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Johannes Selle
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Frage von Julius K. •

Frage an Johannes Selle von Julius K. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Herr Selle,

Wie positionieren Sie sich zur Forderung der Justizminister von Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen (alle CDU) zur Wiederaufnahme der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung? Halten Sie die anlasslose Überwachung der gesamten Bevölkerung für sinnvoll und verhältnismäßig? Oder teilen Sie die Einschätzung des EuGH, dass die Vorratsdatenspeicherung gegen das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das Grundrecht auf Schutz der personenbezogenen Daten und gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstößt?

Mit freundlichen Grüßen
J. K.

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Krämer,

vielen Dank für Ihre Zuschrift zur befristeten Speicherung von Verbindungsdaten (Vorratsdatenspeicherung).
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich am 6. Oktober 2020 in zwei Entscheidungen (Rs. C-623/17; Rs. C-511/18, C-512/18, C-520/18) mit der Vorratsdatenspeicherung befasst. Das Vorabentscheidungsverfahren diente der Klärung zentraler Fragen zur Richtlinie 2002/58/EG (sog. ePrivacy-Richtlinie) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC). In den Urteilen hält der EuGH an seiner vorherigen Rechtsprechung zur VDS fest.
In dem Urteil von 2014 (Rs. C-293 und C-594/12) erklärte der EuGH, die in der Richtlinie 2006/24/EG enthaltene Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung als mit Art. 7 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) und 8 GRC (Recht auf Schutz personenbezogener Daten) unvereinbar. In seinem Urteil von 2016 (Rs. C-203/15, C-698/15) bekräftigt er das grundsätzliche Verbot der allgemeinen und unterschiedslosen Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten.

Ausnahmen von diesem Grundsatz sind jedoch in Art. 15 Abs. 1 ePrivacy-Richtlinie festgehalten und dienen zur Verfolgung schwerer Straftaten. Bei einer tatsächlichen ernsthaften Bedrohung für die nationale Sicherheit bleibe ein enger Spielraum für eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung solcher Daten. Jedoch unterliegen die Ausnahmen wegen der erhöhten Intensität des Eingriffs einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung einer vorherigen, unabhängigen Kontrolle durch ein Gericht und einer zeitlichen Begrenzung.

Hinzukommt, dass das EuGH die Speicherung von IP-Adressen als angemessen einstuft. Die IP-Adresse erleichtert die Zuordnung von Daten zu einer Person, aber es handelt sich um rein technische Daten ohne inhaltliche Fassung. Somit wird eine Erstellung von umfassenden Profilen von Nutzern vermieden. Gleichzeitig liefern die IP-Adressen wichtige Hinweise, die zur Verfolgung und Prävention von schweren Straftaten genutzt werden können. In der Urteilsbegründung nimmt der Gerichtshof ausdrücklich auf die Bekämpfung der Kinderpornografie Bezug.

Fest steht, dass die Vorratsdatenspeicherung bei der Prävention und Aufklärung von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen wichtig ist. Man geht in Deutschland von derzeit 30.000 möglichen Tätern aus. Jedoch bei mehreren tausend Vorgängen ist die Zuordnung von IP-Adressen zum Inhaber des Anschlusses daran gescheitert, dass die Anbieter die Daten bereits gelöscht hatten. Hierzu möchte ich Folgendes anführen: Das BKA hat bekannt gegeben, dass im Jahr 2017 rund 8.400 Fälle von Kinderpornographie nicht weiterverfolgt werden konnten, weil keine gespeicherten Verbindungsdaten vorhanden waren. Das ist eine Tatsache, die mich nicht nur traurig, sondern auch sehr wütend macht. Jeder einzelne Fall ist bedrückend und zerstört eine Kinderseele. Das kann ich nicht akzeptieren.

Daher führen die Justizminister von Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen eine Initiative an, dass die Bundesnetzagentur die Kommunikationsunternehmen zur Speicherung und Weitergabe der Daten verpflichtet. Der EuGH hat klargestellt, dass es den Mitgliedsstaaten erlaubt ist, zur Bekämpfung der Kriminalität gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen.
Ich verstehe Ihre Bedenken bzgl. der Speicherung von Daten und kann das Spannungsverhältnis, dass Sie hier aufzeichnen, teilweise nachvollziehen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir versuchen müssen, jede Straftat nicht nur aufzudecken, sondern auch die Täter entsprechend zur Rechenschaft zu ziehen. Denn mein Credo ist „Opferschutz vor Täterschutz“.

Abschließend ist zu sagen, dass ich eine Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen durchaus befürworte, wenn dies mit deutschem und europäischem Recht vereinbar ist. Es ist ein sinnvolles Mittel für die Ermittlung von Straftaten im Netz.
Vielleicht sollte über die Begrifflichkeit der „Vorratsdatenspeicherung“ nachgedacht werden, die suggeriert, dass eine Vielzahl von persönlichen Inhalten gespeichert werden sollen.

Mit freundlichen Grüßen
Johannes Selle