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Ulrike Bahr
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Frage von Norbert R. •

Frage an Ulrike Bahr von Norbert R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Bahr,

seit mehr als einem Jahr unterstütze ich die Bürgerbewegungen Campact und Change.org, weil ich deren Plattformen im Sinne von mehr Transparenz, Hintergrundwissen und die Bemühung um den Erhalt der Demokratie förderwürdig finde.

Beiden Organisationen steht die Aberkennung der Gemeinnützigkeit ins Haus. Wie der Vorstand von Change.org schreibt, werden außerparlamentarische und über soziale Medien agierende zivilgesellschaftliche Organisationen als Gefahr für Unternehmen wahrgenommen. Wenn dem so ist, frage ich mich, ob die parlamentarische Demokratie einerseits stark genug ist, sich den Interessen von Lobbyverbänden zu widersetzen, oder ob sie dazu überhaupt gewillt ist, da man im Wohl der Unternehmen das vermeintlich größere Wohl der Bevölkerung sieht.

Wie stehen Sie als Abgeordnete dazu, dass zwar ein ADAC als gemeinnützig anerkannt ist, man dies bei außerparlamentarischen Bürgerbewegungen in Frage stellt?

Mit freundlichen Grüßen

N. R.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr R.,

herzlichen Dank für Ihre Nachricht zum Gemeinnützigkeitsrecht.

Ich kann mich der von Ihnen geschilderten Argumentation des Vorstandes von change.org nicht anschließen. Ich nehme außerparlamentarische und zivilgesellschaftliche Organisationen überwiegend als Bereicherung wahr, da diese Themen anstoßen, die wiederum von der Politik aufgegriffen werden. Die Proteste der Fridays-for-Future Bewegung sind ein gutes Beispiel dafür. Auch der Bundesfinanzhof hat geurteilt, dass die Formulierung von politischen Zielen mit dem Gemeinnützigkeitsrecht vereinbar ist. Lediglich die politische Betätigung und die die aktive politische Meinungsbeeinflussung, oft über verschiedene Themenfeldern hinweg, ist nicht gestattet.

Der Verlust der Gemeinnützigkeit ist vor allem gegeben, wenn ein Verein oder eine Institution auf einem Feld tätig wird, das nichts mit dem eigentlich anerkannten gemeinnützigen Zweck des Vereins zu tun hat. Wenn also ein Verein, der sich beispielsweise für den Erhalt des Wattenmeeres einsetzt, zusätzlich aber auch Spenden für eine Rentenkampagne akquiriert, kann diesem die Gemeinnützigkeit entzogen werden, da das Ziel der Kampagne (Rente) weder gemeinnützig ist, noch mit dem eigentlichen bewilligten gemeinnützigen Zweck – dem Naturschutz nach § 52 Absatz 2 Nr. 8 Abgabenordnung – in Einklang gebracht werden kann. Politisch gestalten und entscheiden, und das über alle Themenfelder hinweg, dürfen laut Grundgesetz nur politische Parteien. Anliegen von zivilgesellschaftlichen Akteuren haben daher immer nur einen beratenden Charakter, können aber nie verpflichtend für die Allgemeinheit wirken.

Eine wirtschaftliche Tätigkeit ist mit dem Gemeinnützigkeitsrecht im Übrigen gestattet. Das gilt aber nur, wenn etwaige Gewinne ausschließlich in die Erfüllung des gemeinnützigen Zwecks des Vereins fließen. Der von ihnen zitierte ADAC hat seine Geschäftsfelder aufgeteilt auf einen sogenannten "Idealverein" (nicht gemeinnützig) mit dem Zweck der Förderung des Kraftfahrtwesens, des Motorsports und des Tourismus, auf eine Aktiengesellschaft für die kommerziellen Aktivitäten und eine Stiftung für die gemeinnützigen Aktivitäten, z.B. die Rettung aus Lebensgefahr und die Unfallverhütung.

Nichtdestotrotz muss auch die Politik einsehen, dass sich die Art politischer und zivilgesellschaftlicher Beteiligung verändert. Darauf sollte ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht Antworten geben. Finanzminister Olaf Scholz hat daher angekündigt, dass Gemeinnützigkeitsrecht noch in dieser Legislaturperiode zu reformieren. Dabei werden mehrere Handlungsmöglichkeiten diskutiert, z.B. die Zulassung steuerbegünstigter politische Vereine oder eine Änderung der gemeinnützigen Zwecke in der Abgabenordung. Sobald die Vorschläge aus dem Finanzministerium vorliegen, werde ich sie bewerten. Die zentrale Frage ist dabei für mich: Wie fördern wir einerseits ein breites gesellschaftliches Engagement, öffnen aber nicht die Tore für jeder Art politischer Einflussnahme unter dem Dach der Gemeinnützigkeit? Denn leider sehe ich nicht nur „gute“ Akteure, die ich selber unterstützen würde, sondern auch solche, beispielsweise vom rechten Rand, die ich persönlich lieber nicht als gemeinnützig eingestuft sehen möchte.

Herzliche Grüße

Ulrike Bahr, MdB

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