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Jürgen Trittin
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Frage von Uwe M. •

Frage an Jürgen Trittin von Uwe M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Trittin,

die Süddeutsche schreibt: "Mit neuen Regeln für den Bundestag wollen Union, SPD und FDP das Rederecht der Parlamentarier einschränken....Grüne und Linke haben im Geschäftsordnungsausschuss dagegen gestimmt....Diese neue Geschäftsordnung soll es offensichtlich dem Bundestagspräsidenten besonders schwer machen, Vertreter abweichender Meinungen überhaupt zu Wort kommen zu lassen"

Wer also innerhalb der Fraktionen im Bundestag redet, soll demnach weitgehend von den Fraktionsführungen bestimmt werden.

Meine Fragen:

1. In wieweit wird dadurch dem Parteiwesen innerhalb des Parlamentes eine vorrangige Machtposition eingeräumt?

2. Können Sie prinzipiell darlegen, ab wann die organisatorische Zusammenfassungen zu Fraktionen hilfreich und ab wann sie schädlich sind?

3. Durch die 5%-Hürde ist ausgeschlossen, dass die Gesetzgebung durch Splittergruppen chaotisch oder gelähmt wird. Um so wichtiger ist es doch, dass in der Debatte nicht nur noch Meinungen vertreten werden dürfen, die in einem nicht öffentlichen Prozess vorab ausgefiltert wurden. Müssten dann nicht auch die Fraktionssitzungen öffentlich sein; und gibt es Beispiele für öffentliche Fraktionssitzungen?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Mannke,

vielen Dank für Ihr Schreiben bezüglich der geplanten Änderungen der Geschäftsordnung des Bundestages durch die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP. Inzwischen wurde der Entwurf zurückgezogen. Das ist auch richtig so, denn der vorliegende Entwurf beschneidet nicht nur das Rederecht für Parlamentarier, sondern auch unsere Demokratie. Wir Grüne hatten deshalb beim Bundestagspräsidenten beantragt, am 26. April nicht wie geplant über den Antrag im Plenum abzustimmen, sondern diesen an die zur weiteren Beratung an die zuständigen Gremien zurück zu überweisen.
Für uns Grüne ist klar: durch die geplanten Änderungen sollen Abweichler von den Fraktionsmeinungen diszipliniert werden. Abweichler in den eigenen Reihen sind aber ein wichtiger Ausdruck der Lebendigkeit unserer Demokratie, die eben nicht gleichgeschaltet ist und von Auseinandersetzungen profitiert. Die Intervention der Abweichler mag den Ablauf innerhalb des Parlaments stören, sie mag auch die Spitzen der Fraktionen ärgern. Aber nur durch die Gewährung des Rederechts für AbweichlerInnen ist gewährleistet, dass unsere Parlamentarier streitbare und selbstständig denkende Politikerinnen und Politiker bleiben. Wir Grüne haben uns deshalb dafür eingesetzt, allen AbweichlerInnen stets das Recht auf Kurzintervention einzuräumen. Den Vorschlag von Union, FDP und CDU, persönliche Erklärungen künftig in der Regel nur noch schriftlich abzugeben, lehnen wir ab.

Die Organisation der Abgeordneten in Fraktionen ist grundsätzlich sinnvoll, da eine Bündelung und Organisation der individuellen Meinungen und Themenfelder der Abgeordneten die parlamentarische Arbeit erst ermöglicht. Das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten steht in einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen Fraktionsmeinung und persönlichem Gewissen. Parlamentarier sind Repräsentanten des Volkes und viele erhalten ihre Bundestagssitze über Listenplätze, d.h. die Wähler haben für die Partei gestimmt und nicht für die Person direkt. Daher sollten sie die Linie der Partei auch grundsätzlich vertreten. Andererseits sind Abgeordnete laut Grundgesetz nur ihrem Gewissen unterworfen und können daher sehr wohl von der Fraktionsmeinung abweichen. Um diesem Spannungsverhältnis gerecht zu werden, ist eine lebhafte Debatte im Bundestag notwendig und Abweichler sollten ihr Verhalten auch weiterhin erklären können.

Die Öffentlichkeit ist bei Fraktionssitzungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Viele Grüne Ratsfraktionen tagen beispielsweise öffentlich. Auch die grüne Bundestagsfraktion hat in der Vergangenheit öffentlich getagt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass für den freien und offenen Meinungsaustausch und die Entscheidungsfindung innerhalb der Fraktion geschützte Räume zielführender sind. Die Presse wird im Anschluss an die Beratungen der Fraktion über deren Ergebnisse informiert. Die Zusammenfassung zu Fraktionen ist hilfreich und nicht schädlich, solange einzelnen, von der Fraktionsmeinung abweichenden Abgeordneten nicht per Geschäftsordnung das Rederecht entzogen wird.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Trittin