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Bettina Hagedorn
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Frage von Peter S. •

Frage an Bettina Hagedorn von Peter S. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Hagedorn,
ich habe eine Frage zur Rentensituation.
Wie erklärt die Politik den steuer- und sozialabgabepflichtigen Bürgern und den gegenwärtigen bzw. zukünftigen Rentnern den offensichtlichen Widerspruch, ihre Rente falle niedriger aus und sie müssen wegen leerer Kassen unbedingt private Altersvorsorge betreiben, während gleichzeitig nach Presseberichten in den letzten Jahren fast eine Million Rentenempfänger aus Russland, Kasachstan und der Ukraine ins Land geholt wurden?
Diese Leute haben nicht eine müde Mark (oder Euro) in irgend eine Institution in Deutschland eingezahlt, genießen aber scheinbar die vollen sozialen Leistungen dieses Staates.
Nur allein mit "Familienzusammenführung" kann diese Handlung wohl kaum erklärt werden.
Ich glaube nicht, dass die Bürger dieses Landes der Politik den Wählerauftrag erteilt haben, auf diese Weise den Steuerhaushalt zu belasten.

Mit freundlichen Grüßen
Peter Sternberg, Malente

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Sternberg,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 5. Juni. Mein Eindruck ist allerdings, dass Ihre Fragen sich nicht -- wie Sie schreiben - allgemein auf das Thema "Rentensituation" beziehen, sondern sehr konkret auf die angeblich "in den letzten Jahren fast 1 Million Rentenempfänger aus Russland, Kasachstan und der Ukraine, (die) ins Land geholt wurden". Damit enthält Ihre Anfrage Unterstellungen, die dringend der Aufklärung bedürfen.

Bei den von Ihnen aufgeführten "Rentenempfängern aus Russland, Kasachstan und der Ukraine" gehe ich davon aus, dass damit die deutschstämmigen Vertriebenen bzw. Spätaussiedler gemeint sind. Renten für diese Gruppe werden aber nicht -- wie Sie quasi unterstellen - aus dem Aufkommen der Beitragszahler in Deutschland finanziert, sondern nach dem Fremdrentengesetz (FRG) abgegolten und den Rentenversicherern vom Bund aus Steuermitteln erstattet. Dieses Gesetz aus dem Jahre 1960 (!!!) regelt, unter welchen Voraussetzungen Vertriebene und Spätaussiedler für im Ausland geleistete Tätigkeiten in Deutschland eine Rente erhalten und orientierte sich zum damaligen Zeitpunkt an den bundesdeutschen Rentenverläufen und legte auf dieser Grundlage eine fiktive Rentenhöhe für entsprechende Tätigkeiten im Ausland fest. Ihre in den Herkunftsländern zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten sind danach deutschen Beitragszeiten gleichgestellt und werden für die Rentenberechnung Tabellenverdienste zugeordnet, die ein vergleichbarer Versicherter in der Bundesrepublik Deutschland erzielt hätte. Diese Tabellenverdienste werden allerdings mittlerweile um 40% reduziert und sind für Personen, die nach dem 6.5.1996 in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen sind, auf einen Höchstbetrag begrenzt. Im Laufe der Jahre sank die Rentenhöhe stetig, momentan bewegen sich die Rentenzahlungen an Aussiedler im Rahmen der Sozialhilfe. Hier noch weitere Begrenzungen vorzunehmen, wäre nicht nur unangemessen, sondern würde auch die Kommunen mit erhöhten Sozialhilfeausgaben belasten.

Es war eine grundsätzliche Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland, deutschstämmigen Angehörigen der ehemaligen Sowjetunion die Möglichkeit zur Rückkehr nach Deutschland zu geben, und die 1960 gesetzlich beschlossenen Leistungen sind vom Bestreben des Gesetzgebers um "Eingliederung" der Betroffenen geprägt. Diese Menschen sollten - unbesehen ihrer individuellen und von den sozialpolitischen Gegebenheiten ihres Heimatstaates abhängigen sozialversicherungsrechtlichen Stellung - in Deutschland sozialversicherungsrechtlich so gestellt werden, wie sie ständen, wenn sie ihr Versicherungsleben statt in ihrem Heimatstaat in Deutschland verbracht hätten. Diese einseitige Übernahme fremder Versicherungslasten ist parteiübergreifend politisch gewollt, weil unser Staat für die Folgen des von ihm verursachten Krieges einsteht. Zu diesen Kriegsfolgen gehört unbestreitbar auch die Vertreibung Deutscher.

Sie schreiben, dass Sie nicht glauben, dass "die Bürger dieses Landes der Politik den Wählerauftrag erteilt haben, auf diese Weise den Steuerhaushalt zu belasten". Ich halte das für eine unsachliche Einschätzung. Denn Fakt ist, dass Sie eine gesetzliche Grundlage anprangern, die fast 50 Jahre alt und seitdem im parteiübergreifenden Konsens stets unumstritten war. Meiner Ansicht nach ist es eine Frage von Vertrauensschutz, politischer Kontinuität, Verantwortung, Solidarität -- kurz: Anstand -, dass wir Vertriebene und Spätaussiedler, die in ihren Heimatländern größtenteils lange Erwerbsbiografien hinter sich haben - und zudem aufgrund ihrer deutschen Abstammung oftmals großen Benachteiligungen und Anfeindungen ausgesetzt waren -, hier den gesetzlichen Versorgungsschutz bieten, der seit 1960 gilt.

Es ist im Übrigen auch eindeutig falsch, wenn Sie unterstellen, dass "in den letzten Jahren fast 1 Million Rentenempfänger aus Russland, Kasachstan und der Ukraine ins Land geholt wurden", die "nicht eine müde Mark (oder Euro)" in Deutschland einzahlten. Zwei Zahlen mögen das verdeutlichen: Die Zahl der eingereisten Aussiedler ist von knapp 213.000 im Jahr 1994 auf inzwischen knapp 6.000 pro Jahr gesunken . Nur 14% der im vergangenen Jahr eingereisten Aussiedler sind über 60 Jahre, nur 11% sind älter als 65 Jahren. Damit aber ist klar: auf 1500 bundesweit (!) über 60jährige Aussiedler kommen 4500 Personen im erwerbsfähigen Alter. Auch für Deutsche im Rentenalter gilt nach dem Prinzip, wie die Rentenversicherung in Deutschland seit Jahrzehnten organisiert ist: sie erhalten ihre Rente nicht aus ihren eigenen "angesparten" Rentenbeiträgen der vergangenen Jahrzehnte, sondern aus dem Beitragsaufkommen der aktuell sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Insofern ist bei der Gruppe der Aussiedler angesichts von dem großen Anteil im erwerbsfähigen Altern davon auszugehen, dass sie als Gruppe eindeutig starke Nettoeinzahler in die Renten- und Sozialkassen sind.

In Wahrheit ist es allerdings so, dass in Deutschland aufgrund gesetzlicher Bestimmungen von jedem Euro ausgezahlter Rente nur ca. 66 Cent aus dem Rentenbeitragsaufkommen stammen -- ca. 34 Cent werden aus Steuermitteln aufgebracht. Dieser Steuerzuschuss summierte sich 2007 auf ca. 78 Mrd. Euro, während er 1998 noch bei gut 51 Mrd. Euro lag und 1991 gar "nur" bei 30 Mrd. und macht damit heute knapp 30 Prozent der Gesamtausgaben pro Jahr im Bundeshaushalt aus. Dieses ist in der Tat eine ernst zu nehmende Entwicklung, die allerdings nicht durch den Zuzug von Aussiedlern verursacht ist, sondern dadurch, dass sich die Rentenbezugszeiten aufgrund gestiegener Lebenserwartung (wie schön!) seit 1960 fast verdoppelt haben und gleichzeitig zu wenig Kinder geboren werden und zu wenig junge Menschen im Erwerbsleben nachrücken. Gleichzeitig wurden in Deutschland bei der Finanzierung der Deutschen Einheit in den 90er Jahren leider auch die Sozial- und Rentenkassen einseitig belastet.

Doch wie dem auch sei -- diese 78 Mrd. Euro Steuerzuschuss an die Rentenkasse pro Jahr dokumentieren eben deutlich, dass der so genannte Bundeszuschuss politisch gewollt in erster Linie der Finanzierung von Rentenansprüchen dient, die nicht aufgrund von Beitragszahlungen, sondern durch andere -- vom Gesetzgeber festgelegte -- Tatbestände erworben wurden.

Sollten Sie -- Herr Sternberg - jedoch bei Ihren Fragen Einwanderer aus Russland, Kasachstan und der Ukraine ohne deutschen Hintergrund gemeint haben, so werden diese überhaupt nicht anders behandelt, als andere Ausländer auch. Sie erhalten in dem Fall grundsätzlich keine Zahlungen aus der deutschen Rentenversicherung - es sei denn, es gibt zwischenstaatliche Rentenabkommen, die unter bestimmten Voraussetzungen Zahlungen ermöglichen.

Ich hoffe, dass ich mit meiner Antwort zur Klärung des Sachverhalts beitragen konnte und verbleibe mit freundlichen Grüßen

Bettina Hagedorn, MdB

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