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Lothar Binding
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Frage von Wolfgang S. •

Frage an Lothar Binding von Wolfgang S. bezüglich Verkehr

guten tag,

wie halten sie es denn mit der bahnprivatisierung?
Sind sie dafür oder dagegen?
wenn sie dagegen sind, was werden sie tun?

hinterher sagen: ich war zwar dagegen, leider befand ich mich in einer minderheitenposition auch in meiner partei?

mit freundlichen grüßen,
wolfgang scheurer

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Scheurer,

vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Privatisierung der Deutschen Bahn AG. Sie sprechen ein
sehr wichtiges Thema an, dass die Bereiche Verkehrspolitik als auch Haushaltspolitik betrifft. Nebenbei erwähnt sei auch, dass außer mir viele meiner Kolleginnen und Kollegen als Nutzer der Deutschen Bahn von diesen Entscheidungen betroffen sind. Dieses Thema wird seit einigen Monaten intensiv diskutiert – es gibt aber auch Vorentscheidungen und Vorfestlegungen.

Bevor ich Ihre Frage im Einzelnen reflektiere möchte ich auf eine Ihrer Formulierungen eingehen, die auf ein Demokratieverständnis hindeutet, das ich nicht teile: Sie schreiben: „hinterher sagen: ich war zwar dagegen, leider befand ich mich in einer Minderheitenposition…“. Leider kann es genau so kommen. Und dann ärgere ich mich. Aber ich bin Demokrat genug, solche Entscheidungen zu akzeptieren – so – wie ich z.B. verlange, dass andere, die den Atomausstieg als Minderheit ablehnen, akzeptieren müssen – solange es demokratisch zugeht – dass wir in Deutschland Atomkraftwerke nach und nach vollzählig abschalten. Aber nun zu Ihrer Frage im Einzelnen:

Meine Fraktionskollegin und Haushaltpolitikerin Petra Merkel hat sachkundige Überlegungen und Argumente zu diesem Thema zusammenzutragen, auf die ich bei meinen folgenden Ausführungen zurückgreifen werde. Die haushaltspolitischen Experten der Fraktionen von CDU/CSU und SPD haben im Juni 2006 Eckpunkte zum Börsengang festgelegt, die ebenso wie die Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes (Drucksachennummer 16/840) und das Positionspapier „Privatisierungsvarianten der DB AG“ in meine weiteren Überlegungen einfließen.

An den Beginn meiner Ausführungen stelle ich die Festlegungen, die das Grundgesetz und der Koalitionsvertrag vorgeben. Art. 87e Abs. 3 GG ermöglicht die Privatisierung von Teilen der DB AG mit Einschränkungen und legt den grundgesetzlichen Handlungsrahmen fest.

„Eisenbahnen des Bundes werden als Wirtschaftsunternehmen in privat- rechtlicher Form geführt. Diese stehen im Eigentum des Bundes, soweit die Tätigkeit des Wirtschaftsunternehmens den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen umfasst. Die Veräußerung von Anteilen des Bundes an Unternehmen nach Satz 2 erfolgt auf Grund eines Gesetzes; die Mehrheit der Anteile an diesem Unternehmen verbleibt beim Bund. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.“

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD ist folgende Vereinbarung getroffen:

„Der Bund unterstützt die Deutsche Bahn AG bei der Fortsetzung ihres Konsolidierungskurses, um deren Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit sowie deren Kundenfreundlichkeit stärken zu helfen. Dabei geht es besonders um Wachstum im Schienenverkehr. Der diskriminierungsfreie Netzzugang für die Wettbewerber der Bahn wird gewährleistet. Die Bahnreform wird fortgeführt. Die weiteren Schritte der Bahnreform und die Gestaltung des Börsengangs werden in Auswertung des dem Bundestag vorzulegenden Gutachtens unter Beteiligung der zuständigen Parlamentsausschüsse entschieden. Neben Kapitalmarktgesichtspunkten müssen in die Betrachtung verkehrs-, finanz-, haushaltspolitische, volkswirtschaftliche und auch ordnungspolitische Gesichtspunkte mit einfließen. Dabei sind auch europarechtliche Aspekte und der Infrastrukturauftrag des Bundes zu berücksichtigen.“

Vor diesem Hintergrund haben die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD einen Entschließungsantrag zum Einzelplan 12 des Haushaltsgesetzes 2007 für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vorgelegt. Dieser Antrag mit der Drucksachennummer 16/3493 sieht vor, dass der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung einen Gesetzentwurf vorlegt. Dieses Gesetz soll die Modalitäten einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG beinhalten und dabei unterschiedliche Zielsetzungen berücksichtigen, die ebenfalls in dem vorliegenden Entschließungsantrag enthalten sind.

Mit dem uns vorliegenden Entwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes und dem Kabinettsbeschluss beginnen die ersten Beratungen nach der parlamentarischen Sommerpause im September.

Zu dem oben genannten Entschließungsantrag habe ich zusammen mit anderen Abgeordneten nach §31 der Geschäftsordnung des Bundestages eine Erklärung abgegeben, aus der ich nachfolgend zitiere, um Ihnen meine Position zu erläutern.

Sie finden diese Erklärung im Plenarprotokoll 16/68 – Stenografischer Bericht zur 68. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 24. November 2006.

„Wir können diesem Antrag der Regierungsfraktionen nicht zustimmen, da die Zielsetzungen, die dem Antrag zufolge einem Privatisierungsgesetz zugrunde gelegt werden sollen, zu ungenau definiert und nach unserem Rechtsverständnis widersprüchlich sind. Unabhängig davon sind wir der Auffassung, dass dem vorliegenden Entschließungsantrag lediglich der Charakter eines Prüfauftrages an die Bundesregierung zukommen darf. Die grundsätzliche Entscheidung über eine Privatisierung der Deutschen Bahn AG kann durch die heutige Abstimmung des Deutschen Bundestages nicht vorweggenommen werden. Vielmehr interpretieren wir den Antrag dahin gehend, dass die Bundesregierung durch ihn aufgefordert wird, durch die Erarbeitung eines Privatisierungsgesetzes zu prüfen, ob die in dem Antrag enthaltenen Zielsetzungen juristisch miteinander in Einklang gebracht werden könnten.

Nach unserem Rechtsverständnis sind diese Zielsetzungen jedoch inhaltlich widersprüchlich und nicht miteinander vereinbar. Die unter den Punkten I.2, I.3, I.4 und I.5 des Entschließungsantrags formulierten Ziele sehen einerseits vor, dass der Bund Eigentümer der Schieneninfrastruktur bleiben soll, die aber andererseits von der Deutschen Bahn AG bilanziert werden würde. Es scheint, dass diese Vorgaben rechtlich nicht zufrieden stellend umsetzbar sind. Wir haben die Befürchtung, dass die unmittelbaren Eigentumsrechte des Bundes mit den entsprechenden politischen Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten auf die Entwicklung und Bewirtschaftung der Schieneninfrastruktur im Falle einer Bilanzierung dieser Schieneninfrastruktur sowie der Bahnhöfe und weiterer Immobilien bei der Deutschen Bahn AG so erheblich beschnitten werden würden, dass sich die beim Bund verbleibenden Eigentumsrechte nicht mit dem grundgesetzlichen Infrastrukturauftrag nach Art. 87 e unseres Grundgesetz vereinbaren ließen. Eine Bilanzierung der Schieneninfrastruktur bei der Deutschen Bahn AG scheint einer Sicherung des staatlichen Eigentums an der Eisenbahninfrastruktur sowie der staatlichen Verantwortung für die flächendeckende Gewährleistung derselben entgegenzustehen und könnte dann auch nicht den verkehrlichen Zielen der Bahnreform von 1994 gerecht werden.“

Meine Erklärung beruht auf der Prüfung, welche Risiken sich aus dem Börsengang der Deutschen Bahn AG mittel- und langfristig unter dem Druck von Aktiendividenden auf Personalentwicklung, Investitions- und Fusionsentscheidung ergeben. Außerdem habe ich die haushaltspolitischen Risiken des Bundes und die Sicherung der Arbeitnehmerrechte berücksichtigt.

Grundsätzlich unterstütze ich die Zielsetzung, auf die materielle Privatisierung der Eisenbahninfrastruktur zu verzichten und diese vor einer Kapitalprivatisierung ins Eigentum des Bundes zu überführen. Denn ich betrachte die Errichtung und Instandhaltung der Schieneninfrastruktur sowie die Aufrechterhaltung eines adäquaten öffentlichen Verkehrsangebotes als Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die fast ausschließlich durch den Steuerzahler finanzierte Schieneninfrastruktur dient auch der Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Dieses muss durch eine Bereitstellung öffentlicher Mittel als Bekenntnis zur uneingeschränkten staatlichen Infrastrukturverantwortung des Bundes weiterhin garantiert werden. Juristische Risiken für die eigentümerrechtliche Position des Bundes müssen per Gesetz ausgeschlossen werden. Somit kann klargestellt werden, dass die in Jahrzehnten aus Steuermitteln aufgebaute Eisenbahninfrastruktur als Volksvermögen erhalten bleibt.

Außerdem bestünde für die Deutsche Bahn AG der nachvollziehbare Anreiz, nur dort in die Infrastruktur zu investieren, wo auch Unternehmen fahren, an denen die Bahn beteiligt ist. Andere Bahnunternehmen und Aufgabenträger wären dann dem Risiko ausgesetzt, dass hinsichtlich der Qualitäts- und Sicherheitsstandards nicht mehr objektiv verkehrspolitisch, sondern kapitalmarkt- und renditeorientiert entschieden würde. Diesem Anreiz können wir vorbeugen durch den Verzicht auf die Privatisierung der Eisenbahninfrastruktur.

Das Vorhaben zielt weiterhin darauf ab, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern und günstige Voraussetzungen für mehr Wettbewerb zu schaffen. Durch die Modernisierung und den Ausbau der Infrastruktur durch Bund und DB AG werden Bahnunternehmen ermutigt, schon bestehende Verkehre auszuweiten und neue Angebote zu entwickeln, weil sie sich auf einen diskriminierungsfreien Netzzugang und fairen Wettbewerb verlassen können. Zu diesem Zweck werden auch die Regulierungsinstrumente der Bundesnetzagentur entsprechend den vorliegenden Erfahrungen fortentwickelt.

Der Personen- und Gütertransport und insbesondere die globale Logistik sind hingegen wirtschaftliche Unternehmungen – keine staatlichen Aufgaben. Der Staat sollte sich hier aus prinzipiellen Erwägungen zurückziehen, damit der Steuerzahler über die Daseinsvorsorge hinaus nicht in Haftung genommen wird. Eine Veräußerung an Private scheint mir in diesem Bereich sinnvoll.

Wichtig ist mir dabei die Sicherung von Arbeitnehmerrechten. Deshalb plädiere ich dafür, zur Absicherung der 230.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Beschäftigungsgarantien und das Instrumentarium eines konzerninternen Arbeitsmarktes auch bei unternehmensrechtlicher Trennung beizubehalten. Ich schließe mich dabei der Argumentation des federführenden Verkehrsausschusses an, der die Bundesregierung in seinem Entschließungsantrag auffordert, den Bahnvorstand zu einer Bestandsgarantie des Beschäftigungssicherungstarifvertrages bis 2010 anzuhalten und einer möglichen Kündigung dieses Vertrages vor 2007 entgegenzuwirken. Der Ausschuss hat zugleich angekündigt, seine Zustimmung zu einem Gesetzesentwurf der Regierung nur dann zu erteilen, wenn die Entscheidung über die Kapitalprivatisierung der DB AG mit Ziel der Beschäftigungssicherung vereinbar sei. Bahnvorstand und Gewerkschaften können jetzt entsprechende Vereinbarungen abschließen.

Die folgenden Aspekte sehe ich im Entschließungsantrag des Verkehrsausschusses zu wenig berücksichtigt.

Die Verschuldung der DB AG darf meines Erachtens nicht weiter erhöht werden.
Nachdem die damalige Bundesbahn im Zuge der Bahnreform seitens des Bundes nahezu komplett entschuldet worden ist, muss festgestellt werden, dass die DB AG neue Verbindlichkeiten von rd. 25 Mrd. Euro aufgebaut hat. Die Eigenkapitalquote ist auf den erschreckenden Wert von unter 15% gesunken. Das bedeutet, dass der Bundeshaushalt für die Risiken der Expansionspolitik des DB- Konzerns haftet. Deshalb muss festgestellt werden, dass für den Bund keine zusätzlichen Haushaltsrisiken entstehen.

Die Höhe der Dividendenausschüttung an die Aktionäre wird maßgeblich durch die Differenz zwischen durch den Bund verbürgten Finanzierungsbeiträgen für das Bestandsnetz und den betrieblichen Einsparungen bestimmt, die ein börsennotiertes Einsenbahninfrastrukturunternehmen erzielen kann. Dieses birgt erhebliche Risiken für den Unterhaltungszustand des Netzes und den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Die von der DB AG geforderte und für den Börsengang für unverzichtbar erklärte Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) beschränkt wichtige haushaltspolitische Steuerungsmöglichkeiten. Diese Vereinbarung soll auf zehn Jahre ohne vorzeitiges Kündigungsrecht angelegt sein und eine jährliche Summe von 2,5 Mrd. Euro als planbare Investitionsgrundlage für das Netz garantieren. Gleichzeitig aber liegt die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Mittelverwendung beim Vorstand der DB AG. Die Aufgabe einer Mittelverwendungsprüfung zur Pflege des Netzes sowie ein verlässliches und transparentes Monitoring für Neubaumaßnahmen durch eine staatliche Behörde setzen den Bundeshaushalt zusätzlichen Risiken aus.

Unter Finanz- und Haushaltsgesichtspunkten sind natürlich finanzielle Risiken für den Bundeshaushalt offenzulegen und diese für den Steuerzahler kalkulier- und beherrschbar zu machen. Denn eine solide Haushaltsführung halte ich bei der anvisierten Privatisierung von Teilen der Deutschen Bahn AG für unverzichtbar.

Nachfolgend zitiere ich für Sie noch unsere Resolution, die auf dem SPD-Landesparteitag am 7. Juli 2007 in Bühl beschlossen wurde.

Resolution
Beschlossen auf dem SPD-Landesparteitag am 07.07.07 in Bühl
(Überweisung an Bundesparteitag)
I. Für uns sind das Schienennetz und ein funktionierender Eisenbahnbetrieb in Nah-, Fern- und Güterverkehr ein unverzichtbarer Bestandteil öffentlicher Daseinsvorsorge. Kernbereiche öffentlicher Daseinsvorsorge können wir nicht den Renditeerwägungen globaler Kapitalmärkte auszusetzen. Dies schließt der derzeitige Entwurf des Eisenbahnneuordnungsgesetz (ENeuOG) noch nicht aus.
II. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf zum Eisenbahnneuordnungsgesetz leistet wichtige Schritte zum Erhalt und zur Entwicklung eines integrierten Eisenbahnkonzerns Deutsche Bahn AG:
a. Mit der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung stehen dem Bund in Zukunft bessere Lenkungsmöglichkeiten zur Verfügung als heute.
b. Mit dem verbesserten Netzzustandsbericht besteht eine präzise Bestandsaufnahme über die Situation der Schieneninfrastruktur.
c. Mit der Klarstellung der Immobilienzuordnung ist eine ehrliche Eröffnungsbilanz möglich.
d. Der Erhalt des internen Arbeitsmarktes und eines integrierten Konzerns schafft Sicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
III. Um eine bessere flächendeckende Versorgung zu erreichen und die Öffnung der Schienenverkehre in Europa bestehen und nutzen zu können, muss die Deutsche Bahn AG sich entwickeln können. Dazu braucht sie mehr Eigenkapital. Privates Kapital für die Deutsche Bahn AG darf ausschließlich in Form von stiller Teilhaberschaft oder Anleihen hierfür herangezogen werden. Jede Form der Beteiligung strategischer Investoren, die zwangsläufig andere Unternehmensziele anstreben werden, lehnen wir ab.
IV. Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) kommen vollständig in das Eigentum des Bundes. Dem Aufsichtsrat der EIU dürfen auf Seite des Eigners ausschließlich Vertreterinnen und Vertreter des Bundes angehören.
V. Die Deutsche Bahn AG erhält den zeitlich begrenzten Auftrag, das Netz zu betreiben, darf es jedoch nicht bilanzieren.

In der Hoffnung, Ihre Unterstützung für meine Argumente gefunden zu haben,

verbleibe ich mit freundlichem Gruß
Ihr Lothar Binding