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Markus Töns
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Frage von Philippe D. •

Wie decken sich weitere Waffenlieferungen an einem Staat, der laut vieler Beobachter einen Völkermord begeht, mit internationalem Recht?

Sehr geehrter Herr Töns,
das Israel einen Völkermord durchführt ist zunehmend unstrittig: https://docs.google.com/spreadsheets/d/1GqOe_ieQX2I9iCvOfG8VAdIMRijA0QT3ZMsMsdhn6JI/edit?gid=0#gid=0. Selbst Holocaust-Überlebende kommen zu diesem Schluß: https://www.huffpost.com/entry/human-rights-watch-co-founder-and-holocaust-survivor-aryeh-neier-says-israel-committing-genocide_n_6655aacce4b022987c31721f sowie isr.Menschrechtsorganisationen: https://www.btselem.org/publications/202507_our_genocide.
Nichtdestotrotz sehen Sie einen Teilstopp an Waffenlieferungen kritisch: https://presse-augsburg.de/kritik-aus-spd-an-waffenstopp-fuer-israel/1052119/ und bekämpfen diesen offen. Deshalb ist es relevant zu wissen, wie Ihre Haltung mit internationalem Recht vereinbar ist.
Politiker:innen, die wider der verfügbaren Faktenbasis handeln und einen Völkermord durch ihren politischen Einsatz für Waffenlieferungen aktiv unterstützen, machen sich möglicherweise auch vor Gericht mitschuldig.
Philippe D.

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Am 7. Oktober 2023 verübte die Hamas den tödlichsten Terrorangriff seit der Staatsgründung auf israelischem Boden. Etwa 1.200 Bürgerinnen und Bürger wurden auf brutalste Art und Weise ermordet. Über 240 Israelis und Angehörige anderer Staaten wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Davon wurden bisher 120 lebendig freigelassen, andere wurden als Leichen übergeben. Manche Angehörige werden Ihre Vermissten nie beerdigen können. Laut Hamas-Informationen befinden sich noch 48 Geiseln unter unmenschlichen Bedingungen in deren Gefangenschaft wovon nach israelischen Schätzungen noch 20 am Leben sind. Wir verdammen die Gewalt der Terroristinnen und Terroristen in aller Schärfe. Ihr erklärtes Ziel war und ist es, Jüdinnen und Juden zu töten und ihnen größtmögliches Leid zuzuführen. Das ist islamistischer Faschismus und kein politischer Protest. Weder die israelische Siedlungspolitik noch die schwindende Perspektive für eine Zwei-Staaten-Lösung rechtfertigt auch nur im Entferntesten diese Gewalt gegen unschuldige Frauen und Männer.

 

Durch das militärische Vorgehen Israels gegen die Hamas im Gazastreifen als Reaktion auf diesen brutalen Überfall sind nach palästinensischen Angaben seit Oktober 2023 ca. 50.000 Menschen ums Leben gekommen. Über 110.000 Menschen sind verletzt. Fast zwei Millionen Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Deutschland hat seine humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung seit dem 7. Oktober 2023 auf über € 300 Mio. verdreifacht. Die humanitäre Lage vor Ort ist katastrophal. Es fehlt an Essen, Trinken und Medikamenten. Dies als Genozid zu bezeichnen ist jedoch zutiefst respektlos gegenüber den jüdischen Opfern des Holocausts, die ausschließlich aufgrund ihrer Religion ermordet wurden.

 

Die Sicherheit Israels als Heimstätte für das jüdische Volk ist Teil der deutschen Staatsräson. Dies ist eine zentrale Lehre aus den deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs. "Nie wieder!" ist nicht nur auf das deutsche Staatsgebiet begrenz. Nie wieder heißt, es darf keine Welt geben, in der Jüdinnen und Juden keinen Zufluchtsort vor Antisemitismus und systematischer Gewalt finden können. Israel hat das im Völkerrecht verankerte Recht, sich und seine Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen und seine Sicherheit im Rahmen des humanitären Völkerrechts wiederherzustellen. Gleichzeitig ist nicht zu verachten, dass Israel die einzige -wenn auch nicht vollständige- Demokratie in der Region ist. Hier haben Menschen Mitbestimmung, werden nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt und können frei leben. Das gilt auch für nicht-jüdische Bürgerinnen und Bürger, die in Israel ebenfalls ihren Glauben ausleben können und die gleichen Rechte haben wie Jüdinnen und Juden. Israel ist ein wichtiger Partner vor Ort, der viele unserer Werte teilt. Damit ist ein Einsatz für Israel auch ein Einsatz für unsere demokratischen Grundwerte.

 

Die unerschütterliche Verbindung und Verantwortung Deutschlands gilt einem Israel in den Grenzen von 1967; einem Israel, das auf den Grundfesten der israelischen Unabhängigkeitserklärung und des internationalen Rechts ruht. Sie verbindet Deutschland mit allen Bürgerinnen und Bürgern Israels, ob jüdisch oder nicht-jüdisch. Deutschlands Verantwortung umfasst auch militärische Unterstützung. Deshalb hat die Bundesregierung auch nach dem 7. Oktober 2023 der Lieferung von Waffen zugestimmt.

 

Militärische Stärke allein wird Israel keinen Frieden bringen, es braucht eine politische Lösung des Konflikts. Hier ist deutlich zwischen der Politik der Regierung Netanjahu, gegen die in Israel aktiv demonstriert wird, und dem Existenzrecht Israels zu unterscheiden. Israel kann nur in Sicherheit leben, wenn auch die Palästinenserinnen und Palästinenser in Sicherheit leben. Dazu braucht es einen funktionsfähigen palästinensischen Staat. Unser Ziel bleibt die friedliche Koexistenz zweier souveräner und lebensfähiger Staaten im Rahmen einer Verhandlungslösung. Dazu gehört auch ein Stopp des völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus durch Israel in den palästinensischen Gebieten. Pläne zur Annektierung von Gebieten im Westjordanland und Gaza-Streifen lehnen wir ab. Dieser Standpunkt der deutschen Regierung zeigt sich auch im kritischen diplomatischen Umgang mit der israelischen Regierung, wie es Außenminister Johann Wadephul und Bundeskanzler Friedrich Merz gezeigt haben.

 

Aus diesem Grund fiel die Entscheidung, die Waffenlieferungen an Israel teilweise einzuschränken. Hierbei wandeln wir jedoch auf einem schmalen Grat. Jenseits völkerrechtlicher und humanitärer Aspekte müssen wir uns die Frage stellen, welches Signal diese Entscheidung sendet. Neben der Botschaft an die israelische Regierung signalisieren wir der Hamas, dass ihr bisheriges Vorgehen zu den gewünschten Ergebnissen führt. Jedoch ist die Hamas kein vertrauenswürdiger Verhandlungspartner, vor allem nicht, wenn es um eine friedliche Lösung des Konfliktes geht. Die Hamas ist eine islamfaschistische Terrororganisation, die mit mehr Macht den Brandherd Nahost erst recht weiterentfachen werden. Das sehen auch muslimische Nachbarländer wie Ägypten so, weshalb auch diese Maßnahmen wie die Seeblockade militärisch unterstützen.

 

Darüber hinaus unternimmt Deutschland große diplomatische Anstrengungen in der Region und spricht mit all seinen Partnern vor Ort. Wir tun alles, um Gesprächskanäle zu öffnen und gemeinsam mit unseren Partnern, nach Lösungen zu suchen. In diesem Zusammenhang begrüßen wir den Vorschlag der arabischen Staaten zum Wiederaufbau- und Sanierungsplan für Gaza. Der Plan zeigt einen realistischen Weg zum Wiederaufbau Gazas auf und einer raschen und nachhaltigen Verbesserung der katastrophalen Lebensbedingungen der in Gaza lebenden Palästinenserinnen und Palästinenser.

 

Die Hamas muss ihre Waffen endgültig niederlegen, damit von ihr keine Gefahr für Israel mehr ausgeht. Wir unterstützen ausdrücklich die zentrale Rolle der Palästinensischen Behörde und die Umsetzung ihrer Reformagenda. Terrororganisationen wie die Hamas benutzen die Zivilbevölkerung bewusst als Schutzschild. Damit begehen sie schwere Kriegsverbrechen und erschaffen ein unauflösbares Dilemma für Israel, das einerseits den Terrorismus bekämpfen muss, um die Bevölkerung zu schützen, und zugleich die Verpflichtung hat, Zivilistinnen und Zivilisten zu schonen.

 

Israel muss bei seinem Vorgehen gegen die Hamas und die Hisbollah die Verhältnismäßigkeit wahren. In jedem Konflikt sind die Regeln des humanitären Völkerrechts zu achten, das militärische Notwendigkeiten anerkennt, gleichzeitig aber den bestmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung aller Konfliktparteien selbst noch im bewaffneten Konflikt zum Ziel hat. Vorwürfe, nach denen humanitäres Völkerrecht verletzt oder Kriegsverbrechen begangen wurden, müssen juristische aufgearbeitet werden.

 

Zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts gehört es auch, Hilfslieferungen in den Gaza-Streifen zu ermöglichen. Die Versorgung mit Lebensmitteln sowie wichtigen medizinischen Gütern ist unabdingbar, um zusätzliches Leid unter der palästinensischen Bevölkerung zu vermeiden. Dennoch hat der israelische Staat bzw. die israelische Regierung das Recht, die LKWs, welche die Hilfsgüter in den Gaza-Streifen liefern, zu überprüfen, um eine Versorgung der Hamas mit militärischen Gefahrengut sowie die Instrumentalisierung der Hilfsgüterverteilung durch die Hamas zu verhindern. Gerade vor dem Hintergrund, dass internationale Organisationen kaum direkte Ansprechpartner im Gaza-Streifen haben, welche die Verteilung der Hilfsgüter organisieren und kontrollieren, ist eine unkontrollierte Einfuhr von Gütern nicht zielführend. Es bedarf einer unabhängigen internationalen Organisation, die nicht in die Fußstapfen der UNRWA tritt, damit faire Hilfsleistungen in Gaza bei den Zivilistinnen und Zivilisten ankommen.

 

Das Handeln der Regierung Israels ist zu kritisieren. Diese legitime Kritik darf aber in keinem Fall zum Deckmantel eines wiederaufkeimenden Antisemitismus werden.

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