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Frage von Valentin Luca H. •

Frage an Lothar Binding von Valentin Luca H. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Binding,

Ich schreibe eine Projektarbeit zum Thema Meinungsfreiheit und mich würde ihre Meinung zu ein paar Fragen interessieren:

- Wo sehen Sie die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland?

- Finden Sie, dass Kritik an religiösen Figuren gleich zu setzen ist mit Kritik an weltlichen Figuren, bezogen auf die Meinungsfreiheit (Mohammed-Karikaturen, Emmanuel Macron)?

- Fühlen Sie sich in Ihrer Tätigkeit als Abgeordneter des Deutschen Bundestages in Ihrer Meinung eingeschränkt?

Ich würde mich sehr über Ihre Antwort freuen.

Mit freundlich Grüßen
Valentin Hübner

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr H.,

vielen Dank für Ihre Fragen.

Meinungsfreiheit – wahrscheinlich ist es geschickt Meinungsäußerungsfreiheit zu sagen, denn eine nicht geäußerte Meinung stößt ja höchstens an die Grenzen des eigenen Denkens. In Anlehnung an das übliche Verständnis verwende ich nachfolgend auch einfach Meinungsfreiheit.

Bei den Vereinten Nationen findet sich die Meinungsfreiheit in Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: „Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfasst die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“

Die Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht und wird in vielen Verfassungen als Grundrecht garantiert. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verhindert, dass die öffentliche Meinungsbildung in ihrer Wechselwirkung mit Parlament und Regierung gestört wird. Der Feind der Meinungsfreiheit ist die Zensur. In einer Demokratie darf es keine Zensur geben, in Diktaturen ist sie regelmäßig zu finden.

Freiheit wie Meinungsfreiheit enden für mich dort, wo sie die gleichen Freiheitsrechte des anderen Menschen berühren. Ich will nicht diskriminiert, beleidigt oder verleumdet werden und dort endet auch meine Meinungsfreiheit – und wenn jemand diese Meinung gleichwohl hat, ist es nicht erlaubt sie zu äußern, weil damit die Freiheit anderer verletzt wird. Zusätzlich gibt es bei uns (wie auch anderen Ländern) den Straftatbestand der Holocaustleugnung. Meinungsfreiheit deckt also nicht die Verharmlosung oder gar das Abstreiten des nationalsozialistischen Völkermords und ist an dieser Stelle ebenfalls eingeschränkt.

Eine gute Übersicht, wie sich Meinungsfreiheit definiert, auf was sie zurückgeht und wo sie begrenzt ist, finden Sie zum Beispiel auch hier:

https://www.bpb.de/apuz/306444/meinungsfreiheit-und-ihre-grenzen

Kritik ist Lob und Tadel. Mit Lob, positiver oder konstruktiver Kritik kommen wir besser zurecht und können viel vertragen... bei negativer oder destruktiver Kritik werden wir schnell empfindlich und es genügt schon wenig davon, um unsere Toleranzfähigkeiten zu überfordern.

Für mich sind die Religionen, etwa Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Judentum, Islam oder auch Shintō, Sikhismus, Bahaitum, Jainismus verschiedene Weltanschauungen. Leider werden diese Weltanschauungen bei vielen nicht verstanden als unterschiedliche Sicht auf die Welt, weil wir alle verschieden sind, häufig beruhen sie auf Glaubensgrundsätzen, auf dem Glauben an überirdische Mächte, unverstandene Kräfte, an transzendentale Einflussfaktoren. In der Geschichte können wir sehen, dass es schon viele Kriege allein deshalb gab, weil die eine Seite ihren Glauben als den richtigen und wahren gegen die andere Seite mit dem falschen und unrichtigen Glauben zu verteidigen glauben musste oder auch ihren Glauben in weitere Regionen der Welt verbreiten wollte. So standen sich zwei verschiedene Formen des Nicht-Wissens feindlich gegenüber und jede Seite bestand, besteht oft noch heute, darauf, dass die eigene Form des Nichtwissens die wahre Form sei. Da wir mit Nicht-Wissen so schwer umgehen können, im Nichtwissen auch nichts sicher ist, kein Beweis in unserer Rationalität funktioniert, macht Nichtwissen unsicher. In dieser Unsicherheit rufen wir nach Sicherheit, nach einem Anker... und verteidigen unseren Glauben als unumstößliches Wissen. Wer diesen Anker lichten will, wer den Glauben anzweifelt, wer auf diese Weise am Fundament kratzt, verunsichert, ruft schnell fanatische Gefühle auf den Plan und so wie es schon schreckliche Kriege gab, gibt es heute fanatische Angriffe einzelner oder kleiner Gruppen, in der Selbstwahrnehmung, Verteidigung des eigenen und einzig wahren Glaubens.

Erst auf dieser Grundlage gibt es für mich den Unterschied zwischen "religiösen Figuren" und "weltlichen Figuren". Da ein Staat aber für alle Menschen mit und ohne glauben an einen Glauben, da sein soll, kann der Staat zwischen "religiösen Figuren" und "weltlichen Figuren" nicht unterscheiden. Theoretisch.

Da aber die verschiedenen Glaubensrichtungen, manchmal auch Glaube und Nichtglaube, sich einer rationalen Betrachtung entziehen, müssen wir berücksichtigen, dass eine bestimmte Sprache, eine bestimmte Betrachtung von Symbolen sehr schnell als Diskriminierung, Beleidigung oder Verleumdung empfunden werden. Inwieweit solche Empfindungen allgemein respektiert werden, ist sicher ein ständiger und niemals abgeschlossener gesellschaftlicher Aushandlungsprozess. Von Kritik an religiösen Figuren fühlen sich manche Menschen besonders attackiert - in extremen Fällen greifen diese Menschen dann zu Gewalt wie beispielsweise bei der Attacke auf Charlie Hebdo. Häufig erscheint mir dabei die Festigkeit des eigenen Glauben nicht sehr stark, wenn die Zeichnung einer religiösen Figur solchen Hass auslöst. Sehr häufig wird dieser starke, eigentlich aber schwache Glaube auch noch von Demagogen wie dem türkischen Präsidenten missbraucht, indem diese sich als Beschützer des jeweiligen Glaubens aufspielen und mit teils falschen Behauptungen und einem Ansprechen der mit dem Glauben verknüpften heftigen Emotionen ein Feindbild aufbauen.

Allerdings gibt es einen Raum, der uns erlaubt zu sagen, was man zu bestimmten Zeiten dieses Aushandlungsprozesses nicht sagen dürfte. Das ist der Raum der Satire. Satire ist auch ein kultureller Spiegel und hinterfragt das scheinbar Selbstverständliche. Wird ein Glaube so fanatisch verteidigt und jeder Restzweifel im Nichtwissen so fest geleugnet, dass dieser Glaube selbst satirisch nicht mehr hinterfragt werden darf, würde mit dieser Festsetzung die Meinungsfreiheit aller nicht an diesen Glauben Glaubenden stärker eingeschränkt als es die Gläubigen für sich in Anspruch nehmen.
Dann wäre mein Grundsatz "Freiheit endet dort, wo die Freiheit des anderen Menschen beginnt" verletzt.

Ich fühle mich in meiner "Tätigkeit als Abgeordneter des Deutschen Bundestages" in meiner Meinung nicht eingeschränkt. Im Gegenteil können wir seit dem Einzug der AfD feststellen, dass die Meinungsfreiheit bei uns im Parlament in Redebeiträgen missbraucht wird, um zu hetzen und zu spalten. Dabei wenden rechtspopulistische und -radikale Menschen gerne einen Trick an: Sie behaupten etwas, von dem sie genau wissen, dass es auf heftigen Widerspruch stoßen wird, weil es gegen jeden Anstand geht - zum Beispiel, wenn die Fraktionsvorsitzende der AfD von "alimentierten Messermännern" spricht. Dem erwarteten Widerspruch begegnen sie dann wiederum mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit ("das wird man ja noch sagen dürfen") oder beklagen sich, es gäbe eine Meinungsdiktatur und die Meinungsfreiheit in Deutschland sei eingeschränkt. Dabei werden dann gleich zwei Ziele verfolgt: einerseits lässt sich so gegen Geflüchtete, Menschen mit Migrationshintergrund etc. hetzen, der politische und gesellschaftliche Diskurs nach rechts verschieben und andererseits kann man sich wunderbar als Opfer inszenieren und das Narrativ von "Wir gegen die da oben" bedienen.

Viele Grüße und viel Erfolg für Ihre Arbeit, Ihr Lothar Binding