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Merle Spellerberg
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Sebastian M. •

Wieso ist das Bundeswehr Sondervermögen in seiner Höhe von 100 Milliarden gerechtfertigt?

Sehr geehrte Frau Spellerberg,
Die gesamte Nato hat schon jetzt eine Übermacht gegenüber Russland in den meisten Rüstungskategorien: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/379080/umfrage/vergleich…
wieso gibt es also als Reaktion auf die aktuelle Agressivität Russlands die Notwendigkeit einen Jahreshaushalt für Rüstung auszugeben, wo doch die Klimakrise viel mehr Mittel benötigen würde?
Darüber hinaus würde ein Nato-Russland Krieg mit Atomraketen gefochten und russische Panzer würden, genau wie wir, im atomaren Feuer enden, bevor sie deutschen Boden erreichen. Wieso ist dieses Vorgehen also rational? Denn das muss es sein bei solchen Summen. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Und Politik sollte handeln, nicht reagieren.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Ich habe der Errichtung des Sondervermögens Bundeswehr mit dem Zweck der Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit zugestimmt. Diese Entscheidung habe ich mir keinesfalls leicht gemacht und meine Abwägungen möchte ich gerne hier erläutern.

Ich würde gerne in einer Welt leben, in der es kein Militär und damit auch keine Militärausgaben geben müsste. Aber in solch einer Welt leben wir nicht. Deshalb gilt mein Dank allen Angehörigen der Bundeswehr, die ihren Beitrag zu unserer Sicherheit leisten. Sowohl die aktuelle geopolitische Lage rund um den russischen Angriffskrieg in der Ukraine als auch der desolate Zustand der Ausstattung der Soldat*innen machen Investitionen in die Bundeswehr unabdingbar. Wir müssen einerseits in der Lage sein uns und unsere Bündnispartner*innen im Ernstfall zu verteidigen und anderseits die Kapazitäten haben, internationale Friedensmissionen wie die UN Mission in Mali zu unterstützen. Gerade als Abgeordnete eines Landes mit Parlamentsarmee sind wir in der Verantwortung, unser Militär so auszustatten, dass es seinen Auftrag sicher ausführen kann. So leisten wir unseren Beitrag zu europäischer Souveränität und bringen unsere Solidarität mit unseren Partner*innen, beispielsweise im Baltikum, nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten zum Ausdruck.

Heute ist dies nicht uneingeschränkt der Fall. Soldat*innen mussten sich in der Vergangenheit ihre persönliche Schutzausrüstung teils mit eigenen Mitteln vervollständigen, weil die Bundeswehr sie nicht stellen konnte. Von unseren A400M Flugzeugen sind lediglich ein Drittel einsatzbereit, von den Hubschraubern etwa 40% und von den Kriegsschiffen weniger als 30% uneingeschränkt einsatzbereit. Weil unsere Kampfhubschrauber nicht einsatzbereit sind, konnte das Bundeswehrmandat für die UN Mission MINUSMA in Mali nur unter dem Vorbehalt verlängert werden, dass eine andere Nation Kampfhubschrauber zum Schutz unserer Soldat*innen zur Verfügung stellt. Militärische Übungen mit unseren Partner*innen finden überwiegend mit unverschlüsseltem und analogem Funk statt, weil wir als einziger Partner noch keine digitalen und verschlüsselten Funktionen haben. Auch unsere Führungsfähigkeit basiert in großen Teilen noch auf analogen Karten, was den Anforderungen der aktuellen Bedrohungsszenarien nicht gerecht wird. Damit bleiben wir hinter unserer Verantwortung gegenüber den Angehörigen der Bundeswehr und unserem Anspruch als verantwortungstragender Partner in den Vereinten Nationen zurück.

Mir ist es wichtig zu betonen, dass die Gründe für die Missstände nicht primär in den zur Verfügung gestellten Mitteln des Einzelplans für Verteidigung liegen. Der aktuelle Zustand der Bundeswehr ist an allererster Stelle zurückzuführen auf den Unwillen der Union, in  den letzten 16 Jahre umfassende Reformen anzustoßen. Das Bedienen der Wahlkreislobbyinteressen einiger Abgeordneter insbesondere der CSU, für die nicht die Bedarfe der Bundeswehr sondern die Wünsche der Rüstungsindustrie im Mittelpunkt standen, ist ein weiterer Faktor, der einer kohärenten Finanzierung im Wege stand. Das zu unterbinden, hat höchste Priorität. Ebenso zu adressieren sind Misswirtschaft und die Auslagerung von Fähigkeiten in die Privatwirtschaft, wie es teilweise bei Reparaturen der Fall ist. Eine Reform des Beschaffungswesens ist unabdingbar.

Doch trotz des Hintergrundes der dringend benötigten Finanzierung in die Ausstattung der Bundeswehr ist mir die Entscheidung über das Sondervermögen aus mehreren Gründen schwer gefallen.

Als Bündnisgrüne und Verfechterin einer feministischen Außen- und Sicherheitspolitik setze ich mich für einen Politik ein, der ein erweiterter Sicherheitsbegriff zu Grunde liegt. Sicherheit ist mehr als nur Militär und Verteidigung. Sicherheit bedeutet auch, in zivile Krisenprävention, in humanitäre Hilfe und in Entwicklungszusammenarbeit zu investieren. Diese Ausgaben haben ihre Legitimation schon alleine durch den Zweck der Wahrung der Menschenrechte. Sie tragen zu individueller, menschlicher Sicherheit und dadurch eben auch zu globaler Sicherheit und Stabilität bei. Deswegen stimme ich dem Sondervermögen unter der klaren Maßgabe und dem klaren Auftrag an die Bundesregierung zu, dass in den kommenden regulären Haushalten die im Koalitionsvertrag vereinbarte 1:1 Regelung eingehalten wird.

Dass die Einigung zum Sondervermögen nun nicht einmal Cybersicherheit und Zivilschutz beinhaltet, zeugt von einem höchst veralteten und gefährlichen Sicherheitsverständnis einiger am Kompromiss Beteiligter. Auch Cybersicherheit und Zivilschutz sind Aspekte von Landes- und Bündnisverteidigung. Ähnlich wie bei Fragen der Ausstattung der Bundeswehr hat die Bundesregierung im Vergleich zu ihren internationalen Partner*innen hier dringenden Auf- und Nachholbedarf.

Dass finanzielle Mittel für Cybersicherheit, Zivilschutz und zivile Krisenprävention aus dem Sondervermögen ausgeschlossen wurden, war falsch. Die Koalition verfehlt es hiermit, das Sondervermögen für eine kohärente Sicherheitsstrategie zu nutzen. Es hat zur Folge, dass dringend benötigte Maßnahmen in diesen Bereichen aus dem regulären Haushalt beglichen werden müssen. So werden nun Mittel gebunden, die essentiell sind, um unsere Außen- und Sicherheitspolitik präventiv und resilient zu gestalten und die Notwendigkeit des Militärs langfristig zu reduzieren. Auch dürfen die Finanzierungsspielräume für unsere Sicherheit unter keinen Umständen zulasten der Menschen mit geringen Einkommen und dem Kampf gegen die Klimakrise geschaffen werden. Fehlen hier Investitionen und Mittel, wird im schlimmsten Fall ein Nährboden für anti-demokratische Kräfte und gesellschaftliche Spaltung geschaffen.

Die Bundesregierung muss die Finanzierung der zentralen Projekte bedingungslos sicherstellen. Die Aussetzung der Schuldenbremse sowie deren mittelfristige Reform sind notwendig. Außerdem muss schnell und lösungsorientiert eine Übergewinnsteuer diskutiert und umgesetzt werden.

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