Frage an Roderich Kiesewetter von Wolf H. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr K.,
Kapitalerträge werden bei uns oft niedriger besteuert als Erträge aus Arbeit. Hier verstehe ich Vertreter linker Positionen, die finden, dass Kapitalrenditen (die oft Arme ärmer und Reiche reicher macht) höher besteuert werden müssen.
Was ich nicht verstehe ist, dass man, wenn man nur einen nominellen Gewinn verbuchen kann, aber faktisch einen Verlust erleidet, trotzdem zur Kasse gebeten wird. Zum Beispiel, wenn ich ein Guthaben von 100 000 Euro habe und darauf ein Prozent Zinsen bekomme, muss ich 1000 Euro versteuern (Freibetrag ist anderweitig schon ausgeschöpft). Wenn dann aber die Inflationsrate 2% beträgt, habe ich aber effektiv Verlust gemacht.
Darum frage ich Sie, warum das Steuerrecht die Inflationsrate nicht in seine Berechnungen einbezieht.
Viel Erfolg für Ihre Arbeit und ein gutes neues Jahr,
W. H.
Sehr geehrter H.,
viele Dank für Ihre Nachricht. Das sind sehr spezielle Fragen, zu denen wir in der Fraktion auch viel diskutieren und sich auch noch keine endgültige Meinungsbildung durchgesetzt hat. Ich möchte gerne versuchen, darauf einzugehen:
Zu 1): Es stellt sich die Frage, ob es der abgeltenden Wirkung der Kapitalertragsteuer noch bedarf, wenn die bislang bestehenden Vollzugsdefizite bei der Erfassung von Kapitalertragsteuern nicht mehr bestehen und somit zur Individualbesteuerung zurückgekehrt werden könnte.
Vor mehr als 10 Jahren hat es gute Gründe für die Einführung der Abgeltungsteuer gegeben, weil sich viele Steuerzahler der Besteuerung von Kapitaleinkünften entziehen konnten. Da die Abgeltungsteuer an der Quelle ansetzt, ist sie weniger missbrauchsanfällig. Erst wenn die Voraussetzungen für einen gleichmäßigen Steuervollzug durch Einführung des Informationsaustausches vorliegen (was sich frühestens Ende 2018 zeigt, wenn die teilnehmenden Staaten den vereinbarten Informationsaustausch umgesetzt und in Vollzug gebracht haben), kann über die Zukunft der Abgeltungsteuer entschieden werden. Dann werden wir uns aber auch den bei Einführung der Abgeltungsteuer entfallenen Regelungen widmen müssen, um Doppelbesteuerungen - insbesondere bei Dividenden - zu vermeiden. Ins Auge müssen wir z. B. Freibeträge, Werbungskostenabzug und ein einfacheres Verfahren als Ersatz für das alte Halbeinkünfteverfahren nehmen, das großen bürokratischen Aufwand hervorgerufen hat.
Zu 2): Hier ist mir nicht ganz klar, was Sie genau damit meinen. Soweit die sog. kalte Progression gemeint ist (also einen Anstieg der Besteuerungsquote durch inflationsbedingte Lohnsteigerungen), so kann ich darauf folgendermaßen eingehen:
Der progressive Steuertarif in Deutschland von einem Eingangssatz von 14% bis zu einem Höchststeuersatz von 45% geht auf den Grundsatz der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit zurück. Ein progressiver Tarif hat zwingend die Eigenschaft, dass Einkommenserhöhungen einen Anstieg der durchschnittlichen Steuerbelastung bewirken. Dieses Prinzip der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit ist somit unvermeidbar und auch richtig. Allerdings tritt dieses Ergebnis auch dann ein, wenn das zu versteuernde Einkommen nur im Umfang des Preisanstiegs / der Inflation erhöht wird, also das Realeinkommen letztlich unverändert geblieben ist. Dieser letzte Effekt wird allgemein als „heimliche Steuererhöhung“ beziehungsweise kalte Progression bezeichnet.
Diese letztgenannten Effekte der kalten Progression sind in dieser Legislaturperiode aber nicht eingetreten. Noch in der vorletzten Legislaturperiode hat die unionsgeführte Koalition der Bundesregierung den Auftrag erteilt, künftig alle zwei Jahre einen Bericht zur Entwicklung der kalten Progression vorzulegen und dem Bundestag Vorschläge zu deren Beseitigung zu unterbreiten. Diese Berichte nimmt meine Fraktion zum Anlass, die festgestellte bzw. zu erwartende Inflation durch Verschiebung der sog. "Tarifeckwerte" für die Jahre 2014-2017 auszuschließen. So haben wir z. B. die Tarifeckwerte für 2017 um 0,73% und für 2018 um weitere 1,65% erhöht. Allein mit diesen Anpassungen entlasten wir die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bis 2018 um fast 7 Mrd. €. Damit haben in diesen Jahren im Ergebnis die Einkommenssteigerungen in Höhe der Inflation nicht zu einer höheren Steuerbelastung geführt. Auch künftig werden wir uns den Steuerprogressionsbericht der Bundesregierung vorlegen lassen und die Steuerpflichtigen in der erforderlichen Höhe entlasten.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit eine informative Antwort geben.
Herzliche Grüße
Roderich Kiesewetter