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André Hahn
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Frage von Philipp E. •

Frage an André Hahn von Philipp E. bezüglich Innere Angelegenheiten

Sehr geehrter Herr Hahn,
ich stelle ihnen diese Frage, weil sie ordentliches Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium sind. Diese Frage zielt nicht darauf ab, Sie zu Inhalten zu fragen, zu deren Geheimhaltung Sie verpflichtet sind.
Die parlamentarische Kontrolle der deutschen Nachrichtendienste erscheint mir unzureichend und zerstückelt, mit einer langen Geschichte an Unzulänglichkeiten, Winkelzügen der Exekutive (siehe etwa "Weltraumtheorie" des BND) oder auch einfach Respektlosigkeiten gegenüber gewählten Gremien.
Wie würden Sie die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes ausgestalten? Was sollte ein Nachrichtendienst nach ihrer Ansicht dürfen? Welche politischen Akteure blockieren potenzielle Reformen?
Mit freundlichen Grüßen,
P. E.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Enkler,

in der Tat haben wir es mit einer Zerklüftung, wenn nicht sogar mit einem Auseinanderdriften von Kontrollfunktionen zu tun. Insgesamt sieben Organe sind in unterschiedlichem Maße in Kontrolltätigkeiten über die deutschen Geheimdienste - hier nur auf Bundesebene betrachtet - eingebunden:

- das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) mit Zuständigkeit für die Kontrolle der allgemeinen Tätigkeit der Geheimdienste des Bundes,
- der Ständige Bevollmächtigte, eigentlich ein Hilfsorgan zur Unterstützung des PKGr, tatsächlich aber ein weitgehend eigenständig agierender Apparat,
- die G10-Kommission mit Zuständigkeit für die Prüfung der Inland-Ausland-Telekommunikationsüberwachung,
- das Unabhängige Kontrollgremium mit Zuständigkeit u.a. für die Prüfung der Ausland-Ausland-Telekommunikationsüberwachung,
- das Vertrauensgremium des Bundestags mit Zuständigkeit für die Bewilligung der Haushalte der Geheimdienste,
- der Bundesrechnungshof mit Zuständigkeit für die Prüfung der Haushaltsführung der Geheimdienste,
- sowie der Bundesdatenschutzbeauftragte mit Zuständigkeit im Bereich der Datenschutzkontrolle.

Ein solche Fragmentierung des Aufsichtsrahmens ist dysfunktional und führt zu realen Kontrolllücken. Doch dieser Aspekt ist nur einer unter vielen Kontrolldefiziten. Um nur – alles andere würde den Rahmen einer überschaubaren Antwort sprengen – ein weiteres Beispiel zu benennen: Seit langem ermangelt es einer modernen und wirksamen datenbasierten Aufsicht. Die bestehenden Kontrollstrukturen halten mit der forcierten Entwicklung immer neuer Überwachungstechnologien nicht Schritt.

Neben rechtlichen Befugnissen fehlt es an entsprechend leistungsfähigen Werkzeugen und technischem Fachwissen, um moderne Methoden der Datenanalyse, der Datenfilterung, der Mustererkennung und des Datenaustausches zu verstehen und gezielt kontrollieren zu können. Einige Länder haben daher in ihrem Rechtsrahmen den Weg hin zu einem direkten und unmittelbaren Zugang der Aufsichtsgremien zu allen nachrichtendienstbasierten Informationsverarbeitungsstufen und Datenarten eingeschlagen. Es wäre auch in Deutschland notwendig, dass zumindest die Mitglieder des PKGr unmittelbaren Zugriff auf die Server der Nachrichtendienste erhalten.

Das ist sicherlich eine Voraussetzung für eine moderne datenbasierte Geheimdienstkontrolle. Sie hat aber auch Grenzen. Das Ermöglichen immer neuer digitaler Eingriffsbefugnisse wie, auch dies wiederum hier nur exemplarisch angeführt, im Falle digitaler Gegenangriffe ("Hackbacks") würde diese Aufsichtsstrukturen nicht nur zu Mitkombattanten machen, sondern auch die IT-Sicherheit von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend gefährden, um nicht zu sagen: untergraben.

Daher werbe ich grundsätzlich für parlamentarische Mehrheiten und kollektive Verhandlungssysteme, die den (auch künftigen) Aufgabenbereichen der Geheimdienste klare Grenzen setzen und – zu Ende gedacht – diese grundsätzlich überflüssig machen.

Mit freundlichen Grüßen
André Hahn

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