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Claudia Müller
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Imka N. •

Frage an Claudia Müller von Imka N. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Guten Abend,

da sie ja aktuell in Stralsund wohnen und so in direkter Verbindung zur Insel Rügen stehen, sind sie bestimmt eng mit den Geschehnissen rund um Nordstream 2 vertraut. Meine Frage ist nun wie sie diesen Geschehnissen gegenüber stehen?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Nitsch,

vielen Dank für Ihre Anfrage zu Nord Stream II. Ich darf Ihnen einmal etwas ausführlicher die Gründe darlegen, warum wir als Bündnis 90/Die Grünen die Planungen zum Gasepipeline-Projekt Nord Stream II seit jeher ablehnen.

Wir Bündnisgrünen folgen dem aktuellen Stand der Wissenschaft und setzen uns daher für eine Welt ein, die die Pariser Klimaziele noch nicht verloren gibt und sich daher mit aller Kraft gegen den vom Menschen verursachten Klimawandel stemmt. Dem zu Folge lehnen wir wirtschaftliche Projekte ab, die diesem Ziel eindeutig widerlaufen beziehungsweise die den Status Quo der fossilen Energiegewinnung sogar noch auf lange Sicht zementieren werden. Nord Stream II ist ein solches Projekt. Da Gas ebenfalls ein fossiler Brennstoff ist, der bei seiner Verbrennung CO2 emittiert, sehen wir dessen Nutzung höchstens als Brückentechnologie an, die uns als notwendiges Übel in die Zeit der klimaneutralen Energieerzeugung führen soll. Nord Stream II jedoch ist als Pipelineprojekt für eine Laufzeit von 40-50 Jahren ausgelegt und wird aufgrund der immensen Kosten von mindestens 10 Mrd. Euro für die privaten Betreiber auch erst in mehreren Jahrzehnten Rendite erwirtschaften. Es ist also absehbar, dass sich die Nutzung der Pipeline für die Betreiber sich erst zu einem Zeitpunkt lohnen wird, an dem die Europäische Union schon weitestgehend auf fossile Brennstoffe verzichtet haben sollte. Immerhin hat die EU beschlossen, dass ab 2050 keine CO2-verursachenden Brennstoffe verwendet werden sollen. Die hohen Investitionskosten verursachen allerdings einen sogenannten Lock-in-Effekt, also den Anreiz die bereits gebaute Infrastruktur auch zu nutzen. Es ist somit absehbar, dass, wenn Gas durch Nord Stream II fließen wird, es aktiv der Umsetzung der Pariser Klimaziele innerhalb der EU zuwider laufen wird.

Nord Stream II ist darüber hinaus für die Zeit der Nutzung von Gas als Brückentechnologie nicht notwendig. Der Gasverbrauch ist in Deutschland und der gesamten EU seit Jahren tendenziell rückläufig. Analysen, wie beispielsweise eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, zeigen, dass sich der Trend in den kommenden Jahren höchstwahrscheinlich fortsetzen wird. Ein Großteil des Gases wird in Deutschland auf absehbare Zeit für die Wärmgewinnung genutzt. Energetische Gebäudesanierungen, der Austausch alter Heizungstechnologien sowie die voranschreitende Kopplung von Strom- und Wärmesektor werden den Verbrauch weiter sinken lassen. Die derzeitige Leitungskapazität des europäischen Gasleitungsnetzes ist somit auch für die Zukunft mehr als ausreichend und für uns somit klar: Wir brauchen daher keine weiteren Lieferkapazitäten für Erdgas in die Europäische Union. Ich darf an dieser Stelle auf die angeführte Studie des DIW verweisen: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.593440.de/18-27.pdf

Das Verhalten der Bundesregierung sowie der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern ist in Hinblick auf Nord Stream II höchst paradox. Einerseits werden Sonntagsreden gehalten, dass man mehr Klimaschutz befürworte, andererseits wird mit Nord Stream II ein Energiefossil mit aller Kraft vorangetrieben. Die Zukunft für Mecklenburg-Vorpommern liegt unserer Meinung nach in einer anderen Energietechnologie: grünem Wasserstoff. Erste Projekte zeigen, dass es möglich ist in Mecklenburg-Vorpommern rentabel und zukunftssicher in eine saubere Technologie zu investieren, deren Energie auch noch nach 2050 gebraucht werden wird. Anstatt weiter auf einen Energieträger zu setzen, dessen Ende ebenfalls bereits am Horizont erscheint, sollte die Landesregierung vielmehr in die Förderung von wirklichen Projekten mit Zukunft investieren.

Darüber hinaus ist Nord Stream II seit Anbeginn ein zutiefst politisches Projekt. Als solches, ist die Bilanz des Projekts desaströs. Die Bundesregierung hat mit der Genehmigung des Baus mehrere europäische Partnerstaaten vor den Kopf gestoßen. So sprechen sich Polen, die baltischen Staaten und die Ukraine massiv gegen das Bauprojekt aus. Den europäischen Widerwillen gegen das Projekt verdeutlicht auch noch einmal das gestrige Votum des Europäischen Parlaments, das ebenfalls einen Baustopp forderte. Ferner widerläuft die Pipeline Kernansinnen der Europäischen Energieunion. Sie verlangt die Diversifizierung der energetischen Bezugsquellen. Ein Verstärken der russischen Bezugsquellen und Lieferrouten verspricht jedoch das glatte Gegenteil. So würde Russlands Position auf dem Europäischen Gasmarkt weiter gestärkt werden und die europäische Energieabhängigkeit von Russland weiter zunehmen. Angesichts dessen, dass der russische Staat in der Vergangenheit seine Marktposition als politisches Druckmittel eingesetzt hat, sollte es ein Kerninteresse Deutschlands sein, sich und die anderen Staaten der EU dabei zu unterstützen seine Energiequellen vielfältiger aufzustellen.

Nicht nur die jüngsten Ereignisse um die Vergiftung des bekannten russischen Oppositionellen Alexey Nawalnys, sondern auch all die Verstöße gegen internationales Völkerrecht von Seiten Russlands wie zum Beispiel die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, der Krieg gegen die Ukraine, der Abschuss des Passagierflugzeugs MH17, die Unterstützung des menschenverachtenden Assad-Regimes in Syrien und darüber hinaus das Stützen des belarussischen Diktators Aljaksandr Lukaschenka sowie unzählige Cyberattacken zum Beispiel auf den Deutschen Bundestag lassen uns daran zweifeln, dass Russland ein Partnerland ist, an dessen Zuverlässigkeit man seine Energiesicherheit knüpfen mag.

Wir von Bündnis 90/Die Grünen sind der Meinung, dass eine wirklich zukunftssichere, autarke Energiequelle für die EU auf der Hand liegt: der verstärkte Ausbau von erneuerbaren Energien. Die Produktion von erneuerbaren Energien erfolgt in der Regel lokal, sodass wir in Europa mit dem Verstärkten Ausbau nicht nur dem Ziel der Klimaneutralität, sondern auch der strategischen Energiesicherheit näherkommen würden. Es sollte somit Ziel unserer Politik sein diesen Weg mit mehr Vehemenz voranzuschreiten und nicht durch überflüssige Pipeline-Projekte zu konterkarieren.

Unsere starke Ablehnung von Nord Stream II bedeutet im Übrigen nicht, dass wir die momentan erhobenen und die weiteren angedrohten US-Sanktionen begrüßen würden. Wir halten die extraterritorialen US-Sanktionen für einen rechtswidrigen und verurteilenswerten Eingriff in die Souveränität Deutschlands und der EU. In diesem Fall richten sich die falschen Mittel gegen ein falsches Projekt. Das macht die US-Sanktionen unter dem Strich jedoch nicht richtig. Wir als Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen fordern die Bundesregierung daher auf Maßnahmen zu entwickeln, um die hiesige und die europäische Wirtschaft gegen wirtschaftspolitische Machtinstrumente anderer Staaten in Zukunft besser abzusichern.

Mit freundlichen Grüßen
Claudia Müller

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