Internationale und israelische Menschenrechtsorganisationen sind zu dem Schluss gekommen, dass Israel einen Völkermord verübt. Beeinflusst das Ihre Haltung zum EU-Assoziierungsabkommen?

Sehr geehrter Herr K.,
ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Frage vom 29. Juli 2025 und für die Übermittlung der beigefügten Artikel, mit denen Sie Ihre Kritik und Sorge unterlegen. Die humanitäre Lage im Gazastreifen erfüllt auch mich mit großer persönlicher Betroffenheit.
Die Berichte und Bewertungen internationaler Organisationen nehme ich sehr ernst. Zugleich halte ich es für geboten, bei solch schwerwiegenden Vorwürfen wie dem eines Völkermords besondere Sorgfalt walten zu lassen – sowohl in der rechtlichen Bewertung als auch im politischen Umgang damit. Der Tatbestand des Völkermords ist nach internationalem Recht eng gefasst und kann nicht politisch, sondern nur juristisch festgestellt werden. Zuständig dafür sind insbesondere internationale Strafgerichte wie der Internationale Gerichtshof (IGH) und der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), die beide mit entsprechenden Verfahren befasst sind. Solange diese Prüfungen andauern, halte ich es für geboten, sich mit Bewertungen zurückzuhalten, die einer rechtsstaatlichen Klärung vorgreifen.
Was das EU-Assoziierungsabkommen mit Israel betrifft, so ist dessen Aussetzung rechtlich wie politisch ein sehr weitreichender Schritt. Die EU hat in der Vergangenheit bei verschiedenen Staaten auch unter schwierigen Bedingungen auf Dialog, diplomatischen Druck und gezielte Instrumente gesetzt, um Einfluss auf die Konfliktparteien zu nehmen. Ich sehe aktuell keine überzeugenden Anzeichen dafür, dass ein einseitiges Aussetzen des Abkommens den Menschen in Gaza konkret helfen oder zur Deeskalation beitragen würde. Vielmehr braucht es jetzt international abgestimmte, besonnene Anstrengungen für humanitären Zugang, eine dauerhafte Waffenruhe und eine langfristige politische Lösung, die sowohl Israels Existenzrecht als auch das legitime Selbstbestimmungsrecht der Palästinenserinnen und Palästinenser achtet.
In dieser hochkomplexen und emotional aufgeladenen Lage ist es aus meiner Sicht notwendig, nicht mit Schuldzuweisungen zu operieren, sondern auf Völkerrecht, humanitäre Grundsätze und eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung als dauerhafte Perspektive zu setzen. Die Menschen auf beiden Seiten verdienen Sicherheit, Würde und eine friedliche Zukunft.
Ich danke Ihnen nochmals sehr herzlich für Ihre Frage und stehe Ihnen selbstverständlich jederzeit sehr gerne persönlich für Ihre Rückfragen zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Mayer, MdB