichend abstrakt bleiben. In der Realität wird es wahrscheinlich fast allen jedoch schwer fallen, auf vermeintlich oder tatsächlich wohlverdiente Leistungsansprüche, Besitzstände oder Unterstützungsleistungen zu verzichten.

Trotzdem bleibt genügend Spielraum für gute, vernünftige Politik im Interesse und zum Wohle vieler Menschen. Die Schuldenbremse bietet dafür einen guten gesetzlichen Rahmen insbesondere auch deswegen, weil sie dazu zwingt, die Lebenslagen künftiger Generationen in unsere derzeitigen Entscheidungen einzubeziehen und sie nicht mit einem übermäßigen Schuldendienst zu belasten. Die Schuldenbremse erlaubt aber gleichwohl, in schwierigen Zeiten zurückgehenden wirtschaftlichen Wachstums bzw. Schrumpfung, staatliche antizyklische Aktivitäten stark auszuweiten. Insofern sehe ich in der Schuldenbremse ein starkes Signal am Ziel eines ausgeglichenen Haushalts festzuhalten, aber die Handlungsfähigkeit des Staates zu erhalten.

Die Befürchtung der Linken-Fraktion, die angeblichen Finanzierungsschwierigkeiten für Länder und Kommunen führten zur Fortsetzung der Privatisierungs- und Entstaatlichungspolitik neoliberalen Zuschnitts beruht somit auf falschen Prämissen; folglich ist auch diese Schlussfolgerung nicht haltbar. Dies machen auch unsere Beschlüsse der jüngeren Vergangenheit deutlich. Sie haben gezeigt, dass verantwortungsvolle Politik zur Stärkung der Gemeinde- und Länderfinanzen möglich und sinnvoll ist: Die Handlungsfähigkeit von Ländern und Gemeinden lässt sich gerade auch auf einfacher gesetzlicher Ebene mit vernünftigen und praxisnahen Entscheidungen sichern und ausbauen. Ich denke etwa an die deutliche Stärkung der Gewerbesteuereinnahmen der Gemeinden durch die Unternehmensteuerreform 2008 oder die Regelungen zum Erhalt des sog. steuerlichen Querverbunds im Jahressteuergesetz 2009.

Trotz dieser klugen Rahmenentscheidungen auf Bundesebene liegt die Verantwortung für solide Haushaltsführung weiterhin auch bei den Ländern und Kommunen selbst. Diese Spielräume für eigenständige Entscheidungen sind ein wichtiger und richtiger Bestandteil unserer föderalistischen Finanzverfassung. Wie ich aus eigener Erfahrung weiß, nutzen viele Städte und Gemeinden diese Freiheit für kluge und vorausschauende Investitionen und für Ausgabeentscheidungen in den vielen politischen Bereichen, für die sie Verantwortung tragen. Leider gibt es auch Gegenbeispiele: Viele Kommunen, die bei der kurzsichtigen Suche nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten überaus komplizierte und sehr nachteilige Cross-Border-Leasingverträge unterschrieben haben, verzeichnen in der derzeitigen Krise empfindliche finanzielle Verluste und berauben sich selbst wichtiger Gestaltungsmöglichkeiten.

Die föderale Finanzverfassung hat noch weitere Baustellen, an denen weitere Verbesserungen notwendig sind. Für besonders wichtig halte ich eine engere Zusammenarbeit bei der Bildungsfinanzierung zwischen den staatlichen Ebenen. Diese Position habe ich gemeinsamen mit anderen Abgeordneten auch bei der Abstimmung über die Einführung einer Schuldenbremse ins Grundgesetz in einer sog. Persönlichen Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Bundestags zum Ausdruck gebracht.

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen einen Einblick in meiner Überlegungen ermöglicht zu haben.

Mit freundlichem Gruß,
Lothar Binding