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Frage von Birgit v. •

Frage an Rainer Wieland von Birgit v. bezüglich Recht

Ich suche schon länger eine juristisch eindeutige Definition des Rechtsstaatsbegriffs im dem Sinne, den das EP für den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus verwenden wird. Ich finde leider nur äußerst unpräzise Beschreibungen, mit denen man meines Erachtens juristisch nichts anfangen kann. Können Sie mir die genaue Fundstelle im europäischen Regelwerk nennen? Ich meine juristisch hinreichend konkrete, belastbare und justiziable Tatbestandsbegriffe.

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau v. B. .

ich bedanke mich für Ihre Anfrage vom 20. Juli 2021, auf die ich höflich Bezug nehme und für deren verspätete Beantwortung ich aufgrund der parlamentarischen Sommerpause um Nachsicht bitte. Ich freue mich sehr, dass Sie sich mit diesem konkreten Anliegen an mich wenden. Diese Form des direkten Kontakts zu Bürgerinnen und Bürgern ist mir besonders wichtig.

Wie Sie bereits in Ihrem Schreiben darlegen, hat sich das Europäische Parlament am 16. Dezember 2020 gemeinsam mit dem Rat über einen neuen Rechtsstaatsmechanismus verständigt, der die Zahlung von EU-Mitteln aus dem langfristigen Haushalt und dem Wiederaufbaufonds an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien knüpft. Obgleich dieser Rechtsstaatsmechanismus seit dem 1. Januar dieses Jahres in Kraft ist, hat die Europäische Kommission bislang noch keine Leitlinien zu dessen Anwendung vorgelegt. Auch das Urteil des EuGH bezüglich des Einspruchs von Polen und Ungarn steht in dieser Sache noch aus.

Die Frage nach einer juristisch eindeutigen Definition des Rechtsstaatsbegriffs ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Schaffung des neuen Rechtsstaatsmechanismus und dem noch ausstehenden Urteil des EuGH von großer Relevanz.

Gemäß Art. 2 des Vertrags über die Europäische Union ist das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit einer der Grundwerte der EU: „Die Werte auf denen sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte (...).“ Der Begriff Rechtsstaatlichkeit wird hier in direktem Zusammenhang mit weiteren fundamentalen Werten der Gemeinschaft, wie Demokratie und Menschenrechte, genannt. Demzufolge und wie Sie richtigerweise festgestellt haben ist eine Vermischung des Rechtsstaatlichkeitsbegriffs mit den anderen unter Art. 2 EUV aufgezählten Werten genau genommen nicht korrekt.

Folgt man der Auslegung der Europäischen Kommission, die einen recht umfassenden Rechtsstaatlichkeitsbegriff voraussetzt, muss die Wahrung aller anderen Grundwerte der EU unmittelbar mit dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip verbunden werden, weil die Grundrechte des Einzelnen ohne Einklagemöglichkeit ins Leere laufen würden. In ihrer Argumentation folgt die EU-Kommission der Rechtsprechung des EuGH und des EGMR. Letztere verstehen unter dem Rechtsstaatsprinzip eine Reihe von Grundsätzen, die zur Anwendung und Durchsetzung der europäischen Gesetze unabdingbar sind. Zu jenen Grundsätzen, die der EuGH und der EGMR aus den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten abgeleitet haben, gehören: der Grundsatz der Gesetzlichkeit, die Rechtssicherheit, das Willkürverbot in Bezug auf die Exekutive, die unabhängige und effektive richterliche Kontrolle, der eindeutige Zusammenhang zwischen dem Recht auf ein faires Verfahren und der Gewaltenteilung sowie die Gleichheit vor dem Gesetz.

Weiterführende Informationen zur Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips sowie zusätzliche Erläuterungen zu den oben genannten Grundsätzen finden Sie unter der Mitteilung der EU-Kommission: 

 

Die Einhaltung dieser Grundsätze wird im Rahmen der von der EU-Kommission jährlich veröffentlichten Berichte über den Stand der Rechtsstaatlichkeit in den europäischen Mitgliedsstaaten überwacht. Den Bericht des letzten Jahres, der den Fokus auf die nationalen Justizsysteme und die jeweiligen Verfahren zur Korruptionsbekämpfung legt und gleichzeitig die Vielfalt der Medien sowie weitere, das Prinzip der Gewaltenteilung berührende Fragen in den Blick nimmt, finden Sie unter folgendem Link:

Die Wahrung des Rechtsstaatsprinzips innerhalb der EU ist nicht nur die Grundlage für den Schutz der fundamentalen Werte, auf denen sich die EU gründet. Sie ist auch die Voraussetzung für die Einhaltung der europäischen Rechtsgrundsätze und damit Garant für die Beständigkeit unserer europäischen Lebensweise. Die EVP-Fraktion im Europäischen Parlament wird sich deshalb auch künftig für die Einhaltung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips innerhalb der Europäischen Union einsetzen und auf diese Weise unsere Europäischen Werte Menschenwürde, Freiheit, Solidarität und Achtung der Menschenrechte verteidigen.

Ich danke Ihnen nochmals für Ihre Zuschrift zu diesem wichtigen Thema und hoffe, dass ich Ihnen mit meinen Ausführungen behilflich sein konnte. Für Rückfragen und weiterführende Informationen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Wenden Sie sich doch im gegebenen Fall direkt an mein Büro in Stuttgart oder Brüssel.

 

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Wieland

 

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