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Johannes Selle
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Frage von Ute H. •

Frage an Johannes Selle von Ute H. bezüglich Kultur

Wären Sie damit einverstanden, wenn Leipziger - hoffentlich!!! - das Geschenk des Wende-Denkmals nicht nur "gelassen akzeptieren", sondern "dankbar und freudig annehmen"? ;-)
Diejenigen Menschen, die sich 1989 vereint haben, Hände haltend Mut gemacht haben, Kerzen angezündet haben, um in Frieden und Vernunft eine Wende herbeizuführen - diejenigen, die hier bewiesen haben "Wir sind das Volk!" - genau d i e s e fühlen sich verstanden durch dieses Denkmal und erkennen sich darin wieder. Die Wende-Zeit war s e h r " k o n k r e t" und nicht "abstrakt"!
( Jemand, der nicht dabei war, mag diese Skulptur gern missverstehen; und peinliche Arroganz lässt grüßen, die wohl gern so etwas wie "des Kaisers neue Kleider" bewundert...)
Auch gilt es, in Frau Tucker-Frosts Werk ein Geschenk zu würdigen, dass uns vermittelt, welche Wirkung das Geschehen sogar auf einem anderen Kontinent ausgelöst hat, insofern, als sich Menschen stark berührt zeigen, mitfühlend und darüber hinaus inspiriert, gestaltend ihre Solidarität und Anerkennung in einem künstlerischen und wertvollen Geschenk auszudrücken.
Danke, Johannes Selle, für Ihre Unterstützung !

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Antwort von
CDU

Liebe Frau H.,

vielen Dank für Ihre Frage. Freude wäre wirklich die angemessene Haltung, insbesondere weil wir uns selbst, jedenfalls von offizieller Seite, mit einem Gedenken an die innere Verfassung der "mutigen Menschen" der Wendezeit so schwer tun. Ich nutze die Gelegenheit, Ihnen meine vollständige Pressemitteilung auf diesem Weg zur Kenntnis zu geben, da in der LVZ der Platz dafür nicht gefunden werden konnte.

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Richtig verstandener Pathos
In Leipzig haben die Bürger 1989 gewagt, friedlich gegen eine Nomenklatura zu demonstrieren,
die zu ihren Grundlagen den Satz zählte, „… sich nie wieder die Macht aus den Händen nehmen zu
lassen.“ Eindrucksvoll kann man sich im Museum in der „Runden Ecke“ davon überzeugen, dass
dabei das Recht skrupellos gebeugt wurde. Alle gelernten DDR-Bürger kannten die Bereitschaft
der SED, „die Errungenschaften des Sozialismus konsequent zu verteidigen“. Aus diesem Grund
musste jede Provokation vermieden werden. Die riskanten Demonstrationen begannen mit einem
Friedensgebet. Menschen trugen Schärpen mit der Aufschrift „Keine Gewalt“. Jede Woche
schaute man mit Spannung auf die Leipziger Demo und hoffte, dass die Anzahl der Teilnehmer
wieder gewachsen war. Andere Orte übernahmen das Format. Tausende Bürger hatten sich unter
Kontrolle, sodass der spannungsgeladene Staatsapparat keinen Anlass zur Niederschlagung fand.
Die Menschen wurden mitgerissen von dieser Atmosphäre. Woche für Woche wurde das
durchgehalten. Es grenzt an ein Wunder. Und so wird es auch, aus meiner Sicht zu Recht, in der
Rückschau auf diese besondere „revolutionäre Situation“ in manchen Redebeiträgen zu diesem
Thema gesehen. Das ehemalige SED-Politbüromitglied Horst Sindermann gestand kurz vor seinem
Tod: „Wir hatten alles geplant. Wir waren auf alles vorbereitet. Nur nicht auf Kerzen und Gebete.“
Diese Ereignisse waren wesentliche Grundlage für die Entwicklung in Deutschland hin zur
Grenzöffnung und Wiedervereinigung. Ich erkenne an, dass begleitend auch andere historische
Umstände einen wichtigen Beitrag geleistet haben. Aber die „Friedliche Revolution“ hat ihren
Namen und ihren Impuls von Leipzig bekommen.
In dieser Zeit begann ich, mich politisch zu engagieren.
Als im Deutschen Bundestag die Idee zu einem Einheits- und Freiheitsdenkmal aufkam, war klar,
dass man ohne Leipzig einzubeziehen, dem Anliegen nicht gerecht werden konnte.
Leipzig wird in Zukunft nicht nur mit Johann Sebastian Bach verbunden werden, sondern auch mit
der „Friedlichen Revolution“. Das ist eine Ehrenbezeichnung und steigert die Attraktivität der
Stadt. Es ist ein Asset. Die Bürgergesellschaft ist kreativ und besonnen, aktiv und charakterstark,
erfolgreich und bescheiden. Ja bescheiden, denn sie vermeidet, offen und selbstbewusst damit zu
werben.
Wie es zum Fall der kommunistischen Diktatur in Deutschland und zum Fall der Mauer und zur
Wiedervereinigung kam, ist einzigartig in der deutschen Geschichte, es ist einzigartig in der
Weltgeschichte. Das wird weltweit gewürdigt, Touristen sind auf der Suche nach der besonderen
Aura. Nebenbei ist die Theorie von Karl Marx übrigens auch gefallen, denn Revolutionen müssen
nicht notwendigerweise mit Gewalt verbunden sein. Diesem Geschehen muss in würdigen
Rahmen gedacht werden. Das Freiheits- und Einheitsdenkmal ist die Idee eines angemessenen
Gedenkortes mit gebotener Abstrahierung.
Ich war Mitglied der Jury für das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal (mit Zustimmung der
Leipziger Kollegen) und im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien eng mit der Entwicklung
des Berliner Denkmals befasst. Beide Ausschreibungen konnten beim ersten Mal nicht erfolgreich
zu Ende gebracht werden, weil das durch allerlei Fachverstand erzielte Ergebnis der Bevölkerung
nicht zu vermitteln war. Das kann passieren und ich habe dem Oberbürgermeister Jung versprochen,
mich für den Erhalt der Bundesmittel einzusetzen, wann immer der zweite Anlauf genommen wird.
In einer demokratischen Gesellschaft mit vielfältiger Partizipation zur Verwirklichung einer Idee ist
ein anstrengender Prozess notwendig. Wenn allerdings die Stadt das Denkmal nicht will, dann
kommt es auch nicht. Demgegenüber widmet sich die Skulptur von Miley Tucker Frost den
Kernelementen des Geschehens, Kerzen und keine Gewalt. Die Figuren sind lebensgroß und 3,50
m breit. Es ist eine Gabe amerikanischer Bürger, der amerikanischen Zivilgesellschaft sozusagen,
als Geste der Freundschaft und Anerkennung des mutigen Engagements und der Idee der
Gewaltlosigkeit. Wir brauchen solche freundschaftlichen Bande an der gesellschaftlichen Basis
mehr denn je. Deshalb ist schon dem Grunde nach klar, dass der partizipative Prozess, der als
quälend bezeichnet wurde, nicht stattfinden kann, denn der Vorschlag ist konkret. Und angesichts
des freundschaftlichen Angebotes ist es bei Äußerungen dazu in Stil und Form den Anstand zu
wahren mehr als angebracht. Nicht für alle Menschen nämlich stellt es einen Makel dar, wenn
Kunstwerke auch von einfachen Menschen verstanden werden. Zu denen zähle mich auch.
Menschen, die wie die Künstlerin, aus einer Welt der Stärke und der Affinität zu angewandter
Gewalt kommen, zeigen sich von der Möglichkeit gewaltfreier Veränderungen überwältigt. Da
kann eine Kante zuviel, die an den sozialistischen Realismus erinnert, kein für die Ablehnung
ausreichendes Kriterium sein. Kunstwerke überzeugen nicht alle Betrachter, aber die
Diffamierung der Künstlerin ist enttäuschend. Das hat sie nicht verdient. Ich habe sie bei der
Präsentation des ersten Entwurfes 2009 kennengelernt, der damals begrüßt wurde.
Feinsinnig hat der Autor des Artikels vom 26.2.2019 beim Thema der Überwindung der
kommunistischen Diktatur Marx als Weisen der Geschichte ins Spiel gebracht. Das erinnerte mich
an das chinesische Geschenk einer 5-m-großen Marxstatue im sozialistischen Kunststil an die
Stadt Trier. Es wurde schließlich akzeptiert, obwohl Künstler und Journalisten in China im
Gefängnis sitzen und die marxschen Folgerungen aus seiner Analyse der Gesellschaft heute nicht
mehr vorzeigbar sind. Die Skulptur von Miley Tucker –Frost kann die Rolle eines großen Denkmals
nicht spielen. Sie betont einfach und verständlich, wie Furcht durch Mut überwunden und
Veränderung ohne Gewalt erreicht werden kann. Dieses Geschenk einer Skulptur sollte nicht
überspitzt betrachtet sondern gelassen akzeptiert werden. Es wird genügend Raum in der Stadt,
auch am Museum in der „Runden Ecke“, gefunden werden für das Denkmal, zu dem der
Bundestag die finanziellen Mittel bereitstellen wird.
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Mit freundlichen Grüßen

Johannes Selle MdB