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Tessa Ganserer
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Rita H. •

Werden Sie dem Antrag 20/4886 der CDU/CSU Fraktion zum Thema ME/CFS zustimmen?

Sehr geehrte Frau Ganserer,
unser 24-jähriger Sohn gehört zu den mindestens 500.000 an ME/CFS erkrankten Menschen in Deutschland. Der zu ME/CFS gestellte Antrag 20/4886 wurde, wie Sie sicher wissen, am 19.01.2023 im Bundestag diskutiert. Alle Fraktionen waren sich einig, dass dringend etwas passieren muss, um den Erkrankten zu helfen.
Ich würde gerne wissen, ob Sie persönlich dem Antrag zustimmen werden? Über eine kurze Rückmeldung würde ich mich freuen. Vielen Dank und freundliche Grüße

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Rita H.,

mich erreichen immer wieder Schreiben von Menschen mit ME/CFS-Erkrankung oder deren Angehörigen, die ihre gesundheitliche Verfassung sehr ausführlich schildern sowie ihren Unmut über die unzureichende Versorgungslage äußern.

Ich weiß um die großen Einschnitte im Leben sowie die schwierige Lage, in der ihr Sohn als ME/CFS-erkrankter Patient und Sie als seine Angehörige durch die Einschränkungen im Alltag und den zum Teil dauerhaften Pflegebedarf sein müssen.

Zudem ist mir bewusst, dass Sie bzw. Ihr Sohn im Gesundheitssystem wahrscheinlich vielfach auf Unverständnis getroffen ist, dass Fehldiagnosen gestellt werden oder einzelne Ärzte*innen für Diagnosen teilweise viel privates Geld verlangen, wenn Betroffene bei Ärzte*innen mit Kassenzulassung teilweise über lange Zeiträume keine Termine erhalten.

Sie können sich gewiss sein, dass ich all diese frustrierenden Probleme sehr ernst nehme und die Thematik nicht erst seit dem CDU/CSU-Antrag einen wichtigen Platz auf der politischen Agenda der Ampel-Fraktionen und insbesondere der Grünen einnimmt. Bereits zu Oppositionszeiten haben wir Grüne uns für die Verbesserung der Versorgungssituation von ME/CFS-Erkrankten eingesetzt (siehe Drucksache 19/12204 vom 7. August 2019, https://dserver.bundestag.de/btd/19/122/1912204.pdf?fbclid=IwAR0wrCUhCpAX8Ilf6k9RfCtPt8CeP2IfkAF67HYDezcb7cMPkjmpzRq6fko). Nicht zuletzt hat ME/CFS als eines von ganz wenigen Krankheitsbildern erstmals auch explizit Eingang in unseren Koalitionsvertrag gefunden. Dementsprechend haben wir als Ampel-Koalition das Thema auch in vielen Debatten eingebracht.

Auch befassen wir uns fraktionsübergreifend bereits seit Frühjahr 2022 im Rahmen einer Petition damit, welche Verbesserungen seitens der Politik möglich und nötig sind, um die Änderungen zur Versorgung von ME/CFS-Patient*innen im Gesundheitswesen anzustoßen. Die entsprechende Petition ist auch weiterhin „offen“ und es finden kontinuierlich Gespräche der Berichterstatter*innen aller Fraktionen statt, in denen gemeinsam beraten wird, welche politischen Schritte und Beschlüsse wirklich Sinn machen, um Ihnen bzw. Ihrem Sohn als Betroffener bestmöglich zu helfen.

Obwohl ME/CFS als Erkrankung schon seit 1969 anerkannt ist, haben die CDU/CSU-geführten Vorgängerregierungen diese über 16 Jahre lange ignoriert, obwohl wir Grüne die vorherige Regierung nachdrücklich dazu aufgefordert haben, sich des Themas endlich anzunehmen. Erst seitdem wir als Ampelkoalition die mangelhafte Versorgungs- und Forschungslage auf die politische Agenda gesetzt haben und bereits entscheidende Verbesserungen eingeleitet haben, hat auch die CDU/CSU-Fraktion das Thema für sich entdeckt und bringt immer wieder Anträge ins Parlament ein, die zwar wohlklingende Titel haben, aber keine durch die Politik wirklich erfüllbaren Vorschläge enthalten, die wir nicht bereits in Angriff genommen hätten. Viele der Forderungen in den Unionsanträgen sind entweder bereits eingeleitet worden, sind in Planung oder gehören nicht in unseren Einflussbereich. So kann die Politik beispielsweise weder Curricula für die Fortbildungen von Mediziner*innen selbst festlegen, noch kann sie selbst Schwerpunktarztpraxen und -kliniken finanzieren.

Schaufenster-Anträge mit Appellen und Forderungen an Gremien, auf die wir keinen Einfluss haben, bringen uns nicht voran – zielführende fraktionsübergreifende konstruktive Zusammenarbeit aber schon.

Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf die Verbesserung der Forschung und der Versorgung verständigt. Auch wenn es keinen Gesetzestext oder Koalitionsantrag gibt, der den Namen „ME/CFS“ trägt, so haben wir als Ampel doch seit Beginn der Legislatur eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Forschung und Versorgung gezielt zu verbessern:

  • Zur Forschungsförderung sind Haushaltsmittel in Höhe von 22,5 Millionen Euro für 2022 und 2023 bewilligt und werden bereits bewirtschaftet. Im Vergleich zu anderen Forschungsfeldern gibt es eine hohe Bewilligungsquote von Forschungsanträgen (etwa 1/3 der Summe aller beim BMBF eingegangenen Anträge wurden bewilligt). Dazu gehört beispielweise eine klinische Studie an der Charité Berlin, in deren Rahmen aktuell die Wirksamkeit von vier Gruppen von bereits bekannten Medikamenten für die Behandlung von Patient*innen mit Long-Covid und Chronischem Fatigue Syndrom erforscht wird
  • Ein ganz zentrales Anliegen von uns Grünen ist es, gemeinsam mit den Ampel-Partner*innen die Versorgungssituation durch Spezialambulanzen zu verbessern, damit mehr Menschen schneller eine Diagnose bekommen aufgrund derer sie adäquat behandelt werden können. Dazu wurde nun der Gemeinsame Bundesausschuss, der die inhaltlichen Vorgaben der gesundheitlichen Versorgung macht, per Gesetz beauftragt. Er soll bis Ende dieses Jahres eine Richtlinie für die interdisziplinäre und standardisierte Diagnostik von Long-Covid und ähnliche Krankheitsbildern wie etwa ME/CFS erarbeiten. Gleichzeitig wird dadurch festgelegt, wie den Versicherten ein zeitnaher Zugang zu einem multimodalen Therapieangebot gesichert werden muss. Außerdem wurde eine Telefonhotline für Betroffene eingerichtet, um den Betroffenen einen ersten Anlaufpunkt zu geben und sie über bereits bestehende Versorgungsangebote adäquat zu informieren und zu beraten.
  • Darüber hinaus sind wir bemüht, die politische und wissenschaftliche Diskussion zu diesem Thema anzuregen, um die Erkrankung bekannter zu machen. Zu diesem Zweck haben wir als Ampel und als Grüne Fraktion bereits verschiedene Veranstaltungen organisiert.

Dies alles sind sehr wichtige Maßnahmen, die ihre Wirkung teilweise erst mit der Zeit zeigen werden. Denn die Erforschung des Krankheitsbildes und insbesondere die Entwicklung von Medikamenten und Therapiemethoden brauchen eine gewisse Zeit, um zuverlässige Ergebnisse zu liefern.

Ich wünsche Ihnen und Ihrem Sohn alles Gute und verbleibe mit freundlichen Grüßen, 

Tessa Ganserer

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