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Michael Thews
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Frage von Jörn-Derek G. •

Frage an Michael Thews von Jörn-Derek G. bezüglich Recht

Abwägung der Corona-Maßnahmen

Guten Tag Herr Thews,

mit den, wie zu erwartend, ansteigenden Erkrankungszahlen (oder Fällen) im Herbst werden nun von der Bundesregierung und von den Ministerpräsidenten wieder eine Vielzahl einschneidender Maßnahmen ausgerufen, die das soziale und wirtschaftliche Leben fast aller Bürger massiv betreffen werden.
Aussagen von Fachleuten lassen erwarten, dass das Beendigen der „Epidemischen Lage nationaler Tragweite“ wohl gut und gerne erst 2022 erfolgen wird; vor allem hier im Zusammenhang mit dem voraussichtlichen Abschluß der angestrebten Impfmaßnahmen.
Meine grundsätzliche Frage an Sie ist nun:
In wieweit haben Sie (oder ihre Fraktion) die Alternativlosigkeit dieser Maßnahmen und, falls klar erkennbar, der zugrundeliegenden Strategie, überprüft ?

Ich möchte mich bei der Beschreibung eines Alternativmodels an der Great Barrington Declaration orientieren: Risikogruppen-Schutz (bei deren Wunsch), die tatsächliche Belastungsgrenze des Gesundheitssystems als akzeptable Grenze für angemessene Verbotsmaßnahmen, normale Hygienemaßnahmen für alle.
Risikogruppen waren schon seit Ende Januar definierbar und die frühe Heinsberg-Studie hält in wichtigen Punkten bis jetzt.
Also konkret:
Wie haben Sie sich ein Bild gemacht, ob die anfangs durchgeführten und nun, in anderer Reihenfolge, wiederholten Maßnahmen angemessen waren/sind; vor allem unter Beachtung der Vorgaben des Grundgesetzes und des Rechtsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit ?

Gern würde ich erfahren,
• welche Anfragen Sie (oder ihre Fraktion) hierzu an die Bundes/Landesregierung gestellt haben,
• welche Antworten es hierzu gab, und
• welche Studien Sie (oder ihre Fraktion) ggf. selbst beauftragt haben, falls die Bundes/Landesregierung nicht oder nicht ausreichend geantwortet hat
Ich frage Sie hier als Vertretung des Souveräns und in ihrer Verantwortung innerhalb des freien Mandats, das Sie ausüben.

Mit freundlichen Grüßen,
Jörn-Derek Gehringer

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Gehringer,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 1. November.

Aktuell steigen die Fallzahlen in einem erschreckend hohen Tempo. Die meisten Gesundheitsämter kommen längst nicht mehr mit der Kontaktverfolgung hinterher und können Infektionsketten somit nicht länger aufbrechen. Ohne ein entsprechendes Eingreifen zur Kontaktbeschränkung würde sich diese Entwicklung unkontrolliert fortsetzen und alsbald zum Zusammenbruch des Gesundheitssystems führen. Schon jetzt haben die stationär behandelten Fälle in den Krankenhäusern wieder stark zugenommen. Ich halte es daher für sinnvoll, dass nun entsprechende Maßnahmen ergriffen wurden, um die rasante Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen.

Auch im Parlament stand die Pandemie die letzten Monate im Fokus vieler Debatten. Nichtsdestotrotz kann und muss es noch stärker in den Entscheidungsprozess mit eingebunden werden. Die SPD-Bundestagsfraktion erarbeitet derzeit ein Konzept, wie das Parlament stärker mit einbezogen werden kann. Ich unterstütze in diesem Zusammenhang auch das Angebot des Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenichs, gemeinsam mit den anderen demokratischen Fraktionen einen interfraktionellen Antrag zu erarbeiten.

Ich finde es richtig und wichtig, dass verschiedene Ansichten in die Entscheidungsfindung mit einfließen. Gerade durch die extreme Dynamik des Virus wäre es fatal, sich auf einen bestimmten Kurs festzulegen und nicht von diesem abzuweichen. Dennoch stehe ich der von Ihnen erwähnten Great Barrington Declaration (GBD) kritisch gegenüber.

Hinter der GBD steht der Gedanke der „Durchseuchung“ der Gesellschaft bei gleichzeitiger Isolation von Risikogruppen und insb. älterer Menschen, um so eine Herdenimmunität zu erlangen. U.a. Schweden hat sich zu Beginn der Pandemie für diesen Weg entschieden und dafür einen hohen Preis gezahlt. Nicht nur haben sich dort trotz des vermeintlichen Schutzes viele ältere Menschen angesteckt. Auch jüngere Menschen, die offiziell nicht zur Risikogruppe zählen, hatten zum Teil mit schweren Krankheitsverläufen zu kämpfen. Da durch das Konzept der Durchseuchung viele Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden würden, halte ich diesen Weg für unsolidarisch und moralisch höchst fragwürdig. Zudem finde ich die totale Isolierung älterer Menschen unmenschlich und unrealistisch.

Hinzu kommt, dass die Autor*innen der GBD bereits vor deren Veröffentlichung mit teils äußerst vagen und mehrfach widerlegten Aussagen zum Verlauf der Pandemie auffielen und die GBD vom American Institute for Economic Research (AIER) finanziert wurde, das nachweislich die Gefahr des Coronavirus sowie des Klimawandels leugnet.

Ich halte es daher nicht für angemessen, die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie an der GBD zu orientieren. Darüber hinaus erachte ich es als sehr riskant an sich an den Belastungsobergrenzen unseres Gesundheitssystems zu orientieren.

Die SPD-Bundestagsfraktion wird das Geschehen und die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie weiterhin aufmerksam und kritisch beobachten. Dabei hat die Gesundheit der Bevölkerung jedoch oberste Priorität. Wir alle sehnen ein baldiges Ende der Pandemie und eine Rückkehr zum „Normalzustand“ herbei. Wir werden dies allerdings nicht auf Kosten von Menschenleben riskieren.

Eine ausführliche Übersicht über alle Anfragen an die Bundesregierung finden Sie auf der Internetseite des Dokumentations- und Informationssystems des Deutschen Bundestages (http://dipbt.bundestag.de/dip21.web/bt).

Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen konnte.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Thews

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