Werden Sie bei einer neuen Abstimmung für Frau Brosius-Gersdorf stimmen? Und wenn nein, warum nicht???
Sehr geehrter Herr Cezanne,
die o.g. Frage liegt mir sehr am Herzen, denn es kann doch nicht sein, dass durch eine Schmutz- und Hetzkampagne unser Rechtssystem verletzt wird und der Bundestag vorgeführt wird wie ein Debattierclub ohne Mut!
Mit freundliche Grüßen
Dörte K.

Sehr geehrte Dörte K.,
vielen Dank für Ihre Frage und Ihr Interesse an meiner Position zur Debatte um die Besetzung von Richterstellen am Bundesverfassungsgericht.
Das Bundesverfassungsgericht ist eine Institution unserer republikanischen Verfassung, welche unser Handeln im Parlament und auch das Handeln der Regierung kontrolliert. Es sorgt dafür, dass alle Entscheidungen des Parlaments und der Regierung auch auf geltendem Recht basieren.
Die rechte Kampagne, die gegen Frau Brosius-Gersdorf, Kandidatin für eine der offenen Richterstellen am Bundesverfassungsgericht, gemacht wird, ist beispiellos. Diese Kampagne nahm ihren Anfang auf rechtsradikalen Blogs und beruhte auf Lügen und Unterstellungen. Das gefährliche daran ist, dass die dort vorgebrachten Lügen und Anschuldigungen von Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion übernommen wurden. Weil der Fraktionsvorsitzende Jens Spahn die Sache zu lang laufen ließ, wollten bis zu sechzig Abgeordnete Frau Brosius-Gersdorf die Stimme verweigern und die Wahl der zwei Kandidierenden musste durch die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD abgesetzt werden. Durch den gesamten Vorgang wurde sowohl das Ansehen von Frau Brosius-Gersdorf und als auch das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts nachhaltig beschädigt.
Es ist bedauerlich, dass sich Frau Brosius-Gersdorf nun entschieden hat, ihre Kandidatur zurückzuziehen.
Das Scheitern der Richterwahl für das Verfassungsgericht sollte eine deutliche Warnung sein. Wenn sich die politische Entscheidungsfindung von rechten Kampagnen leiten lässt, droht dem Verfahren zur Richterwahl ein nachhaltiger Vertrauensverlust. Die zentrale Frage nach der fachlichen Eignung von Kandidatinnen und Kandidaten darf nicht durch Debatten über vermeintliche politische Ausrichtungen oder angebliche persönliche Eigenschaften in den Hintergrund geraten – insbesondere dann nicht, wenn diese Behauptungen unbegründet sind. Künftige Richterwahlen müssen mit größerem Verantwortungsbewusstsein und der gebotenen Sachlichkeit durchgeführt werden. Die gescheiterte Wahl ist zudem eine Hypothek für die Koalition Union und SPD, die angetreten war, um verantwortungsvoll zu regieren.
Mit besten Grüßen
Jörg Cezanne