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Lothar Binding
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Frage von Christian S. •

Frage an Lothar Binding von Christian S. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben

Sehr geehrter Herr Binding,

ich hätte gerne Ihre Meinung als Steuerfachmann gehört zu den Plänen von Frau Merkel, Herrn Kirchhof im Falle eines CDU-Sieges zum Finanzminister zu machen. Als Heidelberger ist Ihnen Kirchhof ja sicher gut bekannt, sein Steuermodell sowieso.

Meine eigentliche Frage: Führt nicht die verlockende Vereinfachung (nur noch ein Steuersatz, Streichung sämtlicher Vergünstigungen etc.) dazu, dass das Steuersystem der komplexen Realität nicht mehr gerecht wird? Ist hier einfacher wirklich gerechter? Hat man das mal für einen Schichtarbeiter durchgerechnet (Stichwort Nachtzuschläge/Entfernungspauschale)?

Vielleicht können Sie etwas Licht ins Steuer-Dunkel bringen!

Danke und freundliche Grüße
Christian Stiebahl

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Stiebahl,

vielen Dank für Ihre beiden Fragen:

Zu Ihrer ersten Frage: Wissenschafter als Finanzminister:

Zusammenfassung meiner ersten Antwort: Wenn wir die Lust an der Selbstdarstellung abziehen ist dies im konkreten Fall ein schwieriges Unterfangen.

Dass Angela Merkel jemanden in ihr Konferenzteam beruft, der offen gegen ihre fest geplante Mehrwertsteuererhöhung eintritt, seit einigen Tagen muss ich sagen: eintrat, vielleicht wieder eintritt oder nicht eintritt, ist ein weiterer Beleg für Unentschlossenheit und Uneinigkeit in der Union.

In Übereinstimmung mit der Fachwelt sind starke Zweifel an den Steuervorschlägen
Kirchhofs angebracht. Sie sind ein schönes wissenschaftliches Experiment, eine
akademische Argumentationsübung an der auch ich auch gern teilgenommen habe.

Seine Vorschläge sind aber nicht praxistauglich. Kirchhofs Steuermodell klingt
wegen der totalen Abschaffung von Schlupflöchern verlockend, es ist aber sozial ungerecht, hilft den hoch Verdienenden, schadet den weniger Verdienenden. Wegen
dieser Ungerechtigkeiten bin auch ich gegen dieses Modell. Aber verstehen Sie
mich richtig. Die Überlegungen von Kirchhof sind gleichwohl wertvoll. Sie haben
den Strauss der gegenwärtig in Fachkreisen diskutierten Modelle um ein wichtiges
Element erweitert und damit die Diskussion bereichert.

Mit seinen neuerlichen Forderungen, nein besser: Versprechungen, die Steuererklärung in 10 Minuten zu erstellen, hat Prof. Kirchhof auch ein wenig deutlich gemacht, dass ihm während seiner wissenschaftlichen Arbeit in den vergangenen Jahren nur wenig Zeit für die Beobachtung der Wirklichkeit geblieben ist. Für die Fälle, für die er solche Überlegungen anstellt, gibt es diese vereinfachte Steuererklärung schon. In Ergänzung mit den elektronischen Möglichkeiten, gibt "ELSTER", die "Elektronische Steuererklärung" allen, die auch die Erklärungsvordrucke auf Papier ohne weitergehende Hilfe ausfüllen
können, solche guten Möglichkeiten.

Nachfolgend einige wichtige Funktionen des elektronischen "ElsterFormulars":
- komfortable Eingabe anhand der gewohnten Formularoberfläche,
- Hilfefunktion im Umfang der amtlichen Anleitung,
- Steuerberechnung,
- Plausibilitätsprüfungen, für eine reibungslose Bearbeitung beim Finanzamt,
- elektronische Bescheiddatenabholung und -darstellung,
- Vergleichsfunktion mit der die Erklärungsdaten und die Daten des Steuerbescheids auf unzulässige Abweichungen hin überprüft werden können,
- etc.

ElsterFormular unterstützt außerdem:
- die Umsatzsteuererklärung,
- die Gewerbesteuererklärung,
- die Umsatzsteuer-Voranmeldung,
- sowie die Lohnsteuer-Anmeldung.

Sie sehen die vielen Möglichkeiten einer einfachen, schon heute möglichen, Steuererklärung für Arbeitnehmer, die keine sonstigen Kapitaleinkünfte etc. haben. Gleichwohl, für viele bleibt es kompliziert, weil ihrer Lebenswirklichkeit kompliziert ist. Meine Erfahrung ist, dass die Forderung nach einer einfachen Erklärung mit den Möglichkeiten dies dann auch in die Realität umzusetzen nicht gut zusammenpasst. Wir dürfen sehr gespannt sein, welche Formblätter Prof. Kirchhof vorschlägt - auch wenn er nicht Minister wird.

Ich möchte auf eine ausführliche Beurteilung aller Finanzminister des Bundes und
der Länder hinweisen. Schon im Februar 2004 haben die Finanzminister aller Länder bzw. die Leitungen der Steuerfachabteilungen, unabhängig davon ob SPD, CDU, CSU oder FDP, dieses Steuermodell als absolut unfinanzierbar einstimmig abgelehnt. Es ist interessant, dass dieselben Menschen aus CDU und CSU sich nun anschicken dieses Modell mit seinen negativen Umverteilungswirkungen als ein Element ihrer Politik zu akzeptieren. Schon damals wurde die fehlende Berücksichtung des Außensteuerrechts in diesem Modell festgestellt.

Auch die Senkung des Spitzensteuersatzes auf 25%, wie bei Kirchhof vorgesehen
führt zu der Frage, wer die Wirkungen dieser Senkung auf den Realsteuersatz eigentlich bezahlen soll". Das hat sich Prof. Kirchhof bisher nicht überlegt.
Hier ergäbe sich eine weitere Finanzierungslücke im Wahlkampfprogramm der CDU
von einem zweistelligen Milliardenbetrag.

Zu Ihrer zweiten Frage: Verlockende Vereinfachung wirklich gerechter?

Zusammenfassung meiner zweiten Antwort: Nein, Vereinfachung führt im konkreten
Fall zu mehr Ungerechtigkeit oder an anderer Stelle zu mehr Kompliziertheit.

An einem Beispiel möchte ich zeigen wie ich die Problemlage sehe: Aus steuersystematischen Gründen bin ich auch dafür alle(!) steuerlichen
Sondertatbestände abzuschaffen. Das klingt gut, ist gesetzestechnisch einfach zu
machen. Das geht aber einerseits leider nur langsam, weil in vielen Fällen
Rechtsansprüche wirken, die sich nicht mit einem Stichtag fallbeilartig abschneiden lassen. Andererseits haben manche Steuervergünstigungen ihre soziale
Bedeutung, sind ein Moment von Gerechtigkeit.

Nehmen wir Ihr Beispiel der steuerbegünstigten Nachtzuschläge. Prof.Kirchhof
sagt, dass der Ausgleich für besondere Belastungen durch Nachtarbeit keine Aufgabe der Steuerpolitik sei, sondern der Tarifpolitik, der Tarifparteien, derjenigen, die diese besondere Leistung Nacharbeit bestellen und also auch bezahlen müssen. Das stimmt auch. Aber nun daraus abzuleiten, den steuerlichen Ausgleich zu streichen, bevor(!) ein entsprechender tariflicher Ausgleich geschaffen wurde, halte ich für ungerecht. Außerdem ist zu fragen wie solche tariflichen Änderungen für die Zukunft gesichert werden können und wie sich die öffentliche Hand in solchen Fragen verhält, wenn es im Haushalt eng wird.

Es ist auch nicht immer so, dass private Arbeitgeber Nachtarbeit nachfragen, z.B. wegen längerer Maschinenlaufzeiten, Drei-Schichtbetrieb etc. - oft wird Nachtarbeit in öffentlichem Interesse geleistet. Insbesondere in Krankenhäusern,
bei der Feuerwehr, der Polizei...

Die radikalen Vereinfachungen Kirchhofs würden also zu großen Ungerechtigkeiten
führen und müssten deshalb an anderer Stelle mit komplizierten Regelungen erkauft werden - ohne in die Tarifautonomie einzugreifen. Die Erklärung, wie das
in der Realität funktionieren soll ist Prof. Kirchhof schuldig geblieben.

Mit der Hoffnung, dass Ihnen diese Antworten gute Einblicke in meine Einschätzungen geben und dass Sie weitere Hinweise auf meiner website www.Lothar-Binding.de finden,
verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,
Ihr Lothar Binding (Heidelberg)