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Frage von Horst Torsten O. •

Können Sie sich noch im Spiegel ansehen, angesichts der neuerlichen Akzeptanz der Taliban als Diplomaten in Bonn, damit die Abschiebungen besser klappen?

Quelle: 3sat-Magazin Kulturzeit / Kulturzeit.de

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Antwort von SPD

Sehr geehrter Herr O.,

vielen Dank für Ihre Frage. Wie Sie wissen, beschäftige ich mich seit vielen Jahren intensiv mit Afghanistan – als früherer Vorsitzender des Untersuchungsausschusses Afghanistan und heute im Ausschuss für Menschenrechte. Deshalb möchte ich zunächst klarstellen: Deutschland erkennt die Taliban nicht als Regierung Afghanistans an. Sie üben zwar de facto die Kontrolle im Land aus, eine diplomatische Anerkennung erfolgt jedoch nicht; die hier tätigen Vertreter besitzen daher lediglich eine eingeschränkte konsularische Akkreditierung und keine vollwertigen diplomatischen Befugnisse.

Zur Sache: Die Lage in Afghanistan ist äußerst kritisch. Seit der Machtübernahme 2021 haben die Taliban zentrale Grundrechte massiv eingeschränkt – insbesondere für Frauen und Mädchen, aber auch für Medien, politische Opposition und zivilgesellschaftliche Akteure. Diese Menschenrechtsverletzungen verurteile ich ausdrücklich. Gleichzeitig wissen wir aus zwei Jahrzehnten Erfahrung, dass ein völliger Abbruch aller Gesprächskanäle niemandem helfen würde, vor allem nicht den Betroffenen vor Ort. Ohne Kontakte verlieren wir jede Möglichkeit, Entwicklungen zu verstehen, humanitäre Anliegen zu adressieren oder überhaupt Einfluss zu nehmen. Solche Gespräche bedeuten keine Zustimmung, aber sie sind grundsätzlich notwendig, um Verantwortung zu übernehmen, Schutzkanäle offen zu halten und positiv auf die Situation vor Ort einzuwirken.

Umso bedenklicher wäre es, wenn sich die Medienberichte bewahrheiten sollten, wonach den Taliban Vertretern Zugang zu sensiblen personenbezogenen Daten im Generalkonsulat ermöglicht worden ist, um Abschiebungen von schweren Straftätern zu erleichtern. Derartige Rückführungen sind richtig und notwendig, aber sie dürfen nicht dazu führen, dass Schutzsuchende oder ihre Familien in Afghanistan in Gefahr geraten. Das wäre aus meiner Sicht weder moralisch vertretbar noch mit unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar.

Falls diese Berichte zutreffen, ist das ein ernstes Problem, das innerhalb der politischen Debatte offen angesprochen werden muss. Die Koalitionsverhandlungen haben klar gezeigt, wie wichtig möglichst viele Abschiebungen für die Union sind, aber Abschiebungen dürfen keinesfalls um jeden Preis und schon gar nicht zur Last von Schutzsuchenden und politisch Verfolgten stattfinden. Gerade im Fall Afghanistan tragen wir eine besondere Verantwortung für ehemalige Ortskräfte, Journalistinnen und Journalisten und andere gefährdete Gruppen. 

Mit freundlichen Grüßen

Ralf Stegner 

 


 

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