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Ilse Aigner
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Frage von Heidrun S. •

Frage an Ilse Aigner von Heidrun S. bezüglich Verbraucherschutz

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Aigner,
die übergroße Mehrheit der Deutschen lehnt das Schächten von Tieren ohne Betäubung strikt ab, da es übelste Tierquälerei ist. Es gab schon Petitionen an den Deutschen Bundestag, zahlreiche Unterschriftensammlungen, Schreiben an Politiker ..., aber das Elend geht weiter und weiter.

Warum wird eigentlich am Willen des deutschen Volkes vorbeiregiert? Der § 4a des Tierschutzgesetzes ist endlich ersatzlos zu streichen! Auch unter dem Deckmantel einer Religion dürfen Tiere nicht gequält werden!

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Aigner,wie stehen Sie zu dieser Problematik?

Mit freundlichen Grüßen
Heidrun Schultz

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau Schultz,

vielen Dank für Ihre Frage.

Gemäß § 4a Abs. 1 des Tierschutzgesetzes darf ein warmblütiges Tier nur geschlachtet werden, wenn es vor Beginn des Blutentzuges betäubt wird. Abweichend davon bedarf es gemäß § 4a Abs. 2 Nr. 2 des Tierschutzgesetzes ausnahmsweise dann keiner Betäubung, wenn die zuständige Behörde eine entsprechende Genehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung (Schächten) erteilt hat; sie darf die Ausnahmegenehmigung nur insoweit erteilen, als es erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Inland zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen.

In seinem Urteil vom 15. Januar 2002 auf eine entsprechende Verfassungsbeschwerde eines muslimischen Metzgers hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Ausnahmeregelung für Angehörige bestimmter Religionsgemeinschaften in § 4a Abs. 2 Nr. 2 des Tierschutzgesetzes verfassungsgemäß ist.

Lediglich in eng umgrenzten Fällen kann danach eine Ausnahmegenehmigung zum Schächten von den Behörden erteilt werden, etwa wenn das Schächten erforderlich ist, um den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften zu entsprechen. Durch solche Ausnahmegenehmigungen soll den Speisenormen vor allem der islamischen und der jüdischen Glaubenswelt Rechnung getragen werden. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dürfen die Behörden daher muslimischen Metzgern eine Ausnahmegenehmigung für das Schächten nicht von vornherein versagen.

Durch das am 1. August 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes wurde das Staatsziel "Tierschutz" in das Grundgesetz eingefügt. Nach deutschem Verfassungsrecht enthält eine Staatszielbestimmung eine verfassungsrechtliche Wertentscheidung, die von der Politik bei der Gesetzgebung und von den Verwaltungsbehörden und Gerichten bei der Auslegung und Anwendung des geltenden Rechts zu beachten ist. Aus einer Staatszielbestimmung können allerdings keine individuellen Ansprüche hergeleitet werden. Auch ermöglicht diese Staatszielbestimmung keinen unbegrenzten Tierschutz. Vielmehr ist jeweils ein Ausgleich mit anderen Verfassungsgütern, vor allem den im Grundgesetz verankerten Grundrechten der Menschen, herzustellen. Weder der Tierschutz noch mit ihm konkurrierende Verfassungsgüter (z. B. das Grundrecht auf Forschungsfreiheit bei Tierversuchen und das Grundrecht auf Religionsfreiheit beim Schächten von Tieren) besitzen daher einen generellen Vorrang. Im Konfliktfall ist unter Berücksichtigung der falltypischen Gestaltung und der besonderen Umstände zu entscheiden, welches verfassungsrechtlich geschützte Gut inwieweit zurückzutreten hat.

Die Belange des Tierschutzes einerseits und der Religions(ausübungs)freiheit andererseits sind demnach angemessen zum Ausgleich zu bringen, wobei die Grundrechte Betroffener nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden dürfen.

Mit Urteil vom 23. November 2006 hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zum ersten Mal nach Einfügung des Staatsziels Tierschutz im Grundgesetz bestätigt, dass die bestehenden Regelungen im Tierschutzgesetz zum Schächten einen angemessenen Ausgleich zwischen Religionsfreiheit und Tierschutz bewirken.

In der Folge dieses Urteils wurde von vielen Seiten eine Änderung des Tierschutzgesetzes gefordert, durch die das Schächten aus Gründen des Tierschutzes als Ausnahmeregelung generell verboten oder noch stärker beschränkt würde.

Aufgrund einer Gesetzesinitiative des Landes Hessen hatte der Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Änderung des § 4a des Tierschutzgesetzes beschlossen, durch den die Anforderungen an Ausnahmegenehmigungen zum betäubungslosen Schlachten verschärft werden sollen.

Die Bundesregierung hat Verständnis für das Anliegen des Bundesrates geäußert, sieht jedoch auch im Hinblick auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Januar 2002 und des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. November 2006 verfassungsrechtliche Probleme, wie die der Abwägung zwischen Religionsfreiheit und Tierschutz.

Die parlamentarischen Beratungen dauern an.

Abschließend darf ich mitteilen, dass von zahlreichen Gruppen innerhalb der islamischen Glaubensgemeinschaft in Deutschland bei rituellen Schlachtungen die Elektrokurzzeitbetäubung vor Durchführung des Schächtschnitts akzeptiert und angewandt wird. Dies gilt allerdings nicht für alle Glaubensangehörige dieser Religionsgemeinschaft. Wenn nach dem Selbstverständnis einzelner Gruppen innerhalb der islamischen Glaubensgemeinschaft zwingende religiöse Gründe einer wie auch immer gearteten Betäubung vor dem Schächtschnitt entgegen stehen, kann nach den Schächturteilen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts auf der Grundlage des § 4a Abs. 2 Nr. 2 des Tierschutzgesetzes bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen (z. B. Sachkunde) die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für das betäubungslose Schlachten nicht verwehrt werden.

Auch wenn weite Teile der islamischen Glaubensgemeinschaft eine Kurzzeitbetäubung akzeptieren, kann dies jedoch nach den höchstrichterlichen Entscheidungen nicht als verbindlich für alle Glaubensangehörigen ausgelegt werden. Für diese Gruppe, die jegliche Betäubung ablehnt, kommt also auch eine Elektrokurzzeitbetäubung nicht in Frage.

Mit freundlichen Grüßen
Ilse Aigner, MdB

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