Wird in sicherheitspolitischen Kreisen der Bundesrepublik berücksichtigt, dass die Aufrüstung Russlands auch etwas mit der Aufrüstung und Expansion der NATO zu tun haben könnte?
Im Zusammenhang mit der Aufrüstung/Expansion der NATO wäre zudem relevant, ob sich verantwortliche Funktionsträger in der Bundesrepublik ausreichend mit der Tatsache beschäftigt haben, dass die sich die US-amerikanischen Nuklearstreitkräfte schon seit über 20 Jahren auf einen Angriff auf Russland vorbereiten.
Vgl. Keir A. Lieber & Daryl G. Press, The Rise of U.S. Nuclear Primacy, Foreign Affairs 85:2 (2006), 42-54, 51.

Sehr geehrter Herr A.,
vielen Dank für Ihre Frage. Eine verantwortungsvolle Sicherheitspolitik muss realistisch, reflektiert und vorausschauend sein – und dazu gehört auch, sich mit der sicherheitspolitischen Wahrnehmung anderer Staaten auseinanderzusetzen. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir Prinzipien wie das Völkerrecht, territoriale Integrität oder das souveräne Recht auf Bündniswahl relativieren dürfen.
Die Bedrohungswahrnehmung Russlands im Zusammenhang mit der NATO-Erweiterung und internationalen Nuklearstrategien hat zweifellos zu Spannungen beigetragen. Das ändert jedoch nichts daran, dass sich die osteuropäischen Staaten aus guten Gründen für eine Mitgliedschaft in der NATO entschieden haben – nicht zuletzt aufgrund historischer Erfahrungen während der sowjetischen Vorherrschaft. Diese souveränen Entscheidungen stellen keinen Angriff dar, sondern einen Ausdruck legitimer Sicherheitsinteressen und Selbstbestimmung.
Zugleich erleben wir, wie Russland zu den sicherheitspolitische Spannungen beigetragen hat und diese nun selbst weiter zuspitzt – etwa durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, den brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine, gezielte Desinformation und wiederholte Provokationen durch wiederholte Verletzungen des NATO-Luftraums und Drohnenvorfälle wie zuletzt in Polen. Das sind keine Zeichen von Gesprächsbereitschaft, sondern von Konfrontation. Solche Provokationen untergraben die Grundlage für Vertrauen und Deeskalation und unterstreichen nur die Notwendigkeit dafür, diplomatische Lösungen zu finden und diesen brutalen Krieg schnellstmöglich zu beenden.
Für mich ist klar, dauerhafte Sicherheit entsteht nicht durch Aufrüstungsspiralen oder nukleare Drohkulissen. Deshalb halte ich an der sozialdemokratischen Überzeugung fest, dass Abrüstung, Rüstungskontrolle und diplomatischer Dialog der einzige Weg zu einer stabilen Friedensordnung sind.
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Stegner