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Manuela Rottmann
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Frage von Tobias B. •

Frage an Manuela Rottmann von Tobias B. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrte Frau Dr. Rottmannr,

sie sind selbst Mutter und gleichzeitig Juristin die auch das Gebot der Verhältnissmäßigkeit kennt.

Seit geraumer Zeit beschäftigen sich gerade Eltern, Lehrer, Wissenschaftler und Ärzte mit den aktuellen Erkentnissen zu der Übertragung von Corona-Viren durch Kinder.

Ich vermute Sie tun das gleiche, den Bildung ist ihnen wichtig.

Mit diesen möglichen Ansteckungswegen werden die Schließung unserer Bildungseinrichtungen und Kitas begründet. Nun lese ich u.a. im Ärtzeblatt (Quellen unten) folgende Abschnitte:

"Schon früh in der Pandemie gab es Hinweise, dass Kinder eine eher untergeordnete Rolle als Überträger von SARS-CoV-2 spielen könnten. So berichtete im Februar 2020 das Joint Mission Team der Welt­gesund­heits­organi­sation WHO nach einer Untersuchung des Ausbruchs vor Ort in China, dass keine Ansteckungen von Erwachsenen durch Kinder beobachtet wurden (14). Um diese Vermutung zu überprüfen, wurde die Übertragung in Haushaltsclustern untersucht, da im Rahmen der weltweit bestehenden Isolationsmaßnahmen die Infektionen vor allem dort stattfinden. In mehreren Studien wurde untersucht, ob Kinder als Indexpatienten in Haushaltsclustern fungieren oder ob sie durch Erwachsene infiziert werden. Interessanterweise waren in diesen Studien zusammen in nur ein Prozent (6/590 Clustern) Kinder die Indexpatienten (15, 16, 17). Die Daten zu SARS-CoV-2 unterscheiden sich damit deutlich von Daten zur Influenza: In einer Untersuchung zu Influenza H5N1 waren in 54 Prozent der Fälle Kinder die Indexperson in Haushalts-clustern (16).

Aufschlussreich ist auch eine Untersuchung aus den Niederlanden, bei welcher der altersspezifische Anteil der Übertragung von SARS-CoV-2 analysiert wurde. Hier haben erkrankte Kinder und Jugendliche keine (0/43) Kontaktperson angesteckt, bei erkrankten Erwachsen hingegen infizierten sich neun Prozent (55/611) aller Kontakte (18)."

und weiter:

"Schulschließungen sind Teil der Pandemiepläne

Schulschließungen sind spätestens seit der „Spanischen Grippe“ 1918/19 ein wesentlicher Bestandteil nichtpharmazeutischer Maßnahmen bei Pandemien und auch Teil des Nationalen Pandemieplans in Deutschland (26). Dieser ist von der Vorbereitung auf eine Influenzapandemie geprägt. Kindern kommt dabei eine große Bedeutung zu, da sie Influenzaviren häufiger als Erwachsene übertragen (27). Coronavirus-Infektionen unterscheiden sich aber in ihrer altersspezifischen Übertragung von der Influenza. So gab es während der SARS-Pandemie 2002/03 in China keine dokumentierte Übertragung in Schulen; Schulschließungen wurden in diesem Kontext entsprechend als wenig effektiv bewertet (28, 29). Nach aktuellem Kenntnisstand verhält sich die Situation bezüglich SARS-CoV-2 eher wie bei SARS-CoV-1 und nicht wie bei der Influenza."

Ist den die Verhältnissmäßigkeit, das Wohl der Kinder, das Recht auf Bildung mit den jetzigen Erkentnissen noch ausgewogen? Sind nicht (unabhängig der Digitalisierung der Schule) zu Lasten von Bildung und zu Lasten des Kindeswohls die Kindergärten geschlossen und führen so zu einer Überforderung der Familien, der Alleinerziehenden, der kinderreiche Familien?
Welches Kind kommt nicht "unter die Räder" wenn die Eltern mehrere schulpflichtige Geschwistern betreuen, Homeoffice, Unterichtsplanung, Alttagsleben und Hauswirtschaft versuchen unter einen Hut zu bringen?

Wird der Fachartikel Ihr politisches Abwägen und Ihr Handeln beeinflussen?

Mit freundlichen Grüßen
T.

Quelle

https://www.aerzteblatt.de/archiv/213829/Coronakrise-Kinder-haben-das-Recht-auf-Bildung

Coronakrise: Kinder haben das Recht auf Bildung
Dtsch Arztebl 2020; 117(19): A-990 / B-837
Schober, Tilmann; Rack-Hoch, Anita; Kern, Anna; von Both, Ulrich; Hübner, Johannes

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr B.,

herzlichen Dank für Ihre E-Mail.

Wir setzen uns für eine zeitnahe Öffnung in der Kindertagesbetreuung (unter Beachtung des Gesundheitsschutzes) ein und haben diesen Punkt in der Plenardebatte am 14.5. im Bundestag mit unserem Antrag "Rechte von Kindern in der Corona-Krise schützen" (Drucksache 19/19146) gesetzt und unsere Forderungen deutlich gemacht.
Die Reden unserer Abgeordneten Katja Dörner und Annalena Baerbock findet man hier: 

https://www.annalena-baerbock.de/rede-rechte-von-kindern-in-der-corona-krise 

https://katja-doerner.de/2020/05/14/kinderrechte-in-der-corona-krise-schuetzen/

Wir sind der Auffassung, dass bei Präventionsschutzmaßnahmen auch eine Gesamtbetrachtung notwendig ist, die auch die sozialen, gesundheitlichen und ökonomischen Wirkungen solcher Maßnahmen einbezieht. Dabei sollten die unterschiedlichen Aspekte nicht gegeneinander ausgespielt werden. Auch mangelnde Bildungschancen können zu gesundheitlichen Risiken führen. Die Studienlage bezogen auf die Bedeutung von Kindern und Jugendlichen für das Infektionsgeschehen bei SARS-CoV2 ist bislang nicht eindeutig. Der derzeitige Stand ist u.a. hier dargestellt: 

https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html

Allerdings stellt dies angesichts der Vielzahl von täglich erscheinenden Studien zu diesem Thema nur eine Momentaufnahme dar. Der Wissensstand verbessert sich stetig, so dass differenziertere und mit weniger Nebenwirkungen verbundene Präventionsmaßnahmen entwickelt werden
können. Dies war zu Beginn der Pandemie noch anders. Hier war man angewiesen auf die Erfahrungen, die bei anderen epidemischen Ereignissen gewonnen werden konnten. So zeigte eine Studie aus Hongkong während der Vogelgrippe, dass Kinder bis zu 12 Jahren für bis zu 50 Prozent der Infektionen in der Gemeinschaft "verantwortlich" waren (Joseph T. Wu, School Closure and Mitigation auf Pandemic (H1N1) 2009, Hong Kong, DOI: 10.3201/eid1603.091216). Gleichwohl sind die Effekte von Schulschließungen nicht eindeutig und inzwischen zeigt sich durch neuere Forschungen, dass die Erfahrungen bei anderen Epidemien und Pandemien nicht durchweg auf SARS-CoV2 übertragen werden können.

Viele Grüße

Manuela Rottmann

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