Finden Sie den Vorwurf des Völkermordes gegen Russland gerechtfertigt?
Sehr geehrter Herr Kuban,
Seit Beginn der Vollinvasion von Russland gegen die Ukraine, gibt es immer wieder Stimmen, die von einem Völkermord gegen die Ukrainer sprechen.
Wie LTO 2023 berichtete (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/studie-Raoul-Wallenberg-Centre-for-Human-Rights-genozid-ukraine), sieht die NGO "Raoul Wallenberg Centre for Human Rights" einen Völkermord in der Ukraine. Außerdem haben die Parlamente von der Ukraine, Litauen, Kanada und Irland das Vorgehen Russlands als Völkermord eingestuft (https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-krieg-genozid-100.html).
Wie stehen Sie zu diesem Vorwurf und finden Sie ihn gerechtfertigt?
Cedric M.

Sehr geehrter Herr M.,
herzlichen Dank für Ihre Nachricht und Ihre Frage zur rechtlichen und politischen Bewertung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, insbesondere im Hinblick auf den Vorwurf eines Völkermords.
Seit Beginn der russischen Vollinvasion im Februar 2022 erleben wir ein beispielloses Maß an Gewalt, Zerstörung und Menschenrechtsverletzungen durch russische Truppen – darunter gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Deportationen, Folter, sexuelle Gewalt, Kinderverschleppungen und gezielte Zerstörung ziviler Infrastruktur. Diese Kriegsverbrechen sind dokumentiert und werden auch von internationalen Organisationen und Ermittlungsbehörden untersucht.
Die Frage, ob diese Taten den völkerrechtlichen Tatbestand des Völkermords im Sinne der UN-Völkermordkonvention von 1948 erfüllen, ist eine rechtliche Bewertung. Nach Artikel II dieser Konvention liegt Völkermord dann vor, wenn Handlungen begangen werden mit der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten.
Ein solcher Nachweis – insbesondere die spezifische Vernichtungsabsicht (genocidal intent) –muss im Einzelfall durch internationale Gerichte festgestellt werden. Genau aus diesem Grund ist es richtig und wichtig, dass der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag ermittelt. Dort wurde bereits ein Haftbefehl gegen Wladimir Putin wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder erlassen – ein möglicher Hinweis auf gezielte Maßnahmen gegen die ukrainische Identität.
Wir unterstützen daher ausdrücklich die internationalen Ermittlungen und fordern, dass alle Verantwortlichen – bis in die höchsten Ebenen des russischen Regimes – zur Rechenschaft gezogen werden. Darüber hinaus setzen wir uns mit Nachdruck für die weitere politische, humanitäre und militärische Unterstützung der Ukraine ein. Denn das Ziel Putins ist nicht nur die gewaltsame Unterwerfung eines Nachbarlandes, sondern auch die Aushöhlung der europäischen Friedensordnung und des Völkerrechts. Dem müssen wir mit aller Entschlossenheit entgegentreten – politisch, rechtlich und als internationale Gemeinschaft.
Mit freundlichen Grüßen
Tilman Kuban