Friedrich Merz und Minister:innen verweigern Angaben zu Aktienbesitz
Friedrich Merz und seine Minister:innen beschließen Gesetze, die Kurse steigen oder fallen lassen. Doch nur bei zwei Kabinettsmitgliedern ist bekannt, wo sie investiert sind. Und was wurde eigentlich aus den 150.000 Aktien des Kanzlers eines Zugherstellers?
Von welchen Unternehmen besitzen Kanzler Merz und seine Minister:innen Aktien? Offenlegen müssen sie das nicht – obwohl massive Interessenkonflikte möglich sind.
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Auf Anfrage von abgeordnetenwatch legten nur Bauministerin Verena Hubertz (SPD) und Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) eine Beteiligung offen. Alle anderen wollten sich nicht äußern. Entwicklungsministern Reem Alabali-Radovan (SPD) besitzt als einzige keine Unternehmensanteile.
Die meisten Minister:innen verweisen auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de auf die Transparenzregeln des Bundestags, dem der Großteil der Kabinettsmitglieder angehört. Die Veröffentlichungspflichten greifen jedoch erst, wenn Abgeordnete mehr als 5 Prozent an einem Unternehmen besitzen.
Das Beispiel von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zeigt, wie wirkungslos die Transparenzregeln für Abgeordnete sind: 2019 hielt er Aktien im Wert rund 6 Mio. Euro, was nur 0,15 Prozent der Unternehmensanteile entsprach. Nach dem Abgeordnetengesetz müsste dies nicht angegeben werden.
Das Kanzleramt verweigerte weitere Auskünfte zum Vermögen von Merz.
In Ländern wie Frankreich, Großbritannien und den USA sind die Regeln deutlich strenger.
Auf die Frage, wie sie zu strengeren Transparenzpflichten für Regierungsmitglieder in Deutschland stehen, reagierten Kanzler Merz und die Minister:innen nicht.
Frankreich staunte. Vor wenigen Tagen machte die Transparenzbehörde öffentlich, wie reich die Minister:innen von Emmanuel Macron sind. Viele haben Millionen auf dem Konto, so steht es in ihren Vermögenserklärungen.
Besonders aufschlussreich waren die Details. Der französische Wirtschaftsminister etwa gab an, Aktien im Wert von knapp sieben Millionen Euro an einem Unternehmen zu halten, das unter anderem mit Unternehmensberatung Geld verdient. Die Digitalministerin legte offen, dass sie Aktien an Digitalkonzernen wie Microsoft, Alphabet und Amazon hält. Eklatanter kann ein Interessenkonflikt nicht sein.
Und in Deutschland? Wie ist es um den Aktienbesitz des Bundeskanzlers und seiner Minister:innen bestellt?
Scheibchenweise Transparenz von Katherina Reiche
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Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) machte zunächst keine Angaben zu ihren Aktien. Später legte sie offen, Optionen eines schwedischen Energieunternehmens in geringem Umfang zu besitzen.
Anfang Juli sorgte der Fall von Katherina Reiche für Aufsehen. Der Grünen-Abgeordnete Andreas Audretsch wollte über eine schriftliche Anfrage in Erfahrung bringen, welche Unternehmensanteile die neue Wirtschafts- und Energieministerin hält, die bis zu ihrer Ernennung Chefin des Energiedienstleisters Westenergie war (lesen Sie hier mehr: Die Lobby-Akte der Regierung Merz).
Zunächst wich Reiches Ministerium einer klaren Antwort aus: Sie verfüge „über keine Unternehmensbeteiligungen, die zu einem Interessenkonflikt führen könnten.“ Nach Kritik präzisierte das Ministerium: Reiche halte Optionen an dem schwedischen Energieunternehmen Ingrid Capacity im Wert von rund 3.000 Euro und wolle diese verkaufen. Ingrid Capacity entwickelt vor allem Batteriespeicher.
Transparenzpflichten nur für Abgeordnete, doch diese greifen oft nicht
Anders als in Frankreich müssen der Bundeskanzler und die Minister:innen keine verpflichtende Angaben zu ihrem Aktienbesitz machen. Es gibt allerdings eine Ausnahme, durch die die Öffentlichkeit doch etwas über Unternehmensbeteiligungen eines Regierungsmitglieds erfahren kann: Wenn dieses zugleich Abgeordnete:r des Bundestages ist.
Doch auch dann bleibt vieles im Verborgenen. Abgeordnete müssen ihre Beteiligungen ab einer Schwelle von fünf Prozent offenlegen, die sie an einem Unternehmen halten. So können zwar Anteile an kleineren Firmen sichtbar werden, nicht aber Aktienpakete an Großkonzernen wie Google oder Amazon. Um hier über die 5 Prozent zu kommen, müsste ein Abgeordneter Aktien im Wert von mehreren Milliarden Euro besitzen.
2019 war Friedrich Merz "Aktienmillionär" – offenlegen müsste er das heute nicht
Wie wirkungslos die 5 Prozent-Schwelle ist, zeigt sich ausgerechnet am Beispiel des heutigen Bundeskanzlers Friedrich Merz. Im April 2019 wurde öffentlich, dass Merz Aktien im Wert von mehreren Millionen Euro hält. Dies ergab sich aus dem Börsenprospekt des Schweizer Zugherstellers Stadler Rail, von dem Merz 150.000 Anteile besaß. Am Abend des Börsengangs waren seine Anteile 5,7 Millionen Euro wert. Nach den heutigen Regeln müsste Merz diesen Aktienbesitz nicht angeben. Grund: Sein damaliger Besitz entsprach lediglich rund 0,15 Prozent von allen Stadler-Aktien – weit entfernt von den 5 Prozent.
Und heute? Ob Merz seine Stadler-Anteile noch besitzt, will er auf Anfrage nicht sagen. Gegenüber abgeordnetenwatch.de schreibt das Kanzleramt: „Der Bundeskanzler hat vor Amtsantritt sichergestellt, dass Konflikte mit seinen Aufgaben als Regierungschef ausgeschlossen sind.“ Man bitte um Verständnis dafür, dass man „darüber hinaus zu den privaten Finanzverhältnissen des Bundeskanzlers keine Auskunft“ geben könne. Merz unterliege als Abgeordneter den Offenlegungspflichten der Mitglieder des Deutschen Bundestages – soll heißen: Alle Unternehmensbeteiligungen, die über die Schwelle kommen, würde Merz auf seiner Bundestagsseite transparent machen.
"Als Finanzminister treffe ich teilweise aber Entscheidungen, die kapitalmarktrelevant sind"
Politische Entscheidungen haben oft direkte Auswirkungen auf den Aktienkurs von Unternehmen. Das bedeutet gleichzeitig: Regierungsmitglieder können an Entscheidungen beteiligt sein, die dem Geschäft eines Unternehmens nützen, an dem sie selbst beteiligt sind – und von dessen Kursgewinnen sie selbst profitieren würden. Der damalige Finanzminister Christian Lindner (FDP) sprach diesen Interessenkonflikt 2024 in einem Interview offen an. "Als Finanzminister treffe ich teilweise aber Entscheidungen, die kapitalmarktrelevant sind, oder habe Informationen über einzelne gelistete Unternehmen." Deshalb habe er als Minister nicht mehr in einzelne Unternehmensaktien, sondern nur noch in ETFs investiert (s. Kasten unten).
Im Falle der französischen Digitalministerin stellt wohl ein Treuhänder sicher, dass sie in ihrer Amtszeit nicht mit ihren Aktien von Digitalkonzernen handelt. Dies verhindert jedoch nicht, dass sie politische Entscheidungen über die Konzerne trifft, an denen sie selbst beteiligt ist. Als das Medium Politico die französische Transparenzbehörde dazu befragte, antwortete diese, sie habe nicht die Macht zu verfügen, dass eine Ministerin ihre Anteile verkauft.
Interessenkonflikt durch Aktienbesitz? Kein Kommentar von Digitalminister Karsten Wildberger
Und wie sieht es beim deutschen Digitalminister aus?
Karsten Wildberger, der parteilose und von der CDU nominierte Minister, will sich zu seinem Aktienbesitz nicht äußern. Auf mehrfache Anfrage von abgeordnetenwatch.de reagierte das Digitalministerium nicht.
Auch das Gesundheitsministerium von Nina Warken (CDU) ließ die Frage unbeantwortet.
Bärbel Bas veröffentlicht Steuerbescheid
Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD) ließ ausrichten, dass sie keine Unternehmensanteile halte. Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) veröffentlicht seit Jahren ihren Steuerbescheid, allerdings ergeben sich daraus keine Beteiligungen.
Familienministerin Karin Prien (CDU) ließ über einen Sprecher mitteilen, sie besitze keine Unternehmensanteile, die größer als fünf Prozent seien. Außerdem halte sie „keine Beteiligungen an Kapital- oder Personengesellschaften, die zu Interessenkonflikten führen können“.
Wortgleiche Antwort aus mehreren Ministerien
Priens Pressestelle hatte sich offenbar mit anderen Ministerien abgesprochen. Die Antwort kam wortgleich auch aus den Häusern der beiden SPD-Minister:innen Stefanie Hubig (Justiz) und Carsten Schneider (Umwelt) und dem Landwirtschaftsministerium von Alois Rainer (CDU).
Eine einheitliche Definition davon, was ein Interessenkonflikt ist, gibt es nicht. Die Minister:innen beziehen sich deswegen also auf ihre eigene Auslegung. Ist das genug?
Zahlreiche Kabinettsmitglieder verweisen in ihren Antworten auf die Transparenzpflichten, denen sie als Bundestagsabgeordnete unterliegen, Stichwort 5 Prozent-Schwelle. Die veröffentlichungspflichtigen Angaben sind derzeit noch nicht auf der Internetseite des Bundestags veröffentlicht.
Nur eine Ministerin macht konkrete Angaben
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Nur Bauministerin Verena Hubertz (SPD) machte konkrete Angaben: Sie ist geschäftsführende Gesellschafterin einer Firma mit geringfügigen Unternehmensanteilen.
Auf die Frage von abgeordnetenwatch.de nach Unternehmensbeteiligung machte nur eine Ministerin konkrete Angaben: Bauministerin Verena Hubertz (SPD). Hubertz sei „noch geschäftsführende Gesellschafterin der Hubertz Beteiligungen GmbH, die geringfügige Anteile einiger weniger Unternehmen hält“, erklärte ein Sprecher.
Während die Regierungsmitglieder in Deutschland ihre Unternehmensbeteiligungen geheim halten können, gelten in anderen Ländern Transparenzvorschriften. In Großbritannien müssen Minister:innen Beteiligungen an Unternehmen offenlegen, die höher als 70.000 Pfund sind. Bei der EU-Kommission müssen Anlagen ab 10.000 Euro angegeben werden – nicht nur bei den Kommissar:innen selbst, sondern auch für ihre Ehe- und Lebenspartner:innen. Diese erweiterte Transparenzpflicht gilt auch in Frankreich, wo der Beruf der Ehe- und Lebenspartner:innen in den offiziellen Deklarationen auftaucht und wo es keine untere Schwelle für Angaben gibt.
Verdacht auf Insiderhandel
In den USA müssen Mitglieder des Kongress den Handel mit Aktien ab einem Wert von 1.000 US-Dollar innerhalb von 45 Tagen veröffentlichen. Plattformen wie CapitolTrades bereiten die Daten auf und machen diese für Laien durchsuchbar. Im Jahr 2022 veröffentlichte die New York Times eine Recherche, die belegte, dass 97 Kongressmitglieder oder ihre Familienangehörige mit Aktien von Unternehmen gehandelt hatten, für die sie in einem Ausschuss zuständig waren. Bei manchen, so die Zeitung, könne zumindest der Verdacht aufkommen, dass sie im Zusammenhang mit Regulierungsvorhaben stünden. Dass diese ans Licht kamen, war nur den strengen Transparenzregeln zu verdanken.
Großes Schweigen bei der Frage nach einer Gesetzesverschärfung
In Deutschland haben sich der Kanzler und seine Minister:innen offenbar gut mit den fehlenden Transparenzpflichten eingerichtet. Auf die Frage von abgeordnetenwatch, welche Meinung sie zu strengeren Transparenzregeln bei Aktienvermögen haben, gab es großes Schweigen: Niemand wollte sich äußern. Ein Sprecher des zuständigen Innenministeriums schrieb, dazu sei nichts geplant.
Lindner, Scholz, Steinbrück: Politiker und ihr Aktienbesitz
Über den Aktienbesitz von Spitzenpolitiker:innen dringt nur selten etwas an die Öffentlichkeit – es sei denn, die Betroffenen legen diesen freiwillig offen.
Christian Lindner (FDP) gab kurz vor der Bundestagswahl 2025 in einem Podcast an, dass er in den DAX, Dow Jones und MSCI World investiere. 2024 sagte Lindner, er habe früher Einzelaktien und Derivate besessen, als Minister verfüge er aber nur noch über ETFs. Er habe sich freiwillig den Compliance-Regeln des Finanzministeriums unterworfen.
Bundeskanzler a.D. Olaf Scholz (SPD) hat wiederholt klargestellt, über keine Aktien zu verfügen. Als Abgeordneter machte Scholz Anteile an der "taz - Die Tageszeitung Verlagsgenossenschaft eG" öffentlich. Nach einer Anfrage von abgeordnetenwatch.de ließ der SPD-Politiker den Eintrag löschen. Dieser hatte den - falschen - Eindruck erweckt, dass Scholz relevante Anteile an der taz-Genossenschaft hielt. (Mehr: Kanzler Scholz muss Eintrag zu taz-Beteiligung entfernen.)
Vom früheren Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) ist bekannt, dass er nach seiner Amtszeit Aktien des Zahlungsdienstleisters Wirecard erwarb – ein Investment, das mit der Insolvenz des Unternehmens im Juni 2020 wertlos wurde. Der SPIEGEL beziffert Steinbrücks Verlust auf rund 30.000 Euro.