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Hubertus Heil
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Frage von Martin V. •

Warum entlasten Bürgergeld-Empfänger nicht den angespannten Arbeitsmarkt durch einfache Tätigkeiten?

Sehr geehrter Bundesminister Heil,

wir haben mehrere Betriebe und finden seit längerem keine Angestellten die einfache Tätigkeiten erledigen können/wollen. Und das geht nicht nur uns so sondern sehr vielen Betrieben! Statt dessen sitzen millionen Menschen zuhause, bekommen für nichts (Bürger-)Geld, statt die suchenden Betriebe zu unterstützen! Zudem bekommen diese Menschen Zuwendungen ohne Gegenleistung. Und das ist nicht nur wider der Natur aller Dinge sondern schadet auch den Bürgergeld Empfängern selbst wie deren Nachkommen und letztendlich uns allen. In der Natur gibt es für alles einen Ausgleich. Insofern möchte ich Sie darum bitten über eine Win-Win Situation nachzudenken. Der Bg-Empfänger geht z.B. 20 Stunden pro Woche arbeiten, nur einfache Tätigkeiten die jeder sofort ohne irgendeine Qualifikation erledigen kann. Somit hat er die Chance etwas zurückzugeben und hat auch eine Aufgabe, einen Sinn. Und zeitgleich unterstützt er die Mitarbeiter suchenden Betriebe.
MFG
M. V.

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Sehr geehrter Herr V.

vielen Dank für Ihre Nachricht.

Unsere Verfassung gibt vor, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum garantiert sein muss. Wer in eine Notlage gerät und nicht selbst für seinen Unterhalt sorgen kann, hat deshalb Anspruch auf existenzsichernde staatliche Leistungen. Gleichzeitig müssen hilfebedürftige erwerbsfähige Leistungsberechtigte daran mitwirken, dass sie möglichst schnell wieder auf eigenen Beinen stehen und den Lebensunterhalt oder wenigstens einen Teil davon (wieder) selbst verdienen können. Das ist sozial gerecht und im Interesse der Gesellschaft, aber auch im Interesse der Bürgergeld-Berechtigten selbst. Die Jobcenter unterstützen dabei mit Beratung und Vermittlung sowie einer Vielzahl von Eingliederungsleistungen. Es stehen beispielsweise auch die Instrumente der öffentlich geförderten Beschäftigung zur Verfügung, sofern sie im individuellen Fall zielführend sind, um eine Gewöhnung und Heranführung an den Arbeitsmarkt und schließlich eine nachhaltige Integration zu erreichen.

Eine generelle Verpflichtung zur Arbeitsaufnahme bzw. Maßnahmenteilnahme ist jedoch nicht möglich. Ein erwerbsfähiger Bürgergeldbeziehender muss zwar jede zumutbare Arbeit aufnehmen bzw. an jeder zumutbaren Maßnahme teilnehmen. Dies kann aber z.B. aufgrund von Kindererziehung oder der Pflege eines Angehörigen vorübergehend auch nicht zumutbar sein. Lehnen Bürgergeld-Beziehende eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ohne wichtigen Grund ab (sogenannte Pflichtverletzung) oder erscheinen ohne wichtigen Grund nicht zu vereinbarten Terminen (sogenanntes Meldeversäumnis), dann müssen sie mit einer Minderung des Bürgergeldes rechnen.

Mit Arbeitsgelegenheiten (AGH) nach § 16d SGB II steht den Jobcentern eine Förderung zur Verfügung, die mit einfachen Tätigkeiten der (Wieder-)Erlangung der Beschäftigungsfähigkeit dient. AGH begründen kein Arbeitsverhältnis. Die Teilnehmenden erhalten eine Mehraufwandsentschädigung in Höhe von einem bis zwei Euro je geleisteter Stunde. Die zu verrichtenden Arbeiten müssen zusätzlich und wettbewerbsneutral sein und im öffentlichen Interesse liegen. Damit sollen eine Beeinflussung des allgemeinen Arbeitsmarktes und eine Verdrängung regulärer Arbeitsplätze ausgeschlossen werden. Eine Beschäftigung im privatwirtschaftlichen Bereich, wie von Ihnen vorgeschlagen, ist demnach nicht möglich. Wenn die Tätigkeit diese Kriterien nicht erfüllt, kann dem Teilnehmenden nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 13.04.2011 und vom 27.08.2011) gegen das Jobcenter einen öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch auf Wertersatz zustehen, demzufolge der tarifliche bzw. ortsübliche Lohn für die ausgeübte Tätigkeit.

Damit ist eine Tätigkeit in privaten Betrieben, wie sie hier vorgeschlagen wird, rechtlich nur als reguläres Arbeitsverhältnis möglich.

Vor diesem Hintergrund wurde ergänzend im Jahr 2019 mit dem Teilhabechancengesetz die Förderung „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ im § 16i SGB II aufgenommen. Ziel dieser als Sozialem Arbeitsmarkt bekannten Förderung ist, sehr arbeitsmarktfernen Menschen soziale Teilhabe in öffentlich geförderter sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zu ermöglichen. Arbeitgeber erhalten für bis zu fünf Jahre einen Lohnkostenzuschuss auf Grundlage des Mindestlohns nach dem Mindestlohngesetz, Tariflohns oder kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen. Voraussetzung ist ein regulärer Arbeitsvertrag, der im Rahmen der Vertragsfreiheit zwischen dem Arbeitgeber und den geförderten Arbeitnehmenden geschlossen wird. Die Teilnahme basiert auf Freiwilligkeit, das Jobcenter darf hier nicht lenkend eingreifen. Mit dem Förderinstrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ nach § 16i SGB II werden positive Effekte bei sehr arbeitsmarktfernen Menschen erzielt. Es wird auch auf freiwilliger Basis gut in Anspruch genommen, belastet jedoch aufgrund der vergleichsweise langen Förderdauer und des hohen Lohnkostenzuschusses die Eingliederungsmittel der Jobcenter.

Mit den Instrumenten der öffentlich geförderten Beschäftigung wird ausdrücklich keine Arbeitspflicht normiert, sondern im Zusammenwirken mit den Selbsthilfegrundsatz und den Mitwirkungspflichten bzw. den Regelungen zu Leistungsminderungen lediglich eine Obliegenheit. Würde hingegen eine generelle Arbeitsverpflichtung geregelt, wäre zu prüfen, ob diese gegen das internationale Übereinkommen über Zwangs- und Pflichtarbeit vom 1. Juni 1956, gegen das Verbot des Arbeitszwangs in Artikel 12 Absatz 2 Satz 1 GG oder das Verbot der Zwangsarbeit (Artikel 12 Absatz 3 GG) verstößt.

Ganz grundsätzlich gilt: Beim Einsatz von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit geht es eben nicht darum, Bürgergeldbeziehende als „Gegenleistung“ für erhaltene Sozialleistungen zu Maßnahmeteilnahmen heranzuziehen. Ziel von Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit ist vielmehr, die individuelle Chance auf eine Eingliederung in den regulären Arbeitsmarkt zu verbessern und damit Hilfebedürftigkeit zu vermeiden, zu beseitigen, zu verringern oder zu verkürzen.

Mit dem zum 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Bürgergeld wurde zudem u.a. die Nachhaltigkeit der Arbeitsaufnahme stärker betont. Dies ist auch vor dem Hintergrund, dass in Deutschland in vielen Branchen und Regionen mittlerweile ein Mangel an Arbeits- und Fachkräften besteht, wichtig. Da Langzeitarbeitslose bislang von der für Arbeitsuchende an sich günstigen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt nicht so stark profitieren konnten, legt das Bürgergeld entsprechend einen stärkeren Fokus auf die intensive Betreuung der Menschen sowie auf Qualifizierung und Weiterbildung. Der Vermittlungsvorrang im SGB II wurde mit Einführung des Bürgergeldes abgeschafft, auch um den so genannten Drehtüreffekt - kurzfristige Beschäftigung in unqualifizierter Tätigkeit mit nachfolgendem erneuten Leistungsbezug - zu beenden. Im Bürgergeld gilt der Grundsatz Ausbildung vor Aushilfsjob. Der verpflichtende Einsatz in einfachen Tätigkeiten, wie von Ihnen vorgeschlagen, würde dieser Zielsetzung entgegenstehen.

Mit freundlichen Grüßen
Hubertus Heil, MdB

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