Gabriele Hiller-Ohm
Gabriele Hiller-Ohm
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Gabriele Hiller-Ohm zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Walther O. •

Frage an Gabriele Hiller-Ohm von Walther O. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrte Frau Hiller-Ohm,

da Sie Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales sind, habe ich folgende Fragen zur Situation der rumänischen Werkvertragsarbeiter an Sie:
Gilt für rumänische Werkvertragsarbeiter der rumänischen Mindestlohn oder deutsche tariflich geregelte? Sind Werkvertragsarbeiter bei der Wahl zum Betriebsrat wahlberechtigt?
Gilt für diese rumänischen Arbeiter das deutsche oder rumänische Arbeitsschutzgesetz? Gilt für sie die maximale tägliche Arbeitszeit von 10 Stunden?
Gilt für diese Arbeiter das Bundesurlaubsgesetz?
Zahlen die rumänischen Subunternehmer Beiträge bei den Berufsgenossenschaften und deren Unfallversicherung? Wenn nein, wer übernimmt die Kosten bei einem Arbeitsunfall?
Sind diese Arbeiter krankenversichert? Wenn nein, wer übernimmt im Krankheitsfall die Behandlungskosten?
Erhalten diese Arbeiter verständliche Einweisungen für das Verhalten im Notfall, zum Beispiel bei Bränden? Wenn ja, wird das überprüft?
Wenn diese rumänischen Arbeiter als Schweißer eingesetzt werden - wie bei der Meyer-Werft in Papenburg - , brauchen sie dann die nach den deutschen Bestimmungen notwendigen Prüfungen und Zertifikate als Schweißer oder gelten die rumänischen Bestimmungen?

Mit freundlichen Grüßen
Walther Oppermann

Gabriele Hiller-Ohm
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Oppermann,

haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage und bitte entschuldigen Sie, dass meine Antwort etwas mehr Zeit in Anspruch genommen hat. Sie haben eine Fülle von Fachfragen gestellt, für die eine gründliche – und leider auch längere – Recherche nötig war. Ich bitte um Ihr Verständnis.

Zu Ihren Fragen im Einzelnen:
Zur Frage nach dem Mindestlohn und seinem Geltungsbereich für rumänische Werkvertragsarbeiter verweise ich auf § 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Hier steht, dass alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Unternehmen und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zwingend angewendet werden müssen. Ausdrücklich genannt werden:

1. die Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze,
2. den bezahlten Mindestjahresurlaub,
3. die Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten,
4. die Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen,
5. die Sicherheit, den Gesundheitsschutz und die Hygiene am Arbeitsplatz,
6. die Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen und
7. die Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen

Sollte es wie unter Nr. 1 keinen Mindestlohn geben, gilt in Deutschland dennoch die Sittenwidrigkeitsgrenze. Grundlage hierfür ist § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Das Bundesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass dann Lohnwucher oder ein sittenwidriger Lohn vorliegt, wenn weniger als zwei Drittel des Lohns bezahlt werden, der branchen- oder ortsüblich ist (vgl. Urteile des Bundesarbeitsgerichts: Az.: 5 AZR 303/03, Urteil vom 24. März 2004; Az.: 5 AZR 549/05, Urteil vom 26. April 2006; Az.: 5 AZR 436/08, Urteil vom 22. April 2009)

Die Frage nach der Wahlberechtigung für den Betriebsrat für Werkvertragsarbeiter der Firma die den Werkvertrag vergeben hat, muss ich verneinen. Werkvertragarbeitnehmer sind darüber hinaus auch gegenüber der Firma, in der sie eingesetzt werden, rechtlich gesehen nicht weisungsgebunden.
Ich würde mir aber wünschen, dass die Betriebsräte mehr Mitsprache bekommen und am besten auch ein Vetorecht erhalten, wenn es um die Frage geht, ob Leistungen von Fremdfirmen über Werkverträge erbracht werden sollen.

Auch für Werkvertragarbeitnehmer gelten maximale tägliche Arbeitszeiten. Diese betragen für die Fünf-Tage-Woche maximal zehn Stunden pro Tag, für die Sechs-Tage-Woche maximal acht Stunden pro Tag. Hier haben wir auch eine Europäische Richtlinie.

Ebenso gilt die Regelung für den Mindesturlaub. Auch hier unterscheiden wir nach der Arbeitswoche, welche Mindeststandards gelten müssen. Bezahlter Jahresurlaub ist bei einer Sechs-Tage-Woche auf mindestens 24 Tage pro Jahr, bei einer Fünf-Tage-Woche auf mindestens 20 Tage pro Jahr festgelegt.

Zu den Sozialversicherungen und der Handhabung hierzu gibt es folgende Regelung:

Nach den Gemeinschaftsregelungen unterliegen Arbeitnehmer, die innerhalb der Europäischen Union zu- und abwandern, den Sozialversicherungsbestimmungen nur eines Mitgliedstaats. Nach den Verordnungen unterliegen Personen, die sich aus arbeitsbedingten Gründen von einem Mitgliedstaat in einen anderen begeben, im Allgemeinen dem System der sozialen Sicherheit des neuen Beschäftigungsstaates.

Um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer möglichst zu fördern und kostspielige verwaltungsmäßige Komplikationen zu vermeiden, die nicht im Interesse der Arbeitnehmer, Unternehmen und Träger liegen, sind in den geltenden EU-Rechtsvorschriften einige Ausnahmen von diesem allgemeinen Grundsatz vorgesehen.

Wichtigste Ausnahme ist die Bestimmung, dass der Arbeitnehmer weiterhin dem System der sozialen Sicherheit des Staates angehören muss, in dem das Unternehmen gewöhnlich tätig ist (Entsendestaat), wenn der Arbeitnehmer von diesem Unternehmen in einen anderen Mitgliedstaat (Beschäftigungsstaat) für einen Zeitraum entsandt wird, der von Anfang an begrenzt ist (höchstens 24 Monate). Hier gilt also in diesem Zeitraum das Herkunftslandprinzip. Hieraus ergibt sich dann auch, welche Krankenkasse und welche Berufsgenossenschaft zuständig ist.

Dagegen gilt beim Unfallschutz das Territorialprinzip.

Grundsätzlich ist in Deutschland die Akutbehandlung auch ohne Zugehörigkeit zu einer Krankenkasse geregelt. Bei bedrohlichen Verletzungen oder Erkrankungen wird selbstverständlich erst ärztlich behandelt, statt den Versicherungsstatus zu überprüfen.

Hinsichtlich des Arbeitsschutzes und der Notfall-Bestimmungen möchte ich anmerken, dass diese sich auf alle Gebäudeteile und Bereiche einer Firma erstrecken – ganz gleich, wer sich dort aufhält. Überprüft wird dies durch die Berufsgenossenschaften oder die Gewerbeaufsicht.

Und auch beim Einsatz zertifizierten Personals gilt: Wenn ein bei einer deutschen Firma angestellter Facharbeiter ein Zertifikat braucht, braucht es auch der aus dem seitens einer ausländischen Firma entsandte Facharbeiter.

Soweit zur rechtlichen Lage. Problematisch sehe ich, wie die Einhaltung ge- und überprüft wird. Für Arbeitsbedingungen und Arbeitsentgelte ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll verantwortlich. Bei Arbeitsschutz – wie gesagt – die Berufsgenossenschaften und die Gewerbeaufsicht.

Selbstverständlich sehe ich zusammen mit meinen Fraktionskolleginnen und –kollegen die Problematik bei den Werkverträgen. Deswegen fordern wir auch als SPD-Fraktion, den Missbrauch von Werkverträgen zu verhindern. Unseren Antrag finden sie unter der Drucksachennummer 17/12378 oder unter folgendem Link: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/123/1712378.pdf

Darin fordern wir zum Beispiel neben einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro für alle Menschen, die in Deutschland arbeiten auch eine bessere finanzielle Ausstattung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll, damit hier mehr Personal zur Überwachung und Prüfung gegen den Missbrauch von Werkverträgen eingesetzt werden kann.

Darüber hinaus wollen wir die Mitbestimmungsrechte stärken, damit schon im Vorfeld kein Missbrauch stattfinden kann.

Ebenso fordern wir mehr Möglichkeiten so genannte Scheinwerkverträge von echten Werkverträgen zu unterscheiden und wo nötig auch zu sanktionieren.

Leider wurde unser Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Die Oppositionsfraktionen stimmten geschlossen dafür. Insofern ist unser Antrag auch über Parteigrenzen hinweg überzeugend. Hingegen verschließen sich die Regierungsfraktionen dieser Problematik völlig. Zwar sieht man bei CDU und CSU wenigstens ein, dass Verstöße besser geahndet werden müssen – konkrete Maßnahmen werden aber nicht vorgeschlagen. Auch die FDP bringt nur abstrakte Absichtserklärungen, statt gesetzliche Neuregelungen vorzuschlagen.

Sofern die Bundestagswahl am 22. September 2013 zu einem Regierungswechsel führt und die SPD den neuen Bundeskanzler stellt, werden wir zügig Regulierungen durchsetzen. Das fängt beim Mindestlohn für 8,50 Euro an, der binnen 100-Tage-Frist nach Regierungsübernahme umgesetzt werden wird. Davon würden in Deutschland insgesamt über neun Millionen Beschäftigte profitieren.

Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Hiller-Ohm