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Bengt Bergt
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Frage von Frank H. •

Wie stehen Sie zu einem VOLLSTÄNDIGES Handelsembargo gegen Russland? Ich würde lieben jetzt den höheren Preis für Energie zahlen als später auf die Freiheit in der EU zu verzichten.

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Sehr geehrter Herr H.,

vielen Dank für Ihre Nachricht bezüglich eines vollständigen Handelsembargos gegen Russland.

Angesichts dessen, was derzeit in der Ukraine passiert, ist der Wunsch nach einem umfassenden Embargo gegen Russland vollkommen nachvollziehbar. Bei der Umsetzung der Sanktionen gilt: So schnell wie möglich, so sicher wie nötig. Niemandem wäre damit gedient, wenn die Sanktionen die EU oder Deutschland deutlich härter träfen als die Regierung Putin. Auch die Ukraine braucht ein starkes Deutschland, damit wir die nötige Unterstützung leisten können.

Der russische Präsident folgt in seiner Kriegslogik keiner wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Logik. Die Nachrichtendienste berichten, dass er seit Monaten nicht mehr auf seine Wirtschaftsberater oder Unternehmensführer hört. Daher ist es wenig plausibel, dass ein sofortiges Ende der Energielieferungen ein Umdenken Putins bewirken könnte. Für ihn geht es um etwas „Größeres“ als Geld.

Dennoch arbeitet die Bundesregierung seit dem Regierungswechsel im Dezember daran, die Abhängigkeit von Öl, Kohle und Gas aus Russland deutlich zu reduzieren. Sie hat bereits viele Maßnahmen ergriffen, um dies schnellstmöglich zu erreichen. Seit dem Kriegsbeginn haben wir diesen Prozess forciert: Wir haben Lieferketten bei Ölimporten angepasst und bestehende Verträge werden nicht verlängert. So werden russische Ölimporte zügig ersetzt. Das zeigt Wirkung: Den Anteil russischer Ölimporte haben wir binnen weniger Wochen auf nur noch 12 Prozent gesenkt (vor Kriegsbeginn etwa 35 Prozent). Das bedeutet, dass die Mineralölunternehmen (außer dem russischen Staatsunternehmen Rosneft) nun – mit einem gewissen Vorlauf – vollständig ohne russisches Öl auskommen können. Die verbliebenden russischen Ölimporte entfallen auf die beiden Raffineriestandorte in Leuna und Schwedt. In Leuna wurden die russischen Ölimporte durch die enge Zusammenarbeit mit dem Betreiber Total bereits halbiert – dort ist ein kurzfristiges Ende aller Lieferbeziehungen mit Russland in Sicht. Dies ist am Standort Schwedt in Brandenburg schwieriger, weil die dortige Raffinerie mehrheitlich im Besitz des russischen Staatskonzerns Rosneft ist und weiterhin ausschließlich russisches Rohöl bezieht. Da eine freiwillige Beendigung der Lieferbeziehungen mit Russland dort nicht zu erwarten ist, arbeiten wir mit Partnern – insbesondere der polnischen Regierung – an Lösungen, um die Energiesicherheit zügig sicherzustellen. Nach heutigem Stand erscheint realistisch, dass wir falls notwendig schon im Herbst 2022 unabhängig von russischen Ölimporten sein können.

Auch bei der Steinkohle haben wir in kürzester Zeit die Abhängigkeit von russischen Importen massiv reduziert. Wir haben den Anteil russischer Steinkohle von rund 50 Prozent des deutschen Steinkohleverbrauchs auf etwa 8 Prozent senken können. Dies gelang vor allem durch Vertragsumstellungen. So ist Deutschland auf das gemeinsam in der EU beschlossene Steinkohle-Embargo, das ab August (für Bestandsverträge) gilt, vorbereitet.

Wir wollen auch unabhängig von russischem Gas werden. Das ist nicht von heute auf morgen möglich, da die gesamte Gas-Infrastruktur in Deutschland (und weiten Teilen Europas) auf Pipeline-Gas aus Russland ausgerichtet ist. Dennoch haben wir den Anteil der Gaslieferungen aus Russland auf derzeit rund 35 Prozent aller Gaslieferungen reduziert (zuvor ca. 55 Prozent). Und bis Ende des Jahres 2022 wollen wir durch Energieeffizienz, Energieeinsparung und Elektrifizierung den Anteil russischer Gaslieferungen am Gasverbrauch auf etwa 30 Prozent gesenkt haben.

Wir bauen die Gas-Infrastruktur so um, dass möglichst bald Flüssiggas (LNG) mit Tankern direkt nach Deutschland transportiert werden kann. Daher wurde kurz nach Kriegsbeginn die Errichtung von Terminals für den Import von Flüssigerdgas insbesondere an den Standorten Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshaven vorangetrieben; zudem haben wir die Anmietung von vier schwimmenden LNG-Terminals beschlossen. Diese Maßnahmen zeigen jedoch nicht von heute auf morgen Wirkung: Der Bau eines Terminals für Flüssiggas und der nötigen Pipelines zum Anschluss an das existierende Gasnetz etwa dauern einige Monate oder Jahre – trotz aller Beschleunigungen. Stand heute hat Deutschland kein einziges solches Flüssiggasterminal. Insbesondere ein sofortiges Gasembargo hätte so massive Auswirkungen auf Deutschland und viele andere EU-Partner, dass es nicht zu verantworten wäre.

Zum jetzigen Zeitpunkt wäre ein kompletter Abbruch der wirtschaftlichen Verknüpfungen zu Russland – so sehr es mir auch widerstrebt – leider schlichtweg nicht umsetzbar.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Bengt Bergt

Bundestagsabgeordneter

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