Gilt das Motto "Nie wieder ist jetzt" für Sie ausschließlich im Zusammenhang mit Antisemitismus – oder für alle Menschengruppen und Religionen, einschließlich der Palästinenser*innen?
Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin Klöckner,
im Bundestag haben Sie den Zwischenruf "Es gibt keinen Krieg! Es gibt einen Genozid!" der Linken gerügt und dabei insbesondere auf die Margot Friedländer verwiesen.
https://dserver.bundestag.de/btp/21/21003.pdf#page=37
Von Frau Friedländer stammt folgendes Zitat: „Wir sind alle gleich - es gibt kein christliches, muslimisches, jüdisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut. Ihr habt alle dasselbe. (...) Seid doch Menschen!“
https://www.bz-berlin.de/deutschland/friedlaender-es-gibt-kein-christliches-muslimisches-juedisches-blut-nur-menschliches
Angesichts dieses Zitats, dem aktuell laufenden Gerichtsverfahren am IGH gegen Israel sowie einer Reihe von namhafter Experten wie Omer Bartov und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, die den Tatbestand des Genozids erfüllt sehen, möchte ich sie fragen, ob "Nie wieder ist jetzt" für Sie auch für die Menschen in Palästina gilt?
Sehr geehrter Herr M.,
danke für Ihre Frage. Da Sie sich auf meine Aufgaben als Bundestagspräsidentin beziehen, antworte ich Ihnen nicht in meiner Funktion als Abgeordnete, sondern als Vertreterin des Verfassungsorgans Deutscher Bundestag und der Gesamtheit seiner Mitglieder sowie dank der Zuarbeit der Bundestagsverwaltung:
Alle Menschen haben ein Recht darauf, vor Verfolgung und Gewalt geschützt zu sein, unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion. Diesem Gebot ist auch die deutsche Außenpolitik verpflichtet. Gleichzeitig hat Deutschland aufgrund seiner historischen Verantwortung für den Holocaust eine besondere Verpflichtung gegenüber dem Staat Israel. Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels sind Teil unserer Staatsräson. Diese Haltung ist und bleibt politisch wie moralisch unverhandelbar. Der brutale Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 war ein barbarischer Akt und der schlimmste Massenmord an Jüdinnen und Juden seit der Shoah. Dabei verfolgte die Hamas das Ziel, Israel dauerhaft zu destabilisieren und zu vernichten. Noch immer hält die Hamas israelische Geiseln unter unmenschlichen Bedingungen fest. Israel hat das Recht, sich zu verteidigen – gegen Terrorismus, gegen Raketenangriffe, gegen die Bedrohung seiner Bevölkerung.
Die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten ist ein völkerrechtlich geschütztes Gebot – auch im Krieg.
Klar aber ist auch: Die Hamas trägt die Verantwortung für die Not der Menschen in Gaza – nimmt sie sogar strategisch in Kauf. Es gibt zahlreiche Berichte, denen zufolge sie humanitäre Hilfsgüter beschlagnahmt, zweckentfremdet oder auf dem Schwarzmarkt verkauft hat. Auch das ist ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht.
Deshalb müssen wir über die Wege der Hilfe nachdenken. Hilfslieferungen müssen die Menschen erreichen, für die sie bestimmt sind – nicht die Terroristen, die sie unterdrücken. Dazu braucht es internationale Zusammenarbeit und funktionierende Kontrollmechanismen.
Es liegt in der Hand der Hamas, unverzüglich alle Geiseln freizulassen, ein wichtiger Schritt zur Deeskalation. Gleichzeitig sind internationale Vermittlungsbemühungen und der politische Wille aller Beteiligten für eine dauerhafte Lösung erforderlich.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass Sie selbstverständlich die Möglichkeit haben, auch auf direktem Weg mit dem Deutschen Bundestag, seinen Abgeordneten oder mir als seiner Präsidentin Kontakt aufzunehmen. Zum Beispiel über: https://www.bundestag.de
Herzliche Grüße
Julia Klöckner