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Frage von Christian w. •

Zum geplanten Freedomday am 30. Okt. 21 in Deutschland. Sind Sie und ihre Partei für die Wiedererlangung der Menschenrechte in Deutschland oder wollen Sie weitere Verbote?

Sehr geehrter Abgeordneter,

viele Menschen in Deutschland werden sich voraussichtlich am 30 Oktober 2021 nicht mehr länger an die von der Politik vorgegebenen Corona Maßnahmen halten und den Freedom Day welcher vom Kassenärztechef Gassen vorgeschlagen worden ist begrüßen. Dadurch fallen alle Corona Verbote einschließlich Maskenpflicht und G* Regelungen.
Wird sich ihre Partei in dem Punkt für die Freiheit der Menschen einsetzen oder weitere Verbote durchsetzen wollen?

Vielen Dank für Ihre Antwort
Christian W.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr W.

vielen Dank für Ihre Frage, auf die ich gerne eingehe.

Der sogenannte „Freedom Day“ am 30. Oktober ist nicht geplant, wie Sie es schreiben. Er ist lediglich vom Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ins Gespräch gebracht worden und daraufhin auf viel Widerspruch gestoßen. Da ich die Argumente der Widersprechenden für sehr viel überzeugender halte, spreche auch ich mich gegen eine vorschnelle Aufhebung aller Vorsichtsmaßnahmen aus.

Der Anteil der vollständig Geimpften ist gemäß der Mehrheit der Gesundheitsexpert:innen noch zu gering, als dass alle Schutzmaßnahmen guten Gewissens aufgehoben werden können. Es gilt weiterhin, dass die Pandemiebekämpfung eine Solidaraufgabe ist. Wer sich entgegen der Empfehlung nicht impfen lässt, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch diejenigen, die sich noch nicht impfen lassen können – z. B. Kinder und Menschen mit entsprechenden Vorerkrankungen, für die eine Infektion darüber hinaus eine besondere Gefahr darstellt.

Hinzu kämen unzählige vermeidbare Fälle von Long-Covid und die Gefahr neuer Varianten, die ggf. einen noch höheren Immunescape haben als die bisherigen Varianten und unseren Impffortschritt zunichtemachen.

Nicht zuletzt gefährden freiwillig Nicht-Immunisierte auch unser Gesundheitssystem und die psychische sowie physische Gesundheit unserer Pflegekräfte und Mediziner:innen. Schließlich stößt die Forderung nach einem baldigen „Freedom Day“ besonders bei niedergelassenen Ärzt:innen und in Krankenhäusern auf großen Widerstand, da diese die Belastung durch Covid-19-Patient:innen am besten einschätzen können und unvorsichtiges Öffnen ausbaden müssten. Unsere Entscheidungen können meinem ethischen Verständnis nach nicht auf der Prämisse aufbauen, dass wir ausprobieren, wie viel unser Krankenhauspersonal aushält, bevor das Gesundheitssystem zusammenbricht. Die Menschen in den Krankenhäusern leisten auch ohne solch fahrlässige Entscheidungen mehr als genug und herausragende Arbeit und haben in den letzten anderthalb Jahren bereits zu viel Überlastung ertragen. Ich verstehe es als meine Aufgabe als (scheidender) Parlamentarier, auch die Interessen der Bürger:innen, die im Gesundheitswesen tätig sind, zu vertreten.

Schließlich ist auch die Einschätzung von Herrn Dr. Gassen, der „Freedom Day“ sei in Großbritannien erfolgreich gewesen, meines Erachtens nicht richtig. Stand heute infizieren sich täglich (!) knapp 30.000 Menschen mit dem SARS-Coronavirus-2 – die 7-Tage-Inzidenz liegt bei über 300 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner:innen. Rund 1.000 Menschen sterben wöchentlich an Covid-19. Laut dem Vorsitzenden der British Medical Association ist der Freedom Day entscheidend verantwortlich für vermeidbar gewesene 40.000 Krankenhauseinweisungen und 4.000 Tote. Das britische Gesundheitssystem steht erneut vor dem Kollaps. Als erfolgreich würde ich diese Bilanz nicht bezeichnen.

Auch die Behauptung, die Aussicht auf den „Freedom Day“ am 30. Oktober erhöhe die Impfbereitschaft, halte ich für realitätsfern. Die Impfbereitschaft würde durch diese Perspektive nur noch weiter ausgebremst und erst bei einer vollständigen Impfquote von etwa 80 oder sogar 85 Prozent kann nach Einschätzung der allermeisten Expert:innen eine gänzliche Aufhebung der Schutzmaßnahmen sinnvoll sein. Diese Quote erreichen wir allein durch niedrigschwellige Angebote vor Ort, die alle Menschen unabhängig von ihrem Wohnort und in ihren Sprachkenntnissen erreichen, sowie durch 2G-Regelungen. Bis dahin sind Maßnahmen, wie das Tragen von medizinischen Masken im ÖPNV und beim Einkaufen, mehr als zumutbar.

Ich komme auch bezüglich der „Maßnahmendisziplin“ der Bürger:innen zu einer anderen Einschätzung als Sie. Die vergangenen anderthalb Jahre und die hohe Impfbereitschaft in der großen Mehrheit der Bevölkerung haben gezeigt, dass die allermeisten Bürger:innen den Ernst der Lage erkennen, die wissenschaftlichen Einschätzungen respektieren und sich solidarisch verhalten.

Herr W., ich hoffe, ich konnte Ihnen nachvollziehbar deutlich machen, weshalb ich den unüberlegt wirkenden Vorstoß von Herrn Dr. Gassen zu diesem Zeitpunkt ablehne und alle Bürger:innen, die sich impfen lassen können, zur Impfung ermutigen möchte, damit wir bald mit gutem Gewissen alle Schutzmaßnahmen aufheben können.

Mit freundlichen Grüßen,

Gustav Herzog