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Erik Marquardt
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Frage von Uwe M. •

Frage an Erik Marquardt von Uwe M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Marquardt,

wie man heute in mehreren Tageszeitungen lesen konnte, setzen Sie sich dafür ein, dass über die Bundesländer Schiffe gechartert werden, die zur Rettung von Geflüchteten im Mittelmeer eingesetzt werden sollen. Auf Wikipedia kann man unter Ihrer Person nachlesen, dass Sie selbst schon über eine Organisation Geld gesammelt haben, um eine Flüchtlingsschiff zu einer solchen Mission auf den Weg zu bringen.

Meine Fragen hierzu:
1. Ist Ihnen bewusst, dass jeder, der Geflüchteten den Weg nach Europa ermöglicht, auch Verantwortung dafür trägt, was mit diesen Menschen in den Aufnahmeländern passiert und wie die aufnehmende Bevölkerung, die nicht vorher gefragt wird, damit zurechtkommt? Immerhin gelang es bisher nicht, dass der europäische Regierungsverbund ein funktionierendes Konzept beschlossen hat, was unter anderem darauf hindeutet, dass die vorgenannte Verantwortungsübernahme bisher an Überforderung gescheitert ist.
2. Wenn also kein hinreichend schlüssiges Konzept vorliegt, wie man mit den Geretteten hinterher umgeht, was auch beinhaltet, die Asylberechtigung zu prüfen und eventuell abzuschieben, stellt die konzipierte Rettung von Geflüchteten eine STEIGERUNG der Überforderung europäischer Regierungen dar. Ist Ihnen das bewusst?
3. Wenn Ihnen das bewusst ist, und das nehme ich für diese Frage an, dann möchte ich Sie fragen, ob die vermutete Überforderung ein Teil Ihres Konzeptes ist?

Begründung dieser Vermutung mit der Frage ob Sie sich dieser Begründung anschließen:

Je mehr Europäische Regierungen mit einer wachsenden Zahl von Geflüchteten konfrontiert und überfordert sind und damit auch das Erstarken flüchtlingsfeindlicher Parteien, die Bildung von Regierungen erschwert und somit das jeweilige Land schlechter regiert wird, desto eher kann man das gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in Frage stellen, ja es stellt sich selbst in Frage.
Geht es Ihnen also eher um letzteres und weniger um die Geflüchteten?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Mannke,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Migrationsbewegungen hat es in der Geschichte der Menschheit immer gegeben. Die Welt unterliegt ständigem Wandel. Es ist klar, dass sich Migration nicht stoppen lässt und es ist auch nicht mein Wunsch, Migration zu stoppen, sondern sie sinnvoll zu gestalten. Wie die letzten Jahre gezeigt haben, sind die europäischen Gesellschaften durch Migrant*innen auch nicht überfordert, es sind lediglich nationalistische, rechte Bewegungen, die versuchen, den Menschen in verschiedenen EU-Staaten Angst vor einer diffusen Gefahr durch Geflüchtete zu machen.

Das Bekenntnis dazu, dass Menschen, die verfolgt werden nicht wieder in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden dürfen, ist ein grundsätzliches Recht, dass sowohl von der UNO als auch von der EU als auch den europäischen Nationalstaaten dem Grundsatz nach anerkannt wird und ratifiziert wurde. Wenn sie unterscheiden wollen, zwischen denjenigen, die verfolgt werden und denjenigen, die fliehen, weil sie in ihrer Herkunftsregion keine persönliche Perspektive mehr sehen, dann ist das ihr gutes Recht. Auch ich unterscheide zwischen verschiedenen migrierenden Gruppen. Es ist jedoch die Aufgabe eines Rechtsstaats, den Menschen zunächst Zuflucht zu ermöglichen, um erst in einem zweiten Schritt die Schutzbedürftigkeit zu prüfen.

Die EU verfolgt zur Zeit ein Konzept, das auf Abschreckung basiert. Während auf der einen Seite bei den Leuten, die bereits in Deutschland sind, verbriefte Rechte wie das Recht auf Familiennachzug einfach nicht durchgesetzt werden, werden die Menschen, die sich auf dem Weg nach Europa befinden, tödlicher Gefahr ausgesetzt, indem sie sogar noch vor den Toren Europas nicht aus Seenot gerettet werden und in Libyen Folterlager, die aus europäischen Geldern finanziert werden, entsetzliches anrichten.

Ich trage als Politiker im Europäischen Parlament nicht nur Verantwortung für die Menschen in Europa, sondern ebenfalls dafür, dass die eigenen europäischen Gesetze und Werte eingehalten werden. Es ist eine Schande, dass die EU als Verbund starker Staaten jedes Jahr viele tausende Menschen allein im Mittelmeer ertrinken lässt. Wenn wir davon ausgehen, dass das Grundgesetz, die europäischen Verträge, die Europäische Menschenrechtskonvention und andere internationale Normen Rechtsgrundlagen sind, die sich die europäischen Nationen selbst gegeben haben, dann kann auch mitnichten davon die Rede sein, dass die Ermöglichung des Zutritts nach Europa an der Bevölkerung vorbei entschieden wurde. Dieses Vorgehen entspricht im Gegenteil exakt der Rechtslage. Das Problem liegt genau in der Tatsache, dass die europäischen Staaten jede Barriere nutzen, die ihnen einfällt um ohne ihre Bevölkerung zu fragen Recht zu brechen und Asylsuchende ertrinken zu lassen oder in Folterlager in Nordafrika zurückzuschieben.

Außerdem ist es wichtig, dass wir in der Entwicklungszusammenarbeit die Interessen der Menschen in den Blick nehmen, die ihr Land verlassen wollen. Stattdessen konzentrieren wir uns zu oft auf unsere eigenen Interessen und Symptombekämpfung. So wird man keinen Weg zu einer global gerechteren Welt beschreiten können.

Meine Antwort in sehr wenigen Worten ist also, dass ich an die Stärke einer integrativen Gesellschaft glaube. Dass ich glaube, dass Migrationsbewegungen so natürlich sind wie der Wechsel der Jahreszeiten und dass wir der Migration gewachsen und jedem Einzelfall verpflichtet sind. Und lassen sie mich das zum Abschluss noch einmal ganz deutlich sagen: Flüchtlingsfeindliche Parteien erstarken nicht wegen vermehrt ankommender Flüchtlinge, sondern wegen der Agenda der Parteien des rechten Spektrums, die diejenigen in der Gesellschaft, die am wenigsten Einkommen und Aufstiegsmöglichkeiten haben, gegeneinander ausspielen.

Mit freundlichen Grüßen
Erik Marquardt

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