Was unternehmen Sie und die deutsche Regierung, um die israelische Blockade zu beenden und humanitäre Hilfe für Gaza zu ermöglichen?
Seit über einem Monat blockiert Israel jegliche Nahrungsmittel- und medizinische Hilfe für Gaza. Hilfsorganisationen warnen vor einer humanitären Katastrophe.
Ich bitte um eine klare Stellungnahme.

Sehr geehrter Herr S.,
danke für Ihre Frage.
Für jeden Staat gilt das Selbstverteidigungsrecht. Entsprechend darf sich Israel gegen die Bedrohung der terroristischen Hamas und anderer Akteure in der Region, die das Land weiterhin angreifen, zur Wehr setzen und seine Geiseln befreien. Dabei verlangt das Völkerrecht – wie bei jeder kriegerischen Auseinandersetzung – den größtmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung und die vollständige Achtung des humanitären Völkerrechts.
Rund eineinhalb Jahre später blicken wir nun auf einen militärischen Gegenschlag Israels, in dem inzwischen nach schwer zu prüfenden Angaben rund 50.000 Menschen in Gaza getötet wurden, darunter viele Frauen und Kinder. Ein großer Teil der Infrastruktur Gazas ist zerstört. Es gibt zu wenig Nahrung, Wasser, Arzneimittel. Viele Menschen müssen in Zelten leben, ohne funktionierende Sanitärsysteme, Krankheiten häufen sich. Kurzum: Die humanitäre Situation in Gaza ist katastrophal.
Fest steht: Wir sind verpflichtet zu handeln, um dieser Situation ein Ende zu setzen. Dazu gehört an erster Stelle, dass die Kampfhandlungen wieder eingestellt werden müssen und der Waffenstillstand fortgeführt wird. Denn wir befinden uns akut in einer Situation, in der das Leid mit jedem Tag, an dem der Krieg fortgesetzt wird, so viel größer wird, dass wir sagen müssen: Wir werden die gemeinsamen Ziele – Freilassung der Geiseln, Sicherheit für Israel, Zweistaatenlösung und einen gerechten Frieden für beide Seiten – nur auf dem Verhandlungsweg erreichen. Bis dahin muss die humanitäre Unterstützung weiterhin massiv ausgebaut werden, die Menschen benötigen ausreichenden und gesicherten Zugang zu Nahrung und Medikamenten.
Deutschland unterstützt seit Beginn des Krieges die humanitäre Lage und setzt sich dafür ein, dass die Menschen in Gaza Lebensmittel und Medikamente erhalten. So berichtet das zuständige Auswärtige Amt: "Der Schwerpunkt der deutschen Hilfe lag schon seit Beginn des Krieges auf den dringendsten Bedarfen der Menschen vor Ort: medizinische Hilfe und Nahrungsmittelhilfe – also zum Beispiel die Verteilung von Lebensmittelkörben und Nahrungsergänzungsmitteln, der Einsatz medizinischer Notfallteams oder die psychosoziale Unterstützung von Familien. Mit deutscher Unterstützung stellen das Kinderhilfswerk UNICEF und das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen gebrauchsfertige Ergänzungsnahrung und Säuglingsanfangsnahrung bereit, um Säuglinge und Kleinkinder vor Mangelernährung zu schützen. Die Weltgesundheitsorganisation sowie das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter, Care International und Oxfam können die Gesundheitsversorgung in Gaza verbessern – etwa durch mobile Kliniken in Notunterkünften und den Einsatz von Anlagen zur Wasseraufbereitung. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen unterstützt die Abfallbeseitigung, um dem Ausbruch von Krankheiten entgegenzuwirken. Insgesamt wurde die deutsche Hilfe für die Palästinensischen Gebiete seit dem 7. Oktober 2023 um mehr als 300 Millionen Euro aufgestockt."
Doch klar ist, dass das noch nicht genügt. Und in der derzeitigen Situation sind wir in der Lage, dass Hilfslieferungen zum großen Teil nicht mehr nach Gaza gelangen und von der israelischen Seite gestoppt werden. Deutschland engagiert sich sowohl bilateral als auch in europäischen und internationalen Gremien stark dafür, dass dies wieder geändert wird.
Und was einen Waffenruhe bzw. die militärischen Angriffe Israels auf Gaza angeht: Für mich persönlich ist klar: Jede Waffenlieferung muss im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht stehen. Seit Jahresbeginn 2024 wurden deutsche Rüstungsexporte nach Israel extrem eingeschränkt, es wurden keine Kriegswaffen mehr geliefert und nur noch Rüstungsgüter wie Helme im geringen Umfang. Seit August wurden die Exporte wieder erweitert. Hier muss man jedoch unterscheiden zwischen Kriegswaffen und Rüstungsgütern. So werden vor allem Zulieferer- und Ersatzteile geliefert. Israel hat der Bundesregierung eine schriftliche Garantie gegeben, dass die gelieferten Militärgüter im Kampf gegen die Hamas und Hisbollah nicht völkerrechtswidrig eingesetzt werden. Doch an dieser Garantie habe ich erhebliche Zweifel. Der Krieg zieht sich von Tag zu Tag, es wurden immer noch nicht alle Geiseln befreit und es sterben weiterhin unschuldige und ungeschützte Menschen in Gaza. Das darf so nicht weitergehen. Deutsche Waffenlieferungen dürfen nicht gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden und zu einem noch größeren Leid der Menschen führen. Entsprechend sehe ich die Lieferung von Kriegswaffen zum jetzigen Zeitpunkt nach Israel als nicht richtig an.
Denn auch deutsche Staatsbürger:innen waren und sind weiterhin in Gaza. Ende März konnten 45 von ihnen sowie ihre Angehörigen ausreisen und befinden sich nun wieder in Deutschland. Eine einstellige Zahl deutscher Staatsangehöriger ist weiterhin in Gaza, ihre Evakuierung wird derzeit geplant.
Deutschland arbeitet gemeinsam mit weiteren Staaten daran, zu einer friedlichen Lösung zu kommen. Der Nahostkonflikt dauert bereits lange an, er ist komplex und vielschichtig. Es muss deswegen immer um mehr gehen als um die kurzfristige Eindämmung des Konflikts. Es muss um ein glaubwürdiges Eintreten für einen dauerhaften und gerechten Frieden gehen.
Ich glaube, dass es Millionen von Menschen gibt, die differenziert über den Nahost-Konflikt denken. Ihre Stimmen werden nicht immer wahrgenommen. Es gibt Menschen, die im Hintergrund für die Verständigung arbeiten – jeden Tag. Ihre Arbeit ist unbezahlbar und wir brauchen mehr davon.
Mit freundlichen Grüßen
Hakan Demir