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Frage von Volker B. •

Frage an Lothar Binding von Volker B. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Binding,

die demnächst gültige neue Abgeltungssteuer sieht vor, dass 25% der Kapitalerträge pauschal abgeführt werden. Damit bekommen alle Steuerzahler mit einem Spitzensteuersatz von mehr als 25% eine z.T. erhebliche Ermäßigung ihrer Kapitalertragssteuer in der Höhe ihres persönlichen Spitzensteuersatzes minus 25%. Alle mit geringerem Spitzensteuersatz müssen automatisch mehr Steuern zahlen, wenn sie nicht in ihrer Steuererklärung ihre Kapitalerträge explizit erklären.

Rechnet sich diese beabsichtigte Verschiebung der Steuerbelastung von oben nach unten zumindest für den Staat, berücksichtigt man den zusätzlichen Verwaltungsaufwand? Welchen Saldo zieht unser Staat aus dieser Reform? Positiv? Negativ?

Glaubt man Äußerungen verschiedener Finanzleute in den Medien, führt die Abgeltungssteuer bereits heute zu einer verstärkten Kapital-"Flucht". Das Gegenteil der offensichtlichen Absicht der Abgeltungssteuer tritt demnach ein.

Bereits Hans Eichel ist damals mit seiner Amnestie für Kapital-"Flüchtlinge" gescheitert. Der Abgeltungssteuer steht womöglich dasselbe bevor.

Wann wird die Steuerfahndung verstärkt, die doch ein ganz ausgezeichnetes Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen kann? Und warum ist das bisher nicht schon lange geschehen? Warum setzt sich die Politik über die Empfehlungen des Bundesrechnungshofes hinweg?

Für Ihre Antwort herzlichen Dank

Volker Borm

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Sehr geehrter Herr Borm,

für Ihre Frage zur Abgeltungsteuer danke ich Ihnen recht herzlich. Bei der Beantwortung möchte ich mich auf einige Ihrer Argumente beschränken, weil sich in Ihren Fragen zwei Denkfehler verstecken.

Sie schreiben: "…erhebliche Ermäßigung ihrer Kapitalertragssteuer in der Höhe ihres persönlichen Spitzensteuersatzes minus 25%." Für Zinsen kann dies richtig sein, für Dividenden ist dies falsch. Deshalb ist Ihre Aussage falsch. Für hohe Dividendeneinnahmen steigen also die Steuern.

Sie schreiben auch: " Alle mit geringerem Spitzensteuersatz müssen automatisch mehr Steuern zahlen, wenn sie nicht in ihrer Steuererklärung ihre Kapitalerträge explizit erklären." Das bedeutet in Wahrheit – anders als Ihre Formulierung suggeriert: niemand muss mehr Steuern zahlen. Sie wird es doch nicht wundern, dass dieses geringe Einkommen in einer Erklärung nachgewiesen werden muss. Was würden Sie denn sagen, wenn wir auf eine solche Erklärung verzichten würden? Warum sollte dann überhaupt noch jemand eine Erklärung abgeben.

Nun etwas ausführlicher:
Sie unterstellen eine „beabsichtigte Verschiebung der Steuerbelastung von oben nach unten“. Dieses Argument einer Schlechterstellung von Personen, deren persönlicher Einkommensteuersatz unter 25% liegt, kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Denn Steuerpflichtige mit einem persönlichen Einkommensteuersatz unter 25% erhalten eine alternative Veranlagungsoption, um eine Mehrbelastung durch die Abgeltungssteuer vermeiden zu können. Diese Option ermöglicht es ihnen, sich zu ihrem Vorteil für eine Veranlagung ihrer Einkünfte aus Kapitalanlagen zu entscheiden. Die Einkünfte aus Kapitalanlagen werden dann weiterhin mit ihrem niedrigeren individuellen Einkommensteuersatz belastet. Als Bemessungsgrundlage dienen dabei die Bruttoerträge, die durch den Sparer-Pauschbetrag reduziert werden, der sich aus dem zusammengefassten Sparer-Freibetrag und dem Werbungskosten-Pauschbetrag zusammensetzt.

Die Abgeltungssteuer wird auch keineswegs zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand führen – weder für die Steuerverwaltung noch für Sparer, Anleger oder Aktionäre. Denn sie vereinheitlicht und vereinfacht die einkommensteuerrechtlichen Rahmenbedingungen für die Erzielung und Versteuerung von Kapitaleinkünften deutlich und gestaltet das Steuersystem dadurch transparenter.
Der § 32d EStG führt eine Abgeltungssteuer auf Einkünfte aus unterschiedlichen Kapitalanlageformen mit einem einheitlichen Steuersatz von 25% zuzüglich Solidaritäts-zuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer ein. Sie erfasst dabei unterschiedliche Einkommensarten: Einkünfte aus Kapitalvermögen, insbesondere Zinserträge aus Geldeinlagen bei Kreditinstituten, Erträge aus Investmentfonds, Zertifikatserträge, Dividenden sowie private Veräußerungsgewinne aus dem Verkauf von Wertpapieren, Investmentanteilen und Beteiligungen an Kapitalgesellschaften. Gegenüber dem geltenden Status Quo mit individueller Veranlagung in der Einkommensteuer, der Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens bei Dividendeneinkünften oder der Bindung der steuerfreien Vereinnahmung von Veräußerungsgewinnen an die Einhaltung einer einjährigen Behaltefrist wird das Steuersystem deutlich einfacher und übersichtlicher.

Von dieser Vereinfachung profitieren insbesondere Privathaushalte, die sich damit einen besseren Überblick über die gesetzlichen Rahmenbedingungen ihrer persönlichen Vermögensverhältnisse verschaffen können. Auch beim Verwaltungsvollzug sorgt die Ausgestaltung als Quellensteuer für spürbare Vereinfachungen. Die kontoführenden Banken werden verpflichtet, die anfallenden Steuermodalitäten zu erledigen, und führen die Steuerschuld künftig für jeden Kunden anonym an das Finanzamt ab. Mit dem Steuerabzug ist die Einkommensteuer des Gläubigers dann grundsätzlich abgegolten, er muss seine Einkünfte aus Kapitalanlageformen künftig nicht mehr in seiner Einkommensteuererklärung ausweisen.

Die Besteuerung von Dividenden mit dem Abgeltungssteuersatz von 25 % führt auch nicht grundsätzlich zu einer finanziellen Schlechterstellung von Aktionären. Dies verdeutlicht eine Gesamtbetrachtung der geplanten Belastungen beim Anteilseigner und beim Unternehmen. Durch den Wegfall des bisher bei der Dividendenbesteuerung angewandten Halbeinkünfte- verfahrens kommt es zwar beim Anteilseigner zunächst zu einer höheren Belastung. Zugleich wird aber mit der Unternehmensteuerreform die Steuerbelastung auf Unternehmensebene deutlich abgesenkt. Der Anteilseigner kann deshalb zum einen durch die zu erwartenden höheren Ausschüttungen und zum anderen durch damit verbundene Kursgewinne profitieren.

Diese steuerrechtlichen Umstellungen erzeugen bei Verbraucherinnen und Verbrauchern Informations- und Beratungsbedarf, um gegebenenfalls Anpassungen des eigenen Vermögensportfolios vorzunehmen. Diesem Bedarf tragen wir gerne Rechnung und führen die Abgeltungsteuer deshalb erst zu Beginn des kommenden Jahres ein. Dadurch wollen wir Verbraucherinteressen schützen, seriöse Beratung ermöglichen und vermeiden, dass es aus Unkenntnis zu voreiligen, schlimmstenfalls sogar schädlichen, vermögensrelevanten Entscheidungen kommt.

Im Sinne des Vertrauens- und Verbraucherschutzes und der Einhaltung der Vertragskonditionen zum Zeitpunkt des Abschlusses gilt deshalb für laufende Kapitalanlageverträge Bestandsschutz. Die Neuregelung der Besteuerung für Kursgewinne gilt nur für nach dem 31. Dezember 2008 erworbene Kapitalanlagen, sog. Neufälle. Für die vor diesem Zeitpunkt getätigten Kapitalanlagen gilt somit das alte Recht fort, das eine Besteuerung der realisierten Kursgewinne nur innerhalb der Haltefrist vorsieht.

Leider wird dieses großzügige Zeitfenster oft ausgenutzt, wie Sie das in Ihrem Schreiben unter dem Stichwort „Kapital- Flucht“ auch andeuten. Ich bin enttäuscht darüber, dass eine zeitliche Regelung, die den berechtigten Beratungsbedarf von privaten und institutionellen Anlegern schützen soll und ihnen die Möglichkeit der Anpassung ihrer Portfolios einräumt, missbraucht wird, um Vermögensbestände und Einkünfte dem deutschen Fiskus – und damit auch allen steuerehrlichen Bürgern und Unternehmen – zu entziehen. Diese Maximierung des individuellen Eigennutzes widerspricht meinem Verständnis einer solidarischen Verantwortung für unser Gemeinwesen. Denn je mehr Menschen sich der Finanzierung der staatlichen Haushalte entziehen, desto stärker werden diejenigen belastet, die ihre Steuerschuld ehrlich begleichen – und das ist die überwiegende Mehrheit. Das Fehlverhalten einzelner Steuerpflichtiger und ihrer Finanzberater verfremdet unseren Ansatz, mit einer zeitlichen Streckung der Einführung der Abgeltungsteuer eine Regelung zu finden, die als Voraussetzung und Grundlage einer eigenständigen und eigenverantwortlichen privaten Vermögensgestaltung dienen kann.

Eine unserer Zielsetzung war es, den Kapitalabfluss ins Ausland deutlich zu verringern und das Steueraufkommen in Deutschland zu stabilisieren. Die Abgeltungsteuer knüpft damit systematisch an die Unternehmensteuerreform 2008 an und führt das darin angelegte Leitmotiv fort – die gleichzeitige Verfolgung der drei Ziele:

- Vereinfachung der steuerlichen Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Handeln von Privatpersonen und Unternehmen;
- Stabilisierung der Einnahmenbasis der Haushalte von Bund, Länder und Kommunen;
- Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.

Diese Maßnahmen sind kein Selbstzweck oder steuerpolitische Willkür, denn der Staat – Bund, Länder und Kommunen – ist zur Erfüllung seiner Aufgaben wie soziale Absicherung, Forschung und Bildung, Infrastruktur- oder Familienpolitik auf eine solide Einnahmebasis angewiesen.

Eine solide Einnahmebasis ruht ihrerseits auf der moralischen Grundlage der Steuerehrlichkeit angewiesen. Vor diesem Hintergrund wirft das Phänomen der Kapitalflucht und der Steuergestaltung auch ein erhellendes Licht auf die häufig geäußerte Forderung nach einer radikalen Vereinfachung unseres Steuersystems. Denn die Abgeltungsteuer stellt zweifellos eine einkommensteuerrechtliche Vereinheitlichung und Vereinfachung dar – und trotzdem werden Einkünfte dem berechtigten Zugriff des Fiskus mit legalen und illegalen Mitteln entzogen und ins Ausland transferiert. Das Argument „Je einfacher das Steuersystem, desto höher die Steuerehrlichkeit“ stimmt also offensichtlich nicht. Es lässt sich am Beispiel der Abgeltungsteuer weder empirisch belegen noch argumentativ begründen.

Auch ich wünsche mir ein einfaches Steuersystem mit klaren, transparenten und nachvollziehbaren Besteuerungsregelungen, das von allen Steuerpflichtigen unterstützt wird und das zudem auch ausreichend Steuereinnahmen zur Finanzierung aller Staatsaufgaben generiert. Plausibler ist nach meinen Erfahrungen allerdings leider die Beobachtung, dass Einfachheit und Gerechtigkeit eines Steuersystems zwei Zielgrößen sind, die sich nur selten zur gleichen Zeit erreichen lassen. Ein Steuersystem, das gerade durch seine Vereinfachung insbesondere die steuerehrlichen Bürger und Unternehmen stärker belastet, hat sogar ein ernstes Gerechtigkeitsdefizit.

Gerade um die Steuerehrlichkeit zu fördern und zu schützen, brauchen wir daher eine leistungsfähige und effiziente Steuerfahndung. Ihre Organisation und personelle Ausstattung fällt in den Kompetenzbereich der Bundesländer. Leider messen dabei nicht alle Länder dieser Aufgabe einen gleich hohen Stellenwert bei.

Ich halte es deshalb für sinnvoll, gemeinsam mit den Bundesländern und den Mitgliedstaaten der EU über Lösungen nachzudenken, die die Möglichkeiten der Kapitalflucht, der Steuergestaltung und des -betrugs wirksam einschränken. Die langen und komplizierten Gespräche zeigen, dass die Interessen hierbei deutlich unterschiedlich gelagert sind.

In der Hoffnung, Ihre Argumente konstruktiv aufgegriffen zu haben, verbleibe ich

mit freundlichem Gruß, Lothar Binding