Inwieweit werden bei der Ausarbeitung des Suizidpräventionsgesetzes auch besonders vulnerable Gruppen - insbesondere Menschen im Autismus-Spektrum - berücksichtigt?
Meine persönliche Erfahrung ist, dass bestimmte vulnerable Gruppen häufig nicht berücksichtigt werden, falls sie nicht explizit benannt werden. Beispielsweise werden bei den Themen Diversität und Barrirefreiheit neurodivergente Personen i.d.R. nicht mitgedacht. Dabei machen diese einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung aus, 1% sind im Autismus-Spektrum und etwa 5% haben ADHS.Gerade beim Thema Suizid wird deutlich, wie prekär und dramatisch die Situation für Menschen im Autismus-Spektrum ist. Studien legen nahe, dass sie viermal so häufig an Depressionen leiden. Suizide sind sogar neunmal so häufig. Letzteres betrifft in besonderem Maße Autistinnen. Menschen im Autismus-Spektrum sterben darüber hinaus 15 Jahre früher im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass es im Gesundheitswesen viel zu wenige kompetente Fachkräfte gibt und Neurodiversität kein Thema bei Ausbildung und Studium sind. Das führt zu Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen.

Sehr geehrter Herr Mirko H.,
vielen Dank, dass Sie dieses wichtige Thema unter die Lupe nehmen und sich dafür einsetzen, dass die Suizidalität autistischer Menschen besser erfasst wird, um ihr präventiv begegnen zu können.
In meiner Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen bin ich zuständig für die Themen rund um die seelische Gesundheit. Als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie setze ich mich für eine bessere Versorgung für Menschen mit psychischen Erkrankungen und ein Suizidpräventionsgesetz ein.
Im Juli fand die Neugründung des Parlamentskreises Suizidprävention für diese Legislaturperiode statt. Bereits in der vergangenen Wahlperiode hatten wir ein solchen Kreis von Bundestagsabgeordneten.
Am 6. Juli 2023 hat der Deutsche Bundestag den interfraktionellen Antrag „Suizidprävention stärken“ mit breiter Mehrheit beschlossen.
Dieses deutliche Votum zeigt: Es besteht ein breiter parteiübergreifender Konsens darüber, dass Deutschland ein umfassendes Suizidpräventionsgesetz braucht. Allerdings ist der erste Entwurf eines Suizidpräventionsgesetzes der letzten Bundesregierung aus dem Dezember der sogenannten Diskontinuität anheim gefallen.
Ein neuer Anlauf wurde jetzt durch unseren neu gegründeter Parlamentskreis – mit Abgeordneten aus verschiedenen Fraktionen – gestartet. Wir werden eng mit Ärzt*innen, Suizidforschenden, Psycholog*innen zusammenarbeiten. Die Gesundheitsministerin ist aufgefordert, zeitnah einen Entwurf für ein Suizidpräventionsgesetz vorzulegen. Unser Ziel ist es, ein wirkungsvolles und umfassendes Suizidpräventionsgesetz zu verabschieden. Dabei ist es ein Anliegen, Suizidprävention nicht nur aus gesundheitlicher Perspektive zu betrachten, sondern auch gesellschaftliche Faktoren wie etwa Einsamkeit verstärkt in den Blick zu nehmen.
Dem entspricht eine möglichst umfassende Suizidprävention über die gesamte Lebensspanne und in allen relevanten Lebensbereichen. Daher sind bei der Suizidprävention alle Personengruppen einzuschließen, das ist gerade für Gruppen in vulnerablen Situationen, zu denen auch Menschen im Spektrum zählen, wichtig.
Im Rahmen des Gesetzes wird auch die Erfassung von Suiziden und assistierten Suiziden, sowie Suizidversuchen und -motiven debattiert. Dabei könnten auch Merkmale wie Autismus aufgenommen werden. Es gibt bereits eine Kliniksuiziddatenbank, die aber nicht ausreichend ist und deren Finanzierung unsicher ist. Mit dem Gesetzesvorhaben besteht die Chance, hier eine Lücke zu schließen. Mit dem NaSPro stehen wir im guten Kontakt, dort gibt es eine riesige Expertise: Es beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe mit Suizidprävention für Menschen mit neurodivergenten Profilen – insbesondere Autismus und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), mit der Sie meiner Kenntnis nach vertraut sind. Ziel ist eine inklusive, diskriminierungssensible Suizidprävention. Menschen mit neurodivergenten Profilen benötigen eine passgenaue Versorgung.
Mit freundlichen Grüßen
Kirsten Kappert-Gonther