Portrait von Aydan Özoğuz
Aydan Özoğuz
SPD
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Frage von Laura L. •

Frage an Aydan Özoğuz von Laura L. bezüglich Migration und Aufenthaltsrecht

Was passiert mit den Menschen von Moria?

Portrait von Aydan Özoğuz
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Linde,

herzlichen Dank für Ihre Frage. Ich habe letzte Woche im Deutschen Bundestag folgende persönliche Erklärung zur Situation im Flüchtlingscamp Moria abgegeben:

Die Zustände auf Lesbos und den anderen griechischen Inseln sind bereits seit langem katastrophal und unerträglich. Darauf habe ich auch in den letzten Jahren immer wieder hingewiesen. Eine Unterkunft, die für 3000 Menschen ausgerichtet war, mit zeitweise um die 20.000 Menschen derart zu überlasten, hat zu keinem Zeitpunkt meinem Verständnis eines ordentlichen Umgangs mit Geflüchteten entsprochen. Nach den hohen Flüchtlingsaufkommen seit 2015 verhallten allerdings jedwede Hinweise darauf, dass sich auf den griechischen Inseln etwas ändern müsse. Die EU hat Griechenland durchaus massiv unterstützt, dennoch war es offenbar nicht möglich, die Zustände zu verbessern.

Durch die verheerenden Brände im Flüchtlingscamp Moria hat sich die Lage nochmals massiv verschlechtert. Rund 13.000 Menschen haben nun auch noch ihr letztes Dach über dem Kopf verloren. Frauen, Männer und Kinder leben auf der Straße mit dem letzten und wenigen Hab und Gut, das sie noch besitzen. Es handelt sich nicht erst jetzt um eine humanitäre Katastrophe. Die schrecklichen Bilder und Schicksale der Menschen machen noch einmal überdeutlich, dass in dieser unmittelbaren Not schnelles Handeln gefordert ist. Wir müssen den schutzbedürftigen Menschen vor Ort in enger Kooperation sofort helfen, um diese menschenunwürdige Situation endlich zu entschärfen. Die Menschen dort brauchen jetzt eine Unterkunft, grundlegende Verpflegung und medizinische Versorgung. Das alles geht aber nicht ohne die griechische Regierung, der wir mit umfangreichen Hilfemaßnahmen erneut zur Seite stehen.

Deutschland leistet umfangreiche Unterstützung. Bereits in der Nacht zum 11. September 2020 haben wir einen ersten THW-Konvoi auf den Weg nach Griechenland geschickt. Weitere sind gefolgt bzw. in Vorbereitung. Auch das DRK hilft bei den kurzfristigen Lieferungen von Sachmitteln. Zu unserer umfangreichen humanitären Hilfe vor Ort zählen etwa 1028 Zelte, 7000 Schlafsäcke, 1400 Feldbetten, 22 Sanitärcontainer, Decken und Schlafunterlagen. Die Zustände in Griechenland müssen sich zwingend und schnell verbessern. Wir dürfen dieses Mal nicht nachlassen, bis wir menschenwürdige Bedingungen erreicht haben, die mit europäischem Recht und unseren Werten vereinbar sind.

Auch darüber hinaus müssen wir noch stärker unterstützen und entlasten, indem wir geflüchtete Menschen von den Inseln in andere europäische Staaten aufnehmen. Deutschland hat unermüdlich bei den anderen europäischen Mitgliedstaaten dafür geworben, geflüchtete Menschen aus Griechenland aufzunehmen. Das Ergebnis ist, dass sich bereits vor den Bränden in Moria in der europäischen Koalition der Menschlichkeit mittlerweile elf EU-Länder plus Norwegen und Serbien an der Aufnahme von Geflüchteten beteiligten. Deutschland hat die Aufnahme von knapp 1.000 Menschen, unbegleiteten Minderjährigen, behandlungsbedürftigen Kindern und ihren Familien, zugesagt. In diesem Rahmen sind bislang 758 Geflüchtete aus Griechenland überstellt worden, 574 nach Deutschland, 184 in sechs weitere Länder. Was wir immer wieder anmahnen, ist, dass dieser Prozess leider nur sehr schleppend läuft. Aufgrund dieser Situation hat die SPD sich dafür stark gemacht, in der aktuellen Situation nun nicht auf die schwerfällige Einigung zwischen mehreren europäischen Mitgliedstaaten zu warten, sondern unser zugesagtes Kontingent jetzt weiter zu erhöhen. Es ist gut, dass sich die Union auf unseren Druck hin endlich bewegt hat. Wir haben uns mit Erfolg dafür eingesetzt, dass unser Land einen eigenen Beitrag humanitärer Hilfe leistet und gleichzeitig die Solidarität der europäischen Gemeinschaft nicht aus der Pflicht entlässt. Wir nehmen nun weitere 150 Kinder und Jugendliche und 1.553 Menschen, hauptsächlich Kinder und ihre Familien, in einem eigenständigen Kontingent auf.

Damit nimmt Deutschland nun insgesamt ca. 2.750 Personen aus Griechenland auf und leistet einen wichtigen Beitrag für diese Menschen. Auch wenn es bekannt ist, weise ich trotzdem noch einmal darauf hin, dass unser Koalitionspartner so ziemlich jede Hilfe zunächst blockiert. Es ist mühsam, aber für uns dennoch sehr wichtig, in dieser Situation mehr zu erreichen als die Union bereit wäre, für diese Menschen zu tun.

Natürlich bleiben wir gleichzeitig dabei, auf Unterstützung für die gemeinsame Initiative aufnahmebereiter europäischer Partnerländer zu dringen. Auf eine europäische Lösung darf man nicht warten, man muss für sie arbeiten. Das tun wir und wollen uns auch weiterhin entsprechend unserer Kraft und Größe beteiligen. Unser Ziel bleibt es, dass sich am Ende alle europäischen Mitgliedstaaten in diese Solidarität einbringen. Und wir brauchen eine dauerhafte Lösung und einen ständigen Hilfsmechanismus, sodass wir nicht bei jeder Notlage erst in schwerfällige Verhandlungen darüber treten müssen, wer wieviel Unterstützung leistet. Ich bleibe dabei, dass dieses Thema uns dauerhaft begleiten wird und wenn wir es vernünftig bearbeiten und den Frieden in unserer Gesellschaft wahren wollen, brauchen wir in zukünftigen Regierungen mehr als eine Beauftragte für Migration. Das Bundesinnenministerium ist nicht in der Lage sich dem Thema umfassend auseinander zu setzen.

Die Aufnahmebereitschaft vieler Bundesländer und Kommunen in Deutschland gilt es jetzt zu nutzen. Leider bekommen aus meiner Sicht diejenigen Menschen in unserer Gesellschaft viel zu wenig Aufmerksamkeit zu, die angesichts einer derart katastrophalen Lage bereit sind, den Menschen zu helfen und sie in ihre Nachbarschaft auch aufzunehmen.

Das was wir mit der Union in dieser Situation vereinbart haben, möchten wir jetzt auch schnell umsetzen, um helfen zu können. Jeder, der die Mechanismen unserer Demokratie kennt, weiß, dass keinem einzigen geflüchteten Menschen in Griechenland geholfen wäre, wenn die SPD jetzt dem Antrag der Linken oder dem Antrag der Grünen zustimmen würde. Deutschland hätte stattdessen eine handfeste Regierungskrise und wir würden uns mal wieder nur mit uns selbst beschäftigen.

Im Koalitionsvertrag haben sich die Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Das ist Grundlage jeder Koalition. Und dazu stehen wir auch in dieser Situation. Daher stimme ich den Anträgen der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht zu!

Dass Grüne und Linke sich dazu entschlossen haben, über ihren Antrag, der ihre jeweilige Position ausdrückt, jeweils namentlich abstimmen zu lassen, ist ihr gutes Recht als Opposition. Aber klar ist eben auch, es geht dabei nicht wirklich darum, den Menschen in Griechenland zu helfen. Denn es ist von vornherein klar, dass diese keine Mehrheit erhalten werden. Es geht also leider auch bei diesem Thema um die eigene Profilierung. Was ich nicht richtig finde. Als Beauftragte habe ich häufig meinen Ärger nicht öffentlich ausgespielt, um zumindest denen zu helfen, auf die wir uns verständigen konnten. Und ich sehe derzeit in schwarz-grün regierten Bundesländern bzw. dem nur grün regierten Bundesland Baden-Württemberg keine überzeugenden Gegenkonzepte. Am Rande sei erwähnt, dass die Grünen in Österreich sogar die Entscheidung mittragen, keinen einzigen Flüchtling aufzunehmen.

In meiner Heimatstadt Hamburg hat Innensenator Andy Grote signalisiert, dass Hamburg bereit ist, bis zu 500 Menschen aus Moria aufzunehmen. Und auch in Niedersachsen hat Innenminister Boris Pistorius die Bereitschaft signalisiert, kurzfristig 500 Flüchtlinge aufzunehmen. Es wird deutlich, dass es möglich wäre, mehr Menschen in Deutschland schnelle Hilfe zu gewähren als dies bisher mit der Unionsfraktion möglich ist.

Ich weiß, dies ist für die Bürgerinnen und Bürger nur sehr schwer nachvollziehbar, und auch uns Abgeordneten verlangt eine solche namentliche Abstimmung bei wichtigen Themen und vor allem auch bei humanitären Notlagen sehr viel ab. Zur Regierungsverantwortung in einer Demokratie gehört es aber eben auch, Vereinbarungen zu erzielen und nicht auf Maximalforderungen stehen zu bleiben, die nie umgesetzt werden.

Aydan Özoğuz

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